© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Alles Walzer!
Vom Wiener Kongreß zum Wiener Akademikerball
Verena Inauen

Der Schmuck wird aus dem Schrank geholt, die glitzernden Handtaschen der Damen abgestaubt und die Fliegen der Männer neu gebunden. Wer nicht vergeben ist, macht sich verzweifelt auf die Suche nach einer Begleitung. Wie jedes Jahr viel zu spät. Für Tausende Besucher steht der traditionsreiche Akademikerball in Wien an. Die fünfte Jahreszeit in Österreich hat begonnen.Die Ballsaison ist eröffnet.

Während sich die Karnevalssüchtigen in Deutschland bunte Masken in Form von Trickfiguren oder Berühmtheiten überwerfen, binden sich die Damen in Wien zur Faschingszeit filigrane Masken um das Gesicht. Zwischen Ende November und dem Faschingsdienstag finden allein in der Donaumetropole nahezu täglich die verschiedensten Bälle statt, manchmal sogar gleichzeitig. Und das müssen sie auch, denn bis zum Aschermittwoch erhebt jedes Bundesland, jeder Berufsstand und nahezu jedes Studienfach seinen Anspruch auf einen prunkvollen Abend in der Wiener Hofburg, dem einstigen Sitz des Kaisers, dem Wiener Rathaus oder der Wiener Oper. 

Der Wiener Kongreß tanzte Walzer

Vom Kaffeesieder, Zuckerbäcker und Floristen bis hin zum Arzt, Techniker oder Offizier findet jeder seinen eigenen persönlichen Höhepunkt im Ballkalender. Während bis zum Jahreswechsel meist kleinere Tanzveranstaltungen stattfinden, bildet der Silvesterball als ehemaliger Kaiserball den Auftakt in die glamouröse Tanzsaison. Ihm folgen der Offiziersball, der Philharmonikerball, der Jägerball, der Akademikerball als ehemaliger Ball des Wiener Korporationsringes und der wohl bekannteste aller Wiener Bälle: der Opernball. Während ein Meer an Süßigkeiten die Gäste zum Bonbonball lockt, verwandelt der Jägerball die Hofburg in ein schickes Tanzrevier. Doch auch für die vielen aus den neun Bundesländern nach Wien Zugewanderten findet sich mit dem Ball der Oberösterreicher, der Tiroler oder Niederösterreicher ein Heilmittel gegen Heimweh.

Gemeinsam ist ihnen allen ein strenges Zeremoniell und eine mehr oder minder feste Kleiderordnung. Ein Frack, Smoking oder dunkler Anzug für Männer und ein bodenlanges Abendkleid oder manchmal auch Tracht für die Damen ist dabei ein Kriterium für den Einlaß zu den Veranstaltungen. Der Grund dafür ist im 18. Jahrhundert zu finden. Masken und Kostüme konnten sich nur Adelige leisten. Sie trugen beides zu privaten und geschlossenen Veranstaltungen, wenn sie sich zum abendlichen „Dantz“ trafen. Der Begriff „Ball“ hielt erst später Einzug in den Sprachgebrauch. Um aber das Volk bei Laune zu halten, lud Joseph II. die Öffentlichkeit als Ausgleich für das Verbot einmal jährlich zu Tanzveranstaltungen in den Redoutensälen der Wiener Hofburg ein.

Dabei schauten sich die Wiener die höfischen Sitten dieser Feiern vom Adel ab und behielten sie bis heute bei: Aufwendige Hochsteckfrisuren, weiße Herrenhandschuhe, die Eröffnungsfanfaren, der Einzug der Debütantinnen und Debütanten, Tanzordnungen und Musikwechsel sowie die sogenannte Mitternachtseinlage, meist eine Quadrille, zeugen bis heute von der Donaumonarchie. Zur Tradition gehören aber auch die Damenspende, ein ausgewähltes Geschenk für jede Besucherin, und der sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannte Ausruf „Alles Walzer!“

Doch die um 1800 erstmals festgehaltenen Drehbewegungen im Dreivierteltakt irritierten die höhere Gesellschaft zunächst. Der Paartanz mit engem Körperkontakt bot Anstoß zu moralischer Entrüstung und wurde kritisch beäugt. Als jedoch in den Jahren 1814 und 1815 der Wiener Kongreß in der Hofburg tagte, um Europa nach Napoleons Feldzügen wieder neu zu ordnen, wurden die Schritte salonfähig. Die politische Arbeit war nämlich so reichlich von Bällen begleitet, daß ihre Teilnehmer reichlich Gelegenheit hatten, den Walzer zu üben und der legendäre Spruch „Der Kongreß tanzt!“ entstanden ist. Doch was der Kongreß tanzte, war schließlich nachhaltiger als jeder strategische Beschluß: Der Wiener Walzer wurde zum König der Tänze gekürt.

Und Melodien wie „An der schönen blauen Donau“ wurden später als Donauwalzer auf der ganzen Welt berühmt. Als zweite Hymne wird sie traditionell zum Jahreswechsel auch außerhalb der Ballsäle in ganz Österreich um Mitternacht gespielt. Den Grundstein für den Erfolg legte aber schon Strauss’ Vater mit 152 gelungenen Walzer-Kompositionen, die jährlich rund 300.000 Ballgäste auf den 450 Bällen in Wien begeistern.