© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Beschädigung einer Ikone
Neue Stasi-Vorwürfe gegen Lech Walesa: Cui bono?
Wolfgang Kaufmann

Als Vorsitzender der oppositionellen polnischen Gewerkschaft Solidarnosc erlangte der Danziger Werftarbeiter Lech Walesa in den 1980er Jahren weltweite Berühmtheit, was dann 1983 auch zur Verleihung des Friedensnobelpreises führte. Um die Widerstandsbewegung gegen das kommunistische Regime zu schwächen, lancierte das polnische Stasi-Pendant Sluzba Bezpieczenstwa (SB) seinerzeit Gerüchte über eine heimliche Kooperation Walesas mit dem staatlichen Sicherheitsdienst. 

Anlaß hierzu bot die von dem Gewerkschaftsfunktionär tatsächlich abgegebene, aber nur ganz allgemein gehaltene Loyalitätserklärung, welche dieser unterzeichnet hatte, als er Ende 1970 wegen illegaler Streikaktivitäten im Gefängnis saß und um sein Leben fürchten mußte. Der Hauptverantwortliche für die damalige Verleumdungskampagne war Innenminister General Czeslaw Kiszczak, ein Hardliner ersten Ranges und treibende Kraft bei der Verhängung des Kriegsrechts 1981.

Und genau selbiger Mann sorgt nun – obzwar bereits am 5. November 2015 verstorben – erneut dafür, daß Walesa ins Zwielicht gerät. Denn kurz nach seinem Tode beschlagnahmte die staatsanwaltliche Abteilung des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), welches sowohl für die wissenschaftliche als auch die strafrechtliche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Polens zuständig ist, das Privatarchiv Kiszcaks, in dem sich unter anderem ein Aktenkonvolut über den angeblichen SB-Agenten „Bolek“ alias Lech Walesa fand.

Die Papiere, von deren Inhalt die Öffentlichkeit im Februar 2016 erfuhr, sollen belegen, daß der Gewerkschaftsführer von 1971 bis 1976 diverse Spitzelberichte an den Geheimdienst geliefert und dafür Geld erhalten habe. Das freilich bestritt Walesa unter Verweis auf die früheren Machenschaften Kisczaks. Hieraufhin veranlaßte das IPN ein graphologisches Gutachten, dessen Hauptaussage nun seit dem 31. Januar durch sämtliche Medien geht: die Handschriften von „Bolek“ und Walesa seien offenkundig identisch.

Dabei sind aber weiterhin Zweifel angebracht. Immerhin zählt die Ikone der Arbeiterbewegung, die 1990 zum Staatspräsidenten aufstieg, zu den schärfsten Kritikern der derzeit regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), welche seit Herbst 2015 zahlreiche ihrer Gefolgsleute im IPN unterbrachte und alles daransetzt, den 2010 beim Flugzeugabsturz von Smolensk verunglückten Lech Kaczynski zum „wahren Helden“ des antikommunistischen Befreiungskampfes zu stilisieren.