© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Gar nicht lustig
Karneval und die Politik der offenen Grenzen: Anti-Terror-Sicherheitauflagen bringen die Vereine in große Schwierigkeiten
Martin Voigt

Op Sonn, Rähn oder Schnie, dat es egal, mir Rhingdorfer fiere immer Karneval: Trotzig optimistisch klingt das Motto des Rheindorfer Karnevals-Clubs „Rhingdorfer Junge un Mädche“ für den diesjährigen Karneval. Den Optimismus haben sie auch nötig.

Im vergangenen Jahr hatten noch Sturmwarnungen zu Absagen von Rosenmontagszügen in einigen rheinischen Narrenhochburgen geführt. Unter jenen, die damals den Wetterbericht weniger bedenklich einschätzten, kursierten verschiedene Vermutungen ob der eigentlichen Beweggründe, die Zahl der Umzüge am Rosenmontag zu dezimieren: Häme und Spott auf den Motivwagen nach der Grenzöffnung 2015. Terrorangst und die Konzentration der Sicherheitskräfte in Köln, damit wenigstens dort die Umzüge stattfinden konnten.

Ungeachtet dieser Vermutungen drohten dieses Jahr schon wieder dunkle Wolken, den Jecken den Spaß zu verderben. Die beiden LKW-Attentate in Nizza und Berlin rücken Straßenfeste und Umzüge unweigerlich in den Fokus der Sicherheitsbehörden. Doch wer trägt die Kosten für den Schutz von Millionen von betrunkenen, feiernden, unaufmerksamen Menschen, die sich an ein und demselben Tag entlang der Karnevalsumzüge drängen?

Verwirrender Föderalismus bei den Sicherheitsauflagen

„Deutschland wird Deutschland bleiben, mit allem, was uns lieb und teuer ist“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im September 2016 ihre Flüchtlingspolitik verteidigt. Wenn das auch für Karneval und Fasching gelten sollte, mußte irgendwie eine Lösung her. Und das besonders dringend in jenen Städten, die im vergangenen Jahr wetterbedingt auf ihre traditionsreichen Umzüge verzichten mußten, so etwa in Duisburg. Doch die närrischen Massenveranstaltungen leben vom Einsatz zahlloser Ehrenamtlicher. Ein Extra-Budget für Sicherheitsmaßnahmen, die die Polizei abnicken würde, geben die klammen Vereinskassen nicht her. Wieder sah es zappenduster aus.

Sollte das Wahljahr 2017 mit einem Stimmungstief beginnen? „Die Stadt Duisburg wird gemeinsam mit der Polizei alle Sperrmaßnahmen selber vornehmen und diese nicht dem Veranstalter aufbürden“, teilte die Stadtverwaltung in einer Pressemeldung mit. Lange Gespräche waren diesem Schritt vorausgegangen. „Weitere Sicherheitsmaßnahmen für andere Terror-Szenarien sind seitens der Stadt getroffen worden. Aus einsatztaktischen Gründen werden diese jedoch nicht veröffentlicht.“ Die Pressesprecherin der Stadt Duisburg, Susanne Stölting, konkretisiert dies gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Die sechs großen Züge in Duisburg können stattfinden. Ein Großteil der Mehrkosten, die durch die Bedrohungslage des islamischen Terrors entstehen, trägt die Stadt Duisburg. Das ist im wesentlichen die Sicherung der Zufahrtswege. 40 bis 50 Einfahrten müssen mit Fahrzeugen der Polizei gesichert werden.“

Klaus-Ludwig Fess kennt solche Debatten zur Genüge. Fess ist der Bundesverbandspräsident des Bundes Deutscher Karneval e. V. (BDK) im saarländischen Bexbach und repräsentiert über 5.200 Faschings-, Fastnachts- und Karnevalsvereine. Im Gespräch mit der JF betont er, daß angesichts der neuen Gefährdungslage die Sicherheit im Straßenkarneval zwischen Bund, Ländern und Kommunen nach einheitlichen Maßstäben geregelt werden müsse. Bisher sei dies Ländersache. „Aber innerhalb eines Landes gibt es von Landkreis zu Landkreis und von Kommune zu Kommune unterschiedliche Sicherheitsauflagen je nach Einschätzung der zuständigen Polizeibehörde. Verschiedene Handhabungen, von wem die wegen der verschärften Sicherheitserlasse entstandenen Mehrkosten zu tragen sind, sorgen für Unsicherheit.“

Sicherheitsdienste müssen engagiert und Autosperren errichtet werden, aber selbst mobile, mit Kies gefüllte Containersperren seien nicht billig. Sein Ansatz sei es, so Fess, daß deutschlandweit die Kommunen als Veranstalter die Kosten übernehmen und die Vereine die Veranstaltung lediglich umsetzen. Es könne nicht sein, daß Ehrenamtliche mit ihrem Privatvermögen haften.

„Die Terrorgefahr darf nicht dazu führen, daß man nicht mehr sein Leben lebt. Denn genau das bezweckt der Terror. Die Politik darf diesem Zweck nicht dienlich sein“, mahnt Fess. „Eine Politik, die die Außengrenzen nicht schützt, darf die gestiegenen Kosten für Sicherheit im Innern nun nicht ehrenamtlichen Vereinen überlassen.“ Der BDK wolle zusammen mit den Verantwortlichen vom Bund bis zur Kommune angemessene Lösungen erarbeiten. „Wir zeigen dem Terror klare Kante und setzen uns mit Herz und Verstand dafür ein, unser Kulturgut auch weiterhin aktiv nach außen zu tragen.“

Auch manch ein närrischer Verein jenseits des rheinischen Karnevals hat dieses Jahr seine liebe Mühe, den Gaudi­wurm auf die Straße zu bringen. So heißt der Umzug im bayerischen Schrobenhausen. 16 Sicherheitsleute müßten vor Ort Streife laufen und Zufahrtswege gesperrt werden, berichten örtliche Medien. Das werde sich möglicherweise im Eintrittspreis für die Zuschauer widerspiegeln.

Kölner Flüchtlingsrat sorgt sich um Racial Profiling

In Thüringen besuchen Zehntausende die Umzüge in Erfurt, Wasungen und Apolda. Nach den Silvester-Übergriffen in Köln und anderen Städten hätten die Karnevalsgemeinschaften die Sicherheitsvorkehrungen überarbeiten müssen, berichtete die Ostthüringer Zeitung. Der Umzug in Erfurt sei wegen der Kosten von 24.000 Euro für Absperrungen und eine Security-Firma auf zusätzliche Sponsoren angewiesen.

Vor dem Hintergrund der massenhaften Übergriffe während des Jahreswechsels 2015/16 will auch die Polizei auf Nummer Sicher gehen. Im Fokus steht der Refugee-Hot-Spot Köln. Die Lage ist angespannt. Ein Polizeischreiben geriet in die Presse. „In der vergangenen Woche wurde polizeilicherseits bekannt, daß es im vergangenen Jahr vorkam, daß Betreuer von Flüchtlingen und Asylbewerbern Besuche von Karnevalsveranstaltungen organisiert haben“, formuliert das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in dem Schreiben an Flüchtlingseinrichtungen im Regierungsbezirk Köln. In der E-Mail, die dem Kölner Stadt-Anzeiger vorliegt, wird nicht lange um den heißen Brei herumgeschrieben: „Aus polizeilicher Sicht sind diese Aktionen eher kritisch zu sehen, da so das massierte Auftreten von Flüchtlingen und Asylbewerbern bei Karnevalsveranstaltungen forciert wird. Da ebendies in Anbetracht der aktuellen Sicherheitslage in Deutschland, auch aufgrund der Ereignisse bei den vergangenen Jahreswechseln, in der Bevölkerung derzeit leider zu unerwünschten Wechselwirkungen führt, raten wir davon ab.“

Wechselwirkungen traten prompt zwischen dem Landesamt und dem Kölner Flüchtlingsrat ein. Die Polizei betreibe „Racial Profiling“, also die diskriminierende Verdächtigung von Personen einer bestimmten Ethnie, empörte sich der Flüchtlingsrat. Das Amt ruderte zurück. Man habe es nicht böse gemeint, und außerdem handele es sich um ein internes und nicht autorisiertes Schreiben. „Die Formulierungen in diesem Schreiben sind ausgrenzend“, räumte eine Sprecherin des Landesamtes ein. Es entstehe der Eindruck, daß Zuwanderer keine Karnevalsveranstaltungen besuchen sollten. Zutiefst bedaure man die zu Recht ausgelöste Betroffenheit.

Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat legte gegenüber der Nachrichtenagentur DPA aber noch nach: „Intern war’s ja wohl nicht, es ist rausgegangen. Für uns ist die Frage, welche Geisteshaltung dahintersteckt.“ Ihm mache das Thema Racial Profiling „große Sorgen“, denn während der Silvesternacht 2016/17 habe die Polizei große Gruppen junger Männer mit Migrations- oder Flüchtlingshintergrund überprüft. Prölß betonte, der Karneval sei bestens geeignet, um Flüchtlinge mit Deutschland vertraut zu machen und mit alteingesessenen Bürgern in Kontakt zu bringen. Die bisherigen positiven Erfahrungen seien für ihn eine Ermutigung, „jetzt erst recht Flüchtlinge in den Karneval zu bringen“.

Solche Rassismusvorwürfe seien das schärfste Mittel der Wahl, jemanden völlig zu disqualifizieren, warnte der Pressesprecher der Freien Wähler Köln, Torsten Ilg. Anstelle verhärteter Fronten sei eine gute Kooperation zwischen Polizei und Flüchtlingsverbänden nötig, um Übergriffe wie in Köln und anderen Städten zu vermeiden. „Wenn die Flüchtlingsverbände hier ideologische Kampfparolen verbreiten, wird das Klima in Köln vergiftet.“ 

Ilg verwies auf die hohe Belastung der Sicherheitskräfte infolge der Flüchtlingskrise und darauf, daß das Schreiben trotz unglücklicher Wortwahl das Kernproblem anspreche: „Es geht um gruppenspezifische Auffälligkeiten und den Wunsch der Polizei, nicht durch Unachtsamkeit oder falsche Toleranz gegenüber einigen wenigen, die mit den Werten der Freiheit und der Aufklärung ein Problem haben, die Arbeit der Sicherheitskräfte zusätzlich zu erschweren.“ Wenn wie in den vergangenen Jahren kleine Gruppen von Flüchtlingen auf „sorgfältig ausgewählte“ Veranstaltungen geführt würden, sei dies mit den Sicherheitskräften grundsätzlich abzusprechen.

„Flut an Genehmigungen und Versicherungen“

Wer für das kulturübergreifende Narrentreiben die Verantwortung trägt, ist genau geregelt. „Das Festkomitee Kölner Karneval ist für die Sicherheit im Zug zuständig. Die Verantwortung für die Sicherheit im öffentlichen Raum tragen die Polizei und weitere Ordnungsbehörden“, erklärt die Pressesprecherin des Festkomitees, Sigrid Krebs, auf Nachfrage der JF. Man arbeite zur Vorbereitung des Kölner Rosenmontagszuges „seit zig Jahren sehr eng und umfassend mit sämtlichen Behörden“ zusammen, unabhängig von aktuellen Geschehnissen. Viele Details zum diesjährigen Karneval befänden sich noch in der Planungsphase. Am 16. Februar, eine Woche vor Beginn des Straßenkarnevals, findet die gemeinsame Pressekonferenz von Stadt, Polizei und Festkomitee statt.

Sind Probleme mit ausfälligen oder übergriffigen Jugendlichen aus Nord­afrika ein zentraler Punkt? Vermutlich nicht, denn auf über 600 Veranstaltungen im gesamten Stadtgebiet wurden im vergangenen Jahr „keine nennenswerten Übergriffe bekannt“, gibt Krebs Auskunft.

In einem Rundschreiben, das die Karnevalsgesellschaft Blau-Gelb Mehlem im Bonner Stadtbezirk Bad Godesberg an ihre „Leev Mehlmer Jecke“ richtet, klingt das zumindest zwischenzeilig etwas anders. Weil eine „Flut an Genehmigungen und Versicherungen zu bezahlen“ sei, müsse man um Spenden bitten, wolle sich aber auch bei der Polizei bedanken, „die durch ihr beherztes Eingreifen bereits seit Jahren dafür sorgt, daß wir solche Aktionen wie Silvester 2015 in Köln nicht erleben müssen“.

Foto: Karnevalswagen mit den Motiven Terrorist und Clown während des (nachgeholten) Rosenmontagszugs 2016 vor dem Düsseldorfer Rathaus: „Die Terrorgefahr darf nicht dazu führen, daß man nicht mehr sein Leben lebt“; Närrisches Treiben unter Polizeischutz in Mainz am Beginn der Karnevalssaison vor einem Jahr: Längst verändert die Bedrohung durch Terroristen und Migranten unser Lebensgefühl; „Narrenpräsident“ Klaus-Ludwig Fess: „Innere Sicherheit nicht den Ehrenamtlichen überlassen“