© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Einmal in der Bundesversammlung
Dieter Stein

Vergangenen Sonntag, Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten im Berliner Reichstagsgebäude. Für mich ein besonderer Tag: Die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hatte mich im Dezember als Wahlmann für die Bundesversammlung nominiert, und so sitze ich selbst eine Zeitlang im Plenum des Parlaments. Mit der Verlegerin Friede Springer und dem Focus-Gründer Helmut Markwort fand ich mich als Publizist in illustrer Gesellschaft – also habe ich mit Freude zugesagt. 

Im Paul-Löbe-Haus hatte die Bundestagsverwaltung für die nicht im Bundestag vertretenen Parteien – AfD, FDP, Freie Wähler, Piraten – Konferenzräume hergerichtet, wo die Delegierten den Wahlgang vorbesprachen. Es war zu spüren, daß es für die AfD durchaus ein historischer, konstituierender Moment für ihren Weg in die Bundespolitik war.

Atmosphärisch lieferte die Bundesversammlung einen Vorgeschmack darauf, wie es ab September im Bundestag Alltag werden wird, wenn die AfD dort als neue Oppositionskraft einziehen sollte. Das Parlament wird damit, wie landauf, landab in anderem Sinne gefordert, bunter – und haucht dem Begriff „Repräsentative Demokratie“ endlich neues Leben ein. Die politische Klasse bleibt nicht länger unter sich.

Journalisten beobachteten akribisch, ob sich „die Neuen“ irregulär verhalten. Augenbrauen wurden kritisch gehoben, als sich die AfD-Gruppe – neben der Linken – nicht kollektiv zu dem mehrfach wiederholten demonstrativen stehenden Applaus für den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck erhob. Um so aufsehenerregender schien es einigen Journalisten, als Frauke Petry und Jörg Meuthen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier freundlich zur Wahl gratulierten.

Während des Wahlgangs und der Auszählung kam es zu lebhaften Kontakten. Eine CDU-Landtagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern stolperte über eine Stufe und fiel ihrem AfD-Kollegen aus dem Landtag in die Arme – und begrüßte ihn lachend. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) drückte mehreren AfD-Abgeordneten aus Südwest die Hand, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) plauderte mit seinem ehemaligen Parteifreund und AfD-Zählkandidaten für die Bundespräsidentenwahl Albrecht Glaser. Aufmerksam wurde beobachtet, ob Glaser mehr Stimmen erhalten würde, als es eigene Delegierte gab. Am Ende waren es 42 und damit sieben „Abtrünnige“, mutmaßlich aus den Reihen der Union, die den AfD-Mann wählten.

Einer würdigen Tradition folgend singt die Bundesversammlung zum Schluß im Bundestag die Nationalhymne. Oskar Lafontaine, selbst Jürgen Trittin, singen fleißig mit, nur ein Teil der Linkspartei zeigt mit verschlossenen Lippen, daß er noch nicht im vereinten Deutschland angekommen ist. Beim Empfang nach der Wahl des Bundespräsidenten mischten sich im Paul-Löbe-Haus die über 1.200 Mitglieder der Bundesversammlung ohne Rücksicht auf Parteibindungen mit Gästen und Journalisten. Könnte so demokratische Normalität aussehen?