© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Asiatische Werte contra Menschenrechte
Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen: Singapur reglementiert Einwanderung, um soziale Stabilität zu garantieren
Oliver Busch

Singapur, Stadtstaat und Inselrepublik, bis 1963 britische Kronkolonie, seit 1965 ein rundum souveräner, autokratisch von der sozialistischen People’s Action Party (PAP) regierter Staat, übt auf Migrationsforscher starke Anziehungskraft aus. Weil sie hier wie im Brennglas Konvulsionen studieren können, denen ein Einwanderungsland ausgesetzt ist.

Auf dem Weg in die Selbständigkeit und ein paar Jahre darüber hinaus schwamm auch das einstige Zentrum des britischen Fernost-Handels auf der Wirtschaftswunderwelle, die nach 1945 vornehmlich Westeuropa und Nord-amerika Massenwohlstand und Bevölkerungswachstum bescherte. Wie im Westen, brachen in den 1970ern jedoch mit dem konjunkturellen Abschwung die Geburtenraten ein. Und wie im Westen glaubte man, die drohende Arbeitskräftelücke mit Zuwanderung schließen zu können. Hier enden freilich die historischen Parallelen. Denn ideologische Motive, mit „humanitären Pflichten“ bemäntelte Begründungen, wie sie Bundesdeutsche und Skandinavier geltend machten, oder aus kolonialer Vergangenheit abgeleitete „Verantwortung“, wie sie Briten, Franzosen oder Niederländer für ihre ebenso naiv-generöse Immigrationspolitik reklamierten, wären den PAP-Granden nie in den Sinn gekommen.

In den frühen 1990ern, als die „Singapur-Schule“ die „asiatischen Werte“ gegen den westlichen Universalismus der Menschenrechte auszuspielen begann und Samuel Huntingtons These von dem in der Unvereinbarkeit ihrer Normen und Werte wurzelnden Kampf der Kulturen vorwegnahm, setzte die PAP-Führung diesen Kulturrelativismus in praktische Politik um. „Menschenrechtliche“ Erwägungen schieden für sie daher von vornherein bei der Planung und Kontrolle von Einwanderung aus. Stattdessen sortierte sie nach erwünschten und weniger erwünschten Zuzüglern. 1988 wurde der Begriff „foreign talents“ für Facharbeiter und Hochqualifizierte eingeführt und von dem der „foreign workers“, geringqualifizierten Arbeitern, abgegrenzt.

Rückkehr zu einer rigiden Steuerung von Immigration

Die Kölner Postdoktorandin Tabea Bork-Hüffer, Jahrgang 1983, spezialisiert auf Migrations- und Stadtforschung, beschreibt diese von „strikter Regulierung“ geprägte Einwanderungsgeschichte Singapurs mit dem im bundesrepublikanischen akademischen Milieu zum moralischen Standard gehörenden Empörungsgestus (Universitas, 845/2016). Wobei gerade die ethnische Grundierung, die unter politisch korrekten deutschen Jungforschern allemal als „rassistisch“ gilt, ihren Zorn provoziert. Wage es die PAP doch, Migranten aus Herkunftsländern zu bevorzugen, die historisch und kulturell mit Singapur verbunden sind, weil sie mit dieser Auswahl die „soziale und kulturelle Kohäsion“ des Stadtstaates erhalten und fördern möchte. Quoten für Einbürgerungen sowie für die Vergabe permanenter Aufenthaltsgenehmigungen orientieren sich daher „zum Teil“ an der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung Singapurs.

Doch diese vier Hauptgruppen, Chinesen, Malaien, Inder und „Andere“, so hat es Bork-Hüffer im Proseminar „Dekonstruktion für Anfänger“ gelernt, seien Erfindungen und beruhten auf willkürlicher Kategorisierung. Schon die Vielzahl der Dialekte allein unter zugewanderten Chinesen deute auf Differenz und nicht auf Stabilisierung der Homogenität. Ein realitätsfremdes Urteil, denn den PAP-Planern genügt ein weit auslegbarer Maßstab für Ethnie und Kultur. Hochqualifizierte Chinesen, egal ob sie Mandarin oder Kantonesisch sprechen, stärken demnach den Zusammenhalt des Gemeinwesens. Muslime, gleich ob aus Indonesien oder Indien, tun das nicht. Als potentielle Störer müssen sie daher draußen bleiben.

Offensichtlich als irritierend empfindet Bork-Hüffer, daß eine seit 2010 von der angestammten Bevölkerung im Internet aufgebaute Gegenöffentlichkeit die staatlich kontrollierte, den ökonomischen Nutzen von Zuwanderung propagierende Presse und schließlich sogar die zeitweilig allzu laxe Einheitspartei gezwungen hat, Zuwanderung zu drosseln, Programme zur Geburtenförderung aufzulegen, soziale Verwerfungen, primär die Ausländerkriminalität, offen zu kommunizieren und zur Politik rigider Steuerung von Immigration zurückzukehren, ohne die der fragile Frieden im multikulturellen Staat nicht aufrechtzuhalten ist.

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