© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Viele Frauen wollen ihr nicht mehr folgen
Streit: Die „Emma“-Gründerin Alice Schwarzer liegt im Clinch mit einer neuen Generation selbstbewußter Feministinnen
Mina Buts

Alice Schwarzer schlägt zurück. In den vergangenen Jahren wurde ihr heftig zugesetzt: Erst wurde sie wegen Steuerhinterziehung belangt, weil sie ihren von der Stadt Köln mietfrei erhaltenen Turm gegen Geld an ihre eigene Redaktion weitervermietete. Dann wurde ihr vorgeworfen, mit ihrer dominanten Art alle frauenpolitischen Initiativen, die nicht in ihrem Sinn waren, schon im Keim zu ersticken, und zuletzt mußte sie sich auch noch von den Feministinnen der „Dritten Welle“, jenen gut ausgebildeten und popkulturell vernetzten Frauen, anhören, sie sei rassistisch angehaucht und rede seit Jahrzehnten an der Befreiung der Frau vorbei.

Mit diesen Feministinnen der dritten Generation rechnet Emma nun gründlich ab: „Hetzfeministinnen“ werden sie in der aktuellen Jubiläumsausgabe zum 40jährigen Bestehen der Zeitschrift genannt. Ihr Eintreten für Pornographie, für Prostitution, für das Kopftuch und sogar die Burka zeige, daß bei ihnen der Kampf gegen Sexismus und Rassismus keine Rolle mehr spiele. Statt dessen übten sie mit „Denkverboten“ und „Political Correctness“ eine „Bevormundung im Sinne des ‘Right-Feminism’“ aus. 

Endlich erkennt also auch Alice Schwarzer an, daß sie die Deutungshoheit über den Feminismus in Deutschland verloren hat. Mehr als vierzig Jahre lang bestimmte Schwarzer mit genau solchen „Denkverboten“ und genau solcher „Bevormundung“, womit sich die Frauenbewegung in Westdeutschland und später dann im vereinten Deutschland zu befassen habe; sie gab die Themen vor, sie diktierte die Inhalte. Was nicht auf ihrer Agenda stand, konnte kein frauenpolitisches Anliegen sein. 

Als sie 1971 die Kampagne „Wir haben abgetrieben“ initiierte, bei der sich 374 Frauen, darunter prominente wie Romy Schneider und Senta Berger, bekannten, rechtswidrig abgetrieben zu haben, war das der Anstoß für die Debatte um den Paragraphen 218 StGB. Tatsächlich tobten in den siebziger Jahren heftige Auseinandersetzungen zwischen Christdemokraten und Sozialliberalen; die katholische Kirche wetterte, Abtreibung käme einem „Euthanasieprogramm“ gleich, andere forderten, den Paragraph 218 – ähnlich wie in der DDR – ersatzlos zu streichen. Im Ergebnis kam es zu einer „Indikationslösung“, die faktisch einer Freigabe der Abtreibung auf Krankenkassenkosten gleichkam. Eine irgendwie absurde Lösung, wenn man sich vor Augen führt, daß die „Pille“– immerhin war „Anovlar“ bereits ab 1964 erhältlich – weiterhin aus eigener Tasche bezahlt werden mußte.

Ein Buch über Sexualität avancierte zum Renner 

Schwarzers nächster Coup war 1975 die Veröffentlichung von „Der ‘kleine Unterschied’ und seine großen Folgen“. 16 Frauen, die sich vor allem über ihre Sexualität und ihre Beziehung zu Männern auslassen, 16mal das gleiche Fazit: Die Sexualität sei „Angelpunkt der Frauenfrage“ und „Instrument der Unterdrückung der Frauen in allen Lebensbereichen“. Erfüllte Sexualität zwischen Männern und Frauen gibt es für Schwarzer nicht; den vaginalen Orgasmus erklärt sie zum „Mythos“, zwei Drittel aller Frauen seien frigide, und das sei vor allem die Schuld der Männer.

Das Buch avancierte zum Renner. Tausende von Frauen, die seinerzeit aus der kleinbürgerlichen Beschränkung als „Nur-Hausfrau“ drängten, fühlten sich durch Schwarzer endlich wahrgenommen. Schließlich wollten die Errungenschaften der ersten Frauenbewegung um die Jahrhundertwende 1900 auch genutzt werden. Der Zugang zu höherer Bildung bis hin zu Abitur und Studium und die drastische Erweiterung der beruflichen Tätigkeitsfelder. Von einer irgendwie gleichberechtigten Teilhabe der Frauen am Staat war nach den Jahren des Wiederaufbaus allerdings nicht mehr viel übriggeblieben. So durften verheiratete Frauen ohne Einverständnis des Ehemannes beispielsweise nicht berufstätig sein. Den um keinen Deut besseren Gegenentwurf bildete die DDR: Dort waren Frauen zur ganztägigen Berufstätigkeit verurteilt, Kinder wurden schon wenige Monate nach der Geburt in Horten und Kitas ganztags verwahrt.

Vieles änderte die sozialliberale Koalition ab 1969: die Legalisierung der Abtreibung, die Reform des Familienrechts, die Berufsmöglichkeit der Mütter. Nur vor diesem Hintergrund ist das Bahnbrechende des „Kleinen Unterschieds“ zu verstehen. Der Erfolg des Buches verschaffte Schwarzer die finanziellen Möglichkeiten, im Januar 1977 mit einer Startauflage von 200.000 die Zeitschrift Emma auf den Markt zu bringen. Beherrschende Themen waren von Beginn an nicht nur die rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau, sondern auch Familienplanung, Abtreibung, Kinderbetreuung und Prostitution.

Mit der „Dritten Welle“ kehrt Normalität zurück

Umstritten blieben Schwarzers Thesen zur Sexualität: Homosexualität sah sie als „politische Entscheidung“ und „Vollendung des Feminismus“. Doch genau das sahen viele Feministinnen anders. Schon als sie 1978 ihre „PorNo“-Kampagne begann, mit der sie ein gesetzliches Verbot pornographischer Darstellungen forderte und  – allerdings erfolglos – den Fotografen Helmut Newton wegen seiner Nacktfotos von Frauen verklagte, waren nicht alle Frauen bereit, ihr zu folgen. 1988 publizierte Claudia Gehrke im Konkursbuchverlag den Sammelband „Frauen und Pornographie“, der sich ausdrücklich gegen die in der Emma vertretenen Thesen von der „bösen“ Pornographie wandte. Keineswegs sei diese ein Instrument der Männer zur Unterdrückung der Frauen, so der Tenor. Auf die von Nancy Friday beschriebene weibliche Variante des Sadomasochismus reagierte Schwarzer ähnlich: Erotik, so ihre einfache Formel, bedeute für Männer Macht, für Frauen Ohnmacht.

Weil Schwarzer nicht aufhörte, nach der politisch-korrekten Form der Sexualität zu bohren und ihr viele Feministinnen nicht mehr folgen konnten und wollten, geriet der Feminismus Schwarzerscher Prägung ins Hintertreffen. Die Frauen der „Dritten Welle“ interessiert es nicht, ob Prostitution verboten oder erlaubt ist. Sie wissen, daß es immer Prostitution gab und geben wird. Auch ihre Form der Sexualität wollen sie sich nicht vorschreiben lassen.

Natürlich kann man sich über die von ihnen vertretene „Queer“-Theorie, wonach Menschen kein natürliches Geschlecht als Mann oder Frau haben, sondern sich selbst definieren sollen, lustig machen, doch hat Otto Weininger nicht schon vor über hundert Jahren in „Geschlecht und Charakter“ ähnliches angelegt? Was die Frauen der „Dritten Welle“ von der ersten und zweiten Generation des Feminismus unterscheidet, ist ihre Entscheidungsfreiheit. Schuf die Frauenbewegung der Jahrhundertwende die formalen Voraussetzungen für eine Teilhabe der Frauen, so drängte Schwarzer sie in ein ressentimentgeladenes, anti-männliches Ghetto ab. Mit der „Dritten Welle“ ist endlich etwas Normalität zurückgekehrt. Frauen können mit oder ohne Kinder leben, erwerbstätig sein oder auch nicht, ohne daß ihnen ein bestimmter Lebensentwurf vorgeschrieben wird. Mit den Lebenspartnern, die – seien wir ehrlich – immer noch überwiegend männlich sind, findet eine gerechtere Aufgabenteilung statt.

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