© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Hehre Ziele – wenig Interesse an Transparenz
Unternehmensnahe Stiftungen: Für die Öffentlichkeit ist es oft schwer nachzuvollziehen, ob sie neben gemeinnützigen auch politische Interessen verfolgen
Christian Schreiber

Auf dem Twitter-Account der Bertelsmann-Stiftung herrscht in aller Regel reges Treiben. Die unternehmensnahe, aber offiziell gemeinnützige Organisation mischt sich gern in das politische Tagesgeschäft ein. Unlängst sorgte ihr Vorstoß, die Beihilfe für Beamten abzuschaffen und diese in die Gesetzliche Krankenkasse einzugliedern, für Aufruhr. 

Ärzteverbände warfen der Stiftung vor, sich „in den Wahlkampf einzumischen“ und Lobbypolitik zu betreiben. Aus dem Hause Bertelsmann erwidert man zu diesen Vorwürfen bis dato  nichts. Dieses Schweigen ist ein Hauptkritikpunkt einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) für Sozialforschung, die Anfang des Jahres erschienen ist und sich mit dem Thema „Unternehmensnahe Stiftungen im Spannungsfeld zwischen Gemeinwohl und Partikularinteressen“ auseinandersetzt. 

Nur 34 Prozent geben Tätigkeitsberichte heraus 

„Über die Hälfte der von uns untersuchten Stiftungen machen keine Angaben zu Mittelverwendung, Mittelherkunft oder über das Stiftervermögen. Auch veröffentlichen nur 36 Prozent ihre Satzung oder nehmen an der Initiative Transparente Zivilgesellschaft teil“, erklärt die Autorin Anja Hirsch. Für die Öffentlichkeit sei in aller Regel nicht nachzuvollziehen, ob die Stiftungen neben gemeinnützigen auch politische Interessen der Eigentümer oder Unternehmen verfolgten. 

Ins Zentrum der Kritik ist dabei auch die Bertelsmann-Stiftung geraten, der vorgeworfen wird, gesellschaftliche Mißstände in ihren Studien aufzuzeigen und auf anderen Geschäftsfeldern entsprechende Produkte anzubieten. Neben der Organisation aus dem Hause Bertelsmann wurden auch große Einrichtungen wie die Bosch-Stiftung, die Mercator-Stiftung oder die von der Lidl-Gruppe gegründete Dieter-Schwarz-Stiftung untersucht. „Bei 41 Prozent von ihnen gibt es eine Überschneidung von Stiftungsaktivitäten und Geschäftsfeldern des Unternehmens“, stellt Autorin Hirsch fest, die darin „zwingend eine Interessenkollision“ sieht. Die Frage, inwiefern unternehmensnahe Stiftungen ein Eigeninteresse verfolgen, lasse sich aber nur schwer belegen, weil kaum öffentliche Daten vorlägen: „In Deutschland sind Stiftungen nicht verpflichtet, Angaben zu Tätigkeit, Gremien oder Mittelverwendung zu veröffentlichen. Ihre Arbeit bleibt daher oft intransparent. Dennoch werden diesen Stiftungen steuerliche Vorteile eingeräumt“, heißt es in der Studie, in der die Arbeit von 61 Stiftungen untersucht wurden. 

Die Mehrheit arbeite dabei intransparent: lediglich 36 Prozent veröffentlichten ihre Satzung und nur 34 Prozent gäben regelmäßig einen Tätigkeitsbericht heraus. Mehr als die Hälfte mache gar keine Angaben zum Stiftungsvermögen, der Mittelherkunft und – Verwendung. Zudem hätten nur elf Prozent die Erklärung der Initiative Transparente Zivilgesellschaft unterschrieben, die in zehn Punkten definiert, welche Angaben jede zivilgesellschaftliche Organisation der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. 

Rund 19.500 Stiftungen gibt es hierzulande, schätzt der Bundesverband Deutscher Stiftungen. Rund 1.500 von ihnen werden als „unternehmensnah“ bezeichnet. Und es werden immer mehr.  Einheitliche Regelungen zu finden, sei daher sehr schwer.  Nach außen verfolgen die meisten Stiftungen hehre Ziele. Die größte deutsche Einrichtung dieser Art, die Robert-Bosch-Stiftung, erklärt auf ihrer Internetseite, daß es ihre Aufgabe sei, „das Gemeinwohl und die Entwicklung der Bürgergesellschaft“ zu fördern. Nach Recherchen der Zeit verfügt sie über eine finanzielle Grundausstattung von fünf Milliarden Euro. Die BMW-Stiftung Herbert Quandt gibt als erklärtes Ziel an, die „Lösung gesellschaftlicher Probleme“ voranzutreiben. 

Etwa 500 unternehmensnahe Stiftungen werden direkt aus Firmenvermögen finanziert und arbeiten als eine Art Zweigstelle, an die Unternehmen ihre gemeinnützigen Aktivitäten auslagern. Dazu gehören etwa die Deutsche Bank, Schering oder auch die Deutsche Telekom. Wie das Handelsblatt berichtet, gehören Unternehmensstiftungen zu den reichsten des Landes. 17 Prozent von ihnen verfügten über einen Kapitalstock zwischen zehn und 100 Millionen Euro.

Bei der „Gremienanalyse“ der 61 vom WZB untersuchten Stiftungen haben die Forscher festgestellt, daß es sich bei den Vorständen in vielen Fällen um  eher geschlossene Zirkel handelt. „Die Gremien der von uns untersuchten unternehmensnahen und als gemeinnützig anerkannten Stiftungen können als höchst elitär gelten. Sie werden von einer akademischen, bei weitem überwiegend männlich dominierten und in hohen gesellschaftlichen Positionen befindlichen Personengruppe geleitet.“ In 20 Prozent aller Fälle hätten Stiftungsvorstände auch „höherrangige Funktionen“ im Unternehmen. 

Nur die Piraten machen auf Probleme aufmerksam   

Über die Frage, ob die bloße Überschneidung von Stiftungszweck und Unternehmenszielen schon ehrenrührig sei, herrscht Uneinigkeit. Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, hält dies im Gespräch mit dem Deutschlandfunk jedenfalls für nicht problematisch. „Die Autobauer beschäftigen sich mit der Verkehrstechnologie der Zukunft. Und die Energieunternehmen beschäftigen sich mit der Frage, wie kann man erneuerbare Energien erzeugen, vermarkten, weiterleiten. Da sind die Forschungsthemen und die Unternehmensthemen nahe beieinander. Und auch bei der Digitalisierung der Bildung.“ 

Die Bertelsmann-Stiftung, so Schlüter weiter, könne schlecht sagen, nur da das Unternehmen sich mit dem Thema beschäftige, halte sie sich da heraus. Es sei eben ein „Megathema unserer Gesellschaft, wie die Digitalisierung“ sich auf unsere Bildungssysteme auswirke. 

„Als skandalös“ wertet dagegen die Fraktion der Piratenpartei im Landtag von Nordrhein-Westfalen diese Überschneidungen. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen vor dem wahrscheinlichen parlamentarischen Aus im Frühjahr stellte die Fraktion eine Anfrage an die Landesregierung, die die Verquickung von Bertelsmann, seiner Stiftung und dem Land NRW offenlegen sollte. 

Die Antwort umfaßte 50 Seiten und fiel dennoch dürftig aus. Piraten-Sprecher Joachim Paul nannte sie „beschämend“ und warf der rot-grünen Landesregierung einen Mix aus Desinteresse und Wegschauen vor. Man sehe die Bertelsmann-Stiftung als neutralen Thinktank, obwohl Bertelsmann im Lobbyregister der EU in Brüssel schon als drittgrößter Lobbyist geführt werde. Die Regierung habe 86 Aufträge an Bertelsmann vergeben, Aufwendungen von 6,7 Millionen Euro etwa für das Service Center der Landesregierung. Dies mag ein Einzelfall sein, deckt sich aber mit den Erkenntnissen der WZB-Studie. Denn ein großer Teil der unternehmensnahen Stiftungen betreibe Politikberatung und tue dies nicht ohne Grund. Oft seien die Übergänge zwischen Lobbyismus und Forschung fließend. 

So nimmt die Studie Bezug auf den Fall der Boehringer-Ingelheim-Stiftung. Andreas Barner war einige Jahre zeitgleich Stiftungschef und Vorstand des Pharma-Riesenkonzerns Boehringer-Ingelheim. Ab 2009 hatte die Stiftung an der Universität Mainz mit erheblichen finanziellen Mitteln das Institut für Molekulare Biologie gefördert. Im Gegenzug, so berichteten die taz und die Frankfurter Allgemeine habe man sich von der Universität weitreichende Mitsprache bei der Berufung der Professoren und Zugriff auf medizinische Studien der Universität an zigtausend Probanden einräumen lassen. 

In einer gemeinsamen Erklärung wiesen beide diese Vorwürfe zurück und unterstrichen, daß die getroffenen Vereinbarungen „ausschließlich die gemeinnützige Förderung der biologischen Grundlagenforschung in und an der Universität zum Gegenstand“ hätten und „keinesfalls anwendungsorientierte Forschung im Geschäftsbereich eines Unternehmens“ betreffen würden. Stifterverbands-Sprecher Schlüter mochte dazu gegenüber der FAZ nichts sagen. Und das hat einen Grund. Denn An Barner hat noch ein Ehrenamt inne. Er ist Präsident des Verbands und damit Vorgesetzter von Schlüter. 

Das Unding mit der Stipendienvergabe 

Deutlicher wird dagegen Studien-Autorin Anja Hirsch: „Rund 43 Prozent der von uns untersuchten unternehmensnahen Stiftungen betreiben Politikberatung und können insofern als Thinktanks, mithin als Organisationen politiknaher Forschung und Beratung, definiert werden.“ Dies sei eine klassische Form des Lobbyismus.

 Neben Politik und Wirtschaft haben die Stiftungen noch ein drittes Steckenpferd. Sie vergeben gern Stipendien; auffallend ist hier die Häufung junger Journalisten. „Wie Stiftungen Journalismus fördern können“ heißt eine Broschüre, die der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) im Dezember 2016 gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen veröffentlichte. Für den freien Journalisten Matthias Holland-Letz ist dies ein Unding. „Der DJV sollte besser dazu anregen, die Lobbyarbeit des Bundesverbandes zugunsten immer neuer stiftungsfreundlicher Gesetze zu untersuchen. Ihm ist mit zu verdanken, daß der Gesetzgeber die steuerliche Förderung von Stiftungen seit dem Jahr 2000 enorm ausgebaut hat“, schreibt er. Und er fördert erstaunliches zutage. Correctiv, angeblich Deutschlands erstes Recherchebüro für gemeinnützigen Journalismus, sei eine Gründung der Essener Brost-Stiftung.  Die verstorbene Verlegerin Anneliese Brost war maßgeblich am Aufbau der heutigen Funke-Mediengruppe beteiligt. Kritische Veröffentlichungen über die Lobbyarbeit bestimmter Stiftungen seien daher nicht zu erwarten, schreibt Holland-Letz.

Foto: Das Wissenschaftszentrum Berlin untersuchte 61 „unternehmensnahe“ Stiftungen: Ergebnis: Sie seien zwar nicht verpflichtet, Angaben zu Tätigkeit oder Mittelverwendung zu veröffentlichen, daher bleibe ihre Arbeit auch oft intransparent. Dennoch erhielten sie steuerliche Vorteile