© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Der Feind unter meinem Minarett
Ditib: Der Islamverband soll im Auftrag der Türkei auch eigene Mitglieder bespitzelt haben / Bundesländer legen Zusammenarbeit auf Eis
Fabian Schmidt-Ahmad

Die Säuberungswellen, mit denen der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seine Macht ausweitet, erschüttern auch eine Vielzahl hiesiger türkischer Lobbyorganisationen. Allen voran Ankaras wohl mächtigsten Arm im Ausland, die Ditib. Diese sorgt nun durch einen Spitzelskandal in den eigenen Reihen für Aufregung, der Einblick in die innere Struktur des mit über neunhundert Moscheegemeinden größten islamischen Dachverbandes bietet.  

Formal nach deutschem Recht ein eingetragener Verein, ist die „Diyanet Isleri Türk Islam Birligi“ – zu deutsch etwa „Türkisch-islamische Union des Amtes für religiöse Angelegenheiten“ – in Wirklichkeit Teil der staatlichen Religionsbehörde Diyanet. Ihr Führungspersonal wird von Ankara für rund fünf Jahre nach Deutschland entsandt, wo sie vor allem als Imame predigen. Kontrolliert werden die rund fünfhundert Theologen von einem der türkischen Botschaft unterstellten Rat und den einzelnen Konsulaten. Eben dieses Führungspersonal sei vergangenen September in einem Schreiben zu Spionagetätigkeiten angehalten worden, so der jüngste Vorwurf.

Konkret sollten die Imame nach möglichen Anhängern der Gülen-Bewegung Ausschau halten. Der Prediger Fetullah Gülen, einst Förderer Erdogans, überwarf sich mit diesem vor Jahren und wird seitdem von der türkischen Propaganda als Feindbild aufgebaut. Auch hinter dem Putschversuch im Juli stecken angeblich Sympathisanten der Gülen-Bewegung. Listen mit den Namen von 28 Personen und elf Einrichtungen seien daraufhin erstellt und nach Ankara übermittelt worden, berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger. Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen bestätigte, daß auch die Namen von fünf Islamlehrern auf den Listen stünden.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bestätigte Ermittlungen gegen Ditib wegen des Verdachts auf Spionagetätigkeit. Gegenüber der Rheinischen Post räumte Generalsekretär Bekir Alboga die Existenz des Schreibens ein, sprach aber von einem Versehen: „Die schriftliche Anweisung des türkischen Religionspräsidiums Diyanet war nicht an die Ditib gerichtet, trotzdem folgten dem einige wenige Ditib-Imame fälschlicherweise.“ Allerdings soll die Ditib nach einem Bericht des Spiegels auch in den eigenen Reihen nach Gülen-Anhängern geforscht haben. Nach dem Putschversuch habe demnach ein Viertel der Ditib-Imame die Aufforderung erhalten, sich in der Türkei zurückzumelden. 

„Eben noch Imam, dann angeblich Terrorist“

So berichtete der NDR bereits im November vergangenen Jahres über einen Ditib-Prediger und Gülen-Sympathisanten in Norddeutschland, der aus Furcht vor Repressalien untertauchte. „Ich wurde vor der Gemeinde als Terrorist beschimpft. Einen Tag zuvor war ich noch der Imam der Gemeinde, am nächsten Tag angeblich Terrorist“, sagte der Mann dem Sender. 

Als erste Reaktion auf die nun bekanntgewordenen Spionagetätigkeiten schränkten die ersten Bundesländer ihre Zusammenarbeit mit der Ditib ein. Nordrhein-Westfalen setzt die gemeinsame Ausbildung von Islamlehrern erst einmal aus. Auch Niedersachsen hat den eigentlich unterschriftsreifen „Integrationsvertrag“ platzen lassen. „Mit Bedauern“ habe man zur Kenntnis nehmen müssen, daß sich die Rahmenbedingungen für die Vereinbarung mit den muslimischen Verbänden „deutlich verschlechtert“ hätten, teilte Nieder-sachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) mit. Innerhalb dieser Legislaturperiode werde es keinen Vertrag mit den Verbänden geben. Man wolle nicht, daß dieses „wichtige Thema zum Gegenstand einer Wahlkampfauseinandersetzung“ werde, erklärte Weil. Außerdem habe die Ditib innerhalb der eigenen Reihen zu klären, wie ihre Unabhängigkeit von der Türkei gewährleistet sei.

Allerdings dürfen sich deutsche Politiker fragen lassen, warum sie erst jetzt und auch nur durch einen verhältnismäßig harmlosen Konflikt der Ditib gegenüber mißtrauisch werden. Denn immerhin handelt es sich bei dieser um eine Einrichtung des türkischen Staates, der seine deutschen Moscheen bevorzugt nach türkisch-islamischen Eroberern benennt, worauf schon seit Jahren hingewiesen wurde (JF 3/08). Auch ist die Kampagne gegen tatsächliche oder vermeintliche Gülen-Anhänger womöglich nichts anderes als der Versuch, in Deutschland sozialisierte Ditib-Mitglieder zu disziplinieren und auf Linie mit der türkischen Politik zu bringen.

Gegenüber dem Spiegel berichtet ein Ditib-Funktionär, wie ihn Männer mit Gewalt bedrohten. Sein Vergehen – er hatte die Moschee auch für Erdogan-Kritiker offengelassen. Der Ditib-Vorstand der Neuköllner Sehitlik-Moschee wurde gleich komplett geschaßt – Stein des Anstoßes war ein Krisengespräch mit homosexuellen Lobbygruppen zum Thema islamische Gewalt gegen Schwule. Diese und zahlreiche andere Beispiele aus dem eher liberalen Unterbau zeigen, daß der „Integrationspartner“ Ditib wohl eher ein Integrationshindernis darstellt, solange er als Instrument türkischer Machtpolitik dient.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Rolle des türkischen Geheimdienstes MIT. Neben einer Vielzahl von Agenten sollen mittlerweile rund 6.000 Spitzel in Deutschland tätig sein. „Hier geht es längst nicht mehr um nachrichtendienstliche Aufklärung, sondern zunehmend um nachrichtendienstliche Repression“, warnte bereits im vergangenen Jahr Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom gegenüber der Welt. „Selbst der Stasi ist es nicht gelungen, in der Bundesrepublik ein so großes Agentenheer aufzubauen.“