© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Papiere? Kein Problem
Paßfälschersyndikate in Bangkok: Für nur knapp 2.000 Euro gibt es eine neue Identität
Hinrich Rohbohm

Der Mann versteht erst nicht recht. „What do you want?“ fragt er mit etwas ratloser Miene. Dann hellt sich sein Gesicht auf. „Ah, you want Fake-ID“, ruft er. Mit einladender Handbewegung bedeutet er, ihm zu folgen. Mitten durch das Gewimmel der zahlreichen Seitengassen rings um die Kaosan Road von Bangkok, vorbei an T-Shirt- und Sonnenbrillenständen, an Dutzenden Garküchen, Plastiktischen und Ständen, an denen mutige Touristen geröstete Larven, Spinnen oder Skorpione verspeisen, sich Würgeschlangen um den Hals legen oder Kobrablut trinken.

Die Nacht ist bereits hereingebrochen. Die Neonlichter flackern über den garagenartigen Schuppen der Sois, wie die Seitengassen in Thailand heißen. Mitten in einer dieser Gassen bleibt der Mann plötzlich stehen. „Komm schnell. Kundschaft“, ruft er auf thai. Drei Männer um die dreißig und eine ältere Frau kommen aus einer der Garagen. Die Frau faltet die Hände höflich zum Wai, der thailändischen Begrüßungsform. Zwei der Männer schaffen auf ihren Zuruf hin in Windeseile einen Plastiktisch und ein paar Plastikstühle herbei.

Gefälschte Dokumente für Schlepperorganisationen 

Die Frau scheint so etwas wie die Geschäftsführerin zu sein. Sie kommt schnell zur Sache. „You want Fake-ID?“ fragt auch sie. „Ja.“ Ein kurzes „Okay“, keine weiteren Nachfragen. Einer der Männer reicht Zettel und Kugelschreiber. „Welches Land?“ fragt die Frau. Deutschland. Sie hält Rücksprache mit einem der Männer, der ein Mobiltelefon hervorkramt und es ihr übergibt. Ein knappes Telefonat. 

Gleich darauf geht eine E-Mail mit einem Foto eines deutschen Personalausweises ein. Die Frau sieht sich an, welche Daten verlangt werden. Dann bedeutet sie, die persönlichen Angaben auf dem Zettel zu notieren. Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Adresse, Größe, Augenfarbe. Wir tragen erfundene Angaben ein. Den Verkäufern scheint es gleichgültig zu sein. Nur auf den Vorschuß in bar legen sie wert. Einer der Männer reicht einen weiteren Zettel. Für die Unterschrift.

2.000 Baht soll das gefälschte Dokument kosten. Etwas über 50 Euro. 1.000 Baht will die Frau sofort kassieren. Als das Geld den Besitzer wechselt, schieben zwei der Männer ein Garagentor auf. Zum Vorschein kommt eine Art Mini-Fotostudio. Für die Paßbilder. Ob es auch möglich sei, einen gefälschten Reisepaß zu bekommen, wollen wir wissen. Es ist möglich, wenn auch aufwendiger. Und teurer. 10.000 bis 20.000 Baht Anzahlung seien dafür erforderlich. „Cash.“ Für einen gefälschten deutschen Paß seien insgesamt 75.000 Baht fällig, sagt die Frau. Das sind umgerechnet etwa 2.000 Euro.

Thailand ist einer der größten Umschlagplätze für gestohlene Reisepässe. Sie sind die Arbeitsgrundlage der in Bangkok ansässigen Paßfälschersyndikate, deren Geschäfte angesichts der Krisen im Nahen Osten und der damit verbundenen Einwanderungskrise in Europa derzeit einen regelrechten Boom erfahren.

Im Februar 2016 war einer der weltweit meistgesuchten Paßfälscher in Bangkok aufgeflogen: Hamid Resa Dschafari. Deckname: der „Doktor“. Ein Iraner, der als Kopf einer dieser Syndikate gilt. Die von ihm gefälschten Ausweise hatte er auf der ganzen Welt verkauft. Mehrere Mittelsmänner aus Pakistan organisierten die Kontakte zu den Kunden. In einem unauffälligen Appartement am äußeren Rand von Bangkok hatte der 49jährige eine Fälscherwerkstatt errichtet. 

Bei einer Polizeirazzia hatten die Ermittler 173 Reisepässe, zur Auslieferung bereit, gefunden, zumeist für Länder der Europäischen Union. Ebenfalls sichergestellt wurden gefälschte thailändische Visa, 34 Paßdrucker, 18 Stempel zum Erstellen von Wasserzeichen sowie ein Stempel der thailändischen Einwanderungsbehörde. Die für die Dokumentenfälschungen erforderlichen Gerätschaften hatte der „Doktor“ aus der kommunistischen Volksrepublik China erhalten.

Die Kunden des Mannes stammen zumeist aus Afghanistan, dem Iran und Syrien. Gegenüber der Polizei hatte er zugegeben, mit den von der Einwanderungskrise stark profitierenden Schleuserbanden zusammenzuarbeiten. Die hatten bei ihm gefälschte Pässe für Migranten besorgt. Die Schleppersyndikate wiederum wickeln ihre Geschäfte vor allem in dem Istanbuler Stadtteil Aksaray ab (JF 45/15), wo sie ihre Klienten mit den Pässen versorgen. Die Dokumente waren so gut frisiert, daß Hamid Resa Dschafari seinen Kunden garantieren konnte, damit unbehelligt die Grenze zu passieren.

Wie skrupellos es in diesem Geschäft zugeht, wurde vor allem im September deutlich, als die thailändischen Ermittlungsbehörden auf einen weiteren Paßfälscherring stießen. Polizisten hatten ein Appartement im Zentrum von Bangkok durchsucht und einschlägige Geräte und Chemikalien zur Dokumentenfälschung sichergestellt.

 Zudem hatten sie dabei einen Briten und zwei Amerikaner festgenommen, die mehrere verschiedene Pässe besaßen. Bei der weiteren Durchsuchung stießen die Ermittler in der Kühltruhe der Wohnung auf die zerstückelte Leiche eines offenbar schon Monate zuvor ermordeten Mannes.

Paßklau floriert vor allem in den Touristenhochburgen 

Doch längst nicht nur Flüchtlinge oder Wirtschaftsmigranten werden von den Paßfälschern beliefert. Auch Terroristen nehmen deren Dienste in Anspruch. So hatten thailändische Strafermittler 2010 ein Fälschersyndikat ausgehoben, daß auch die Attentäter der Madrider Zuganschläge vom 11. März 2004 mit gefälschten Dokumenten ausgestattet haben soll. Und an Bord des am 8. März 2014 verschollenen Flugs MH370 hatten sich unter anderem zwei Passagiere befunden, die auf der thailändischen Ferieninsel Phuket zuvor gestohlene Reisepässe mit sich führten.

Vor allem in den Touristenhochburgen wie Pattaya, Phuket oder Koh Samui floriert der gut organisiert Paßdiebstahl. Ob bei angetrunkenen Urlaubern an der Bierbar, Backpackern im Drogenrausch auf der Full-Moon-Party oder tanzwütigen Discogängern in den angesagten Clubs von Bangkok: sie alle sind für die Paßdiebe leichte Beute. Und dann gibt es noch jene, die ihren Paß zu Geld machen, ihn bei der Botschaft als verloren melden und den Mittelsmännern der Fälscher gegen Bargeld aushändigen.

In der Kaosan Road sind letztere häufiger anzutreffen. Überlebenskünstler und Aussteiger, die keine Lust auf das arbeitsintensive Leben und naßkalte Wetter in Deutschland haben und in Thailand ihr Paradies vermuten. Wenn das Geld aufgebraucht ist, kommt bei einigen von ihnen das Reisedokument als neue Finanzquelle ins Spiel, indem sie es bei der diplomatischen Vertretung ihres Landes als verloren melden, um ein neues zu erhalten.

Die Kunden wiederum geben den Mittelsmänner der Dokumentenfälsche die gewünschten Paßdaten und ihre Unterschrift. Anschließend nehmen sie von dem Interessenten noch ein Paßfoto auf, oder der Kunde hat bereits eines mitgebracht. 

So läuft es auch bei der Frau in der Kaosan Road. Foto und Unterschrift werden eingescannt und später in eines der gestohlenen Dokumente eingefügt. Ein Verfahren, das auch für andere Dokumente wie etwa Führerschein, BahnCard 100 oder eine Mitarbeiterkarte der Lufthansa möglich ist. „Das ist kein Problem“, bestätigt die Frau.

Der Personalausweis sei in einigen Tagen fertig. „Für den Reisepaß wird es etwas länger dauern“, kündigt sie an und telefoniert erneut. Dann verlangt sie die Anzahlung für das Reisedokument. 20.000 Baht. „Wann wird er fertig sein?“ „In einer Woche.“ „Und wenn ich da schon nicht mehr in Bangkok bin?“ Die vermeintliche „Geschäftsführerin“ läßt das Argument nicht gelten. „Du kannst uns den Restbetrag überweisen, und wir senden dir den Ausweis per Kurier.“ – „Das ist mir zu unsicher.“

Die Frau wird mißtrauisch, ihre zuvor freundliche Miene gefriert zu Eis. Die Stimmung an dem Plastiktisch wird trotz der hohen Temperaturen frostig. „Okay, du kannst jetzt schon mal die 20.000 Baht zahlen. Für den Rest finden wir eine Lösung“, sagt sie, ohne ein einziges Mal den Blick abzuwenden. „Soviel habe ich nicht bei mir. Da muß ich erst zum Geldautomaten.“ – „Kein Problem, hier ist gleich einer in der Nähe, wir zeigen dir den Weg dahin.“

Kurze Verabschiedung, diesmal ohne Wai. Zwei der Männer kommen als Eskorte mit. Eine günstige Gelegenheit, ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit der beiden reicht, um sich ins Getümmel der Kaosan Road zu begeben und in den Menschenmassen den suchenden Blicken der Männer zu entgehen. 

Es ist leicht, in Bangkok an gefälschte Dokumente zu kommen. Sehr leicht. Erst recht dürfte das jedoch für die Schleusersyndikate gelten, die mit den Zuwanderern derzeit das große Geschäft machen.