© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Viel mehr als Napoleons Schleppenträger
Ein auch 200 Jahre nach seinem Tod verkannter Großer der deutschen Geschichte: Carl von Dalberg (1744–1817)
Hans-Bernd Spies

In der deutschen Geschichtsschreibung wurde er nach seinem Tod mehr als 150 Jahre lang zumeist negativ als Zerstörer des Alten Reiches und als Schleppenträger Napoleons gesehen: der 1744 in Mannheim geborene Carl Theodor Anton Maria Reichsfreiherr von Dalberg, späterer Fürstprimas des Rheinbundes. Allerdings billigte selbst der bayerische Minister Montgelas ihm zu, der einzige deutsche Fürst gewesen zu sein, der gegenüber dem französischen Kaiser Widerspruch zu äußern wagte.

Nach häuslichem Unterricht wurde Dalbergs Erziehung, vor allem auf naturwissenschaftlichem Gebiet, in Würzburg fortgesetzt. Obwohl er der älteste Sohn war, wurde er für die geistliche Laufbahn bestimmt und früh Anwärter auf einen Sitz in den Domkapiteln in Würzburg, Mainz und Worms. Im Herbst 1759 begann er ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Heidelberg, nach zwei Jahren setzte er es für ein Jahr an der Universität Mainz fort, wo er gleichfalls ein Zeugnis erhielt. 

Im Austausch auch mit Goethe und Schiller

Ende 1762 trat er seine Bildungsreise an, die ihn auch nach Rom führte, wo er von Papst Clemens XIII. empfangen wurde und von Winckelmann die Kunstschätze der Stadt gezeigt bekam. In Pavia setzte Dalberg sein Studium fort, so daß er, als er nach einem Aufenthalt in Paris Ende 1764 nach Mainz zurückkehrte, ein insgesamt achtsemestriges rechtswissenschaftliches Studium absolviert hatte.

Anfang 1765 trat der fast 21jährige Dalberg in den Dienst des Erzstiftes Mainz und wurde zum Hofrat ernannt. Damit gehörte er dem für die innere Landesverwaltung zuständigen Regierungskollegium an. Gefördert von Erzbischof und Kurfürst Emmerich Joseph, wurde er mit der Untersuchung der lokalen Verwaltung in verschiedenen Teilen des Erzstiftes betraut, um „Klagen über die allgemeine Unordnung“ nachzugehen. Dalberg erkannte dabei Mißstände und machte sinnvolle Vorschläge zu deren Beseitigung. Zusätzlich zu dieser Tätigkeit wurde der fähige Verwaltungsbeamte 1770 von Erzbischof Emmerich Joseph zum Generalvikar, also zu dessen Vertreter in der geistlichen Verwaltung, ernannt. Dieses Amt übte Dalberg etwa zwei Jahre aus.

Während dieser Zeit wurde er am 5. April 1771 vom Erzbischof zum mainzischen Statthalter in Erfurt ernannt. Wegen seiner Aufgaben als Generalvikar konnte er dieses Amt allerdings erst im Herbst des nächsten Jahres antreten. Am 8. Oktober 1772 traf er in Erfurt ein, und zwar früher als erwartet, um besondere und für die Stadt kostspielige Begrüßungsfeierlichkeiten, die seinem bescheidenen Charakter zuwider waren, zu umgehen. Für fast drei Jahrzehnte sollte die Stadt fortan sein Lebensmittelpunkt sein, auch wenn er nicht zuletzt wegen seiner Mitgliedschaft in drei Domkapiteln öfter längere Reisen unternehmen mußte.

In seiner Eigenschaft als Statthalter von Erfurt hatte Dalberg gleichsam den Rang eines Regenten im territorial zersplitterten Thüringen. Entsprechend waren enge Kontakte zu den benachbarten Höfen in Gotha und Weimar für ihn selbstverständlich, und es fanden häufig gegenseitige Besuche statt, die eher freundschaftlichen als förmlichen Charakter hatten. Zu diesem Freundeskreis gehörte recht bald nach seinem Eintreffen in Weimar auch Goethe, mit dem Dalberg nicht nur auf die Jagd ging, sondern auch dessen Untersuchung über die Farbenlehre mit ausführlichen kritischen Kommentaren versah.  

In Erfurt setzte Dalberg sich für verschiedene Reformen auf dem Gebiet des Feuerschutzes, der medizinischen Versorgung und des Bildungswesens ein. Die dortige Akademie der Wissenschaften wurde von ihm wiederbelebt, und er selbst trug mit eigenen Beiträgen über historische, naturwissenschaftliche und philosophische Themen dazu bei. Seine Residenz, die Statthalterei, wurde zu einer Begegnungsstätte von Gelehrten und Künstlern; wöchentlich einmal durfte dort nachmittags jeder Bürger zu den von Dalberg eingeführten Assembleen kommen. Bei einem der Besuche Schillers wurde diesem vom Statthalter empfohlen, sich eher dem Drama als historischen Darstellungen zu widmen.

Eine Wende in Dalbergs Leben brachte das Jahr 1787: Nach einem harten, auch mit Bestechungsgeldern ausgetragenen Ringen zwischen Österreich und Preußen um die Stimmen im Mainzer Domkapiel wurde er zum Coadjutor und künftigen Nachfolger des Erzbischofs Friedrich Carl Joseph gewählt. Zunächst wurde er 1800 Fürstbischof von Konstanz und erst 1802 Erzbischof von Mainz. Damals gehörte das linksrheinische Gebiet bereits über ein Jahr zu Frankreich.

Reformideen für das Reich scheiterten am Kaiser

Bereits nach seiner Wahl hatte Dalberg, der künftige Reichserzkanzler, sich mit Reformvorschlägen an den Kaiser in Wien gewandt, aber keinen Erfolg erzielt. Dies und weitere Enttäuschungen für die mainzische Politik führten zu einer Entfremdung vom Kaiserhaus. Als das Reich unter französischem Druck durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 neu geordnet wurde, blieb er Reichsfürst. Im 1806 gegründeten, unter dem Protektorat Napoleons stehenden Rheinbund, dessen Mitglieder aus dem anschließend aufgelösten Reich austraten, bekleidete er die Würde eines Fürstprimas und wurde zuletzt 1810 Großherzog von Frankfurt. 

Während andere ehemalige Reichsstände wie das von Napoleon zum Königreich erhobene Bayern 1813 die Seite wechselten, blieb Dalberg, der in Napoleon den Erneuerer des Reiches gesehen hatte, diesem auch nach dessen Niederlage treu. Er zog sich schließlich nach Regensburg zurück, wo er, als Unterstützer der Armen verehrt, nach einem Schlaganfall am 10. Februar 1817 starb.