© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Freigekauft
Biographisch mit der DDR verwoben: Der Literaturwissenschaftler Jörg B. Bilke wird achtzig
Thorsten Hinz

Auf den Sommerfesten der JUNGEN FREIHEIT ist er nicht zu übersehen: Ein vitaler, freundlicher Mann mit weißem Haar, der über das literarische Leben bestens im Bilde ist und vor neuen Fundstücken und Anekdoten übersprudelt: Jörg Bernhard Bilke, Literaturwissenschaftler, Journalist und langjähriger Autor dieser Zeitung. Sein besonderes Interesse galt und gilt Autoren aus der Ex-DDR, und zwar besonders jenen, die seinerzeit vom Staat geschurigelt wurden. Das hat einen einschneidenden persönlichen Grund. Bilkes Biographie und die DDR-Literatur sind auf geradezu schicksalhafte Weise miteinander verwoben.

Am 9. September 1961 wurde er, ein 24jähriger Germanistikstudent aus Mainz, auf dem Leipziger Karl-Marx-Platz (heute wieder: Augustusplatz) festgenommen. Drei Tage zuvor war er arglos mit dem Motorrad zur Messe angereist, um neue DDR-Belletristik zu kaufen und mit dem Literaturprofessor Hans Mayer über ein Studiensemester an der Leipziger Universität zu sprechen. Er wußte nicht, daß er sich längst im Visier der Stasi befand. Den DDR-Behörden war nicht entgangen, daß Bilke bei einem ersten Leipzig-Besuch im Oktober 1959 die Ehefrau des Schriftstellers Erich Loest besucht hatte, der 1957 als angeblicher Staatsfeind zu acht Jahren Haft verurteilt worden war. Die Späher hatten auch die DDR-kritischen Artikel in einer Studentenzeitschrift und Kontakte zum Bloch-Schüler Gerhard Zwerenz bemerkt, der in den Westen geflüchtet war. Sie identifizierten Bilke als Spinne in einem konterrevolutionären Netz. Er wurde angeklagt, „die politisch-ideologischen Grundlagen der Arbeiter-und-Bauernmacht“ zu untergraben. Die Strafe lautete auf dreieinhalb Jahre Zuchthaus. 

Hans Mayer und die Schriftstellerin Anna Seghers – eine gebürtige Mainzerin – intervenierten bei den staatlichen Stellen, doch erst im August 1964 konnte Bilke von der Bundesregierung für 40.000 D-Mark freigekauft werden. Er verfaßte eine Dissertation über das Frühwerk von Anna Seghers, war in Schweden Gastdozent für DDR-Literatur und später Redakteur bei der Tageszeitung Die Welt, wo er sich vor allem Autoren aus der DDR widmete. Hermann Kant, linientreuer Präsident des Schriftstellerverbandes, rechnete ihn zur feindlichen Viererbande im westdeutschen Feuilleton und monierte 1979 im SED-Zentralorgan Neues Deutschland, „daß es die Raddatz, Corino, Wallmann und Bilke sind“, die über den Wert der DDR-Literatur befinden.

Siebzehn Jahre lang war er Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz des Ostdeutschen Kulturrates in Bonn. Die Kultur der Vertreibungsgebiete bildet Bilkes zweiten großen Interessenbereich. 

Am 10. Februar begeht er seinen 80. Geburtstag.