© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Mehr Tat als Rat
Einwanderung: Für Rechtsanwälte gewinnt das Thema Asyl immer mehr Bedeutung / Nicht alle beschränken sich auf ihr berufliches Mandat
Martina Meckelein

Ehrenamtliche Arbeit ist, wie der Name schon sagt, eine ehrenvolle Aufgabe, grundsätzlich für einen guten Zweck, immer dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet und das auch noch, ohne ein Entgelt dafür zu verlangen. Um so mehr, wenn man ehrenamtlicher Vormund von einem der über 4.000 minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingskinder wird, die in Berlin leben. 

Als im vergangenen Jahr die Berliner Rechtsanwaltskammer und der Anwaltsverein ihre Mitglieder dazu aufriefen, eine ehrenamtliche Vormundschaft für solch ein Kind zu übernehmen, boten bis Dezember 2016 über 900 Anwälte ihre Dienste an. Nur so nebenbei: Zum 1. Januar 2016 zählte die Berliner Rechtsanwaltskammer rund 14.000 Mitglieder. Allerdings könnte dieser Aufruf ein paar kleine Schönheitsfehler beinhalten: Denn die Frage steht im Raum, ob Rechtsanwälte überhaupt unentgeltlich tätig werden dürfen? Und ob das Ehrenamt als Werbung von einzelnen Kanzleien zweckentfremdet wird?

Die JUNGE FREIHEIT auf Spurensuche. Und die führt erst einmal übers Meer. Pro Bono Publico – zum Wohle der Öffentlichkeit. Im anglo-amerikanischen Rechtsraum übernehmen Kanzleien schon lange gegen ein geringes Entgelt oder sogar kostenlos Rechtsfälle vor Gericht. 

Durch die Berufsordnung Grenzen unterworfen

Das liegt auf der einen Seite daran, daß es dort keine Rechtsschutzversicherung gibt, und auf der anderen Seite daran, daß die Übernahme interessanter Pro-Bono-Mandate überaus medienwirksam vermarktet werden kann. Nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber. Für den Angeklagten wie für den Verteidiger eine Situation, von der beide profitieren.

In Deutschland setzt sich diese Art der professionellen, kostenlosen und anwaltlichen Vertretung erst langsam durch. Zumal sie durch die anwaltliche Berufsverordnung auch engen Grenzen unterworfen ist. So berichtete im Dezember 2012 die Legal Tribune: „Paragraph 48b der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verbietet es nämlich, im vorhinein geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) vorsieht. Auf den noch recht jungen Paragraphen 6 des Rechtsdienstleistungsgesetzes, wonach jedermann kostenlose Rechtsberatung erteilen kann, kann sich ein Anwalt nicht berufen.“ Ein Anwalt sei schließlich nicht jedermann, so die Legal Tribune.

„Als 2015 verschiedene Rechtsanwaltskammern ihre Mitglieder dazu aufriefen, ehrenamtlich eine Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu übernehmen, umgingen sie elegant das Problem, daß Rechtsanwälte gar nicht unentgeltlich tätig werden dürfen“, beurteilt ein Anwalt der JUNGEN FREIHEIT gegenüber diesen Aufruf zur Übernahme von Vormundschaften. „Hier werden die Grenzen zwischen Pro-Bono und Ehrenamt verwischt.“

Das sieht der Geschäftsführer des Berliner Anwaltvereins, Christian Christiani, ganz anders. Christiani zur jungen freiheit: „Ehrenamtliche Tätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ist selbstverständlich zulässig und zum Glück in vielen Bereichen zu finden. Der Berliner Anwaltsverein setzt sich an vielen Stellen für ehrenamtliche anwaltliche Hilfe ein: zum Beispiel bei Schulbesuchen von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, bei unseren ehrenamtlichen Hartz-IV-Beratungsaktionen, bei der Rechtsberatung für bedürftige Jugendliche und bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen. Wir sind stolz darauf, daß sich so viele Anwältinnen und Anwälte hier engagieren und kostenlose Hilfe leisten!“

Aber es gibt einen weiteren Grund, warum diese besondere Art der Ausübung des Ehrenamtes zu hinterfragen ist: Gerade im Zusammenhang der Flüchtlingswelle, die seit 2015 über Deutschland hinwegrollt, beginnen Anwälte sich auf speziell Flüchtlinge betreffende Rechtsgebiete in Deutschland zu spezialisieren. Die Internetseite Flüchtlingsinfo-berlin.de hat beispielsweise unter dem Stichwort Flüchtlingsberatung 108 Seiten zusammengestellt, auf denen bundesweit Adressen und Telefonnummern aufgelistet werden, unter denen sich Flüchtlinge Hilfe organisieren können. Allein zehn Seiten davon: ausschließlich Anwälte aus Berlin!

Mehrmals im Jahr treffen sich die Anwälte der Rechtsberaterkonferenz. Deren Eigenbeschreibung: „Sie ist ein Zusammenschluß von Rechtsanwältinnen und Rechts­anwälten, die in Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden Caritasverband (DCV), Diakonie Deutschland und Deutsches Rotes Kreuz (DRK) sowie dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) es sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht haben, Rechtsberatung für Asylsuchende und ausländi­sche Flüchtlinge durch­zuführen.“ Die Mitglieder veranstalten regionale und bundesweite Treffen, geben Schriften mit praktischen Ratschlägen und Anleitungen für die Betreuung von Flücht­lingen heraus und kommentieren Flüchtlingspolitik.

Darüber hinaus gibt es seit vergangenem Jahr den Fachanwalt für Migrationsrecht. Zwar scheiterte die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) im März 2015 noch im ersten Anlauf auf der 5. Satzungsversammlung, einen neuen Fachanwaltstitel einzuführen. „Eine satzungsändernde Mehrheit hat diese Fachanwaltschaft damals allerdings insbesondere deshalb nicht erhalten, weil sich viele Mitglieder der Satzungsversammlung vor der Beschlußfassung nicht hinreichend mit den Voraussetzungen dieser Fachanwaltschaft befassen konnten“, sagt Rechtsanwalt Christian Dahns als Geschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer zur jungen freiheit. Doch in der ersten Sitzung der aktuellen Legislaturperiode wurde von der Satzungsversammlung der Fachanwalt für Migrationsrecht beschlossen. Er ist seit dem 1. März 2016 Realität.

Nutzen Anwälte Ehrenamt für Praxisnachweis?

Die Bezeichnung „Fachanwalt“ ist die Expertise, mit der ein Anwalt nach außen glaubhaft vertritt, daß er auf einem bestimmten Rechtsgebiet eine Qualifikation in Theorie und Praxis nachweisen kann. Praxis heißt eine bestimmte Anzahl an nachweisbaren Mandaten. Für einen Fachanwalt für Migrationsrecht müssen mindestens 80 Fälle aus dem Staatsangehörigkeitsrecht, der Verlängerung von Aufenthaltstiteln oder dem Asylverfahrensrecht nachgewiesen werden. Seitens einiger Anwälte wird nun vermutet, daß solche Praxisnachweise diese kostenlosen, ehrenamtlichen Vormundschaften unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge sein könnten.

Über diese Frage entscheidet nun aber nicht die Bundesrechtsanwaltskammer, sondern die regionalen Rechtsanwaltskammern. „Diesen obliegt allein die Auslegung und Anwendung des anwaltlichen Berufsrechts“, sagt Dahns der jungen freiheit.