© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Pankraz,
Ludwig Thoma und das Genie als Hetzer

Genie und Hetzer“ – so  betitelte „Capriccio“, das allwöchentliche TV-Kulturforum des Bayerischen Rundfunks, seinen Beitrag zum 150. Geburtstag Ludwig Thomas am 21. Januar. In der Sendung ging es dann fast nur um den „Hetzer“ Thoma, der ein wüster Antidemokrat und Antisemit gewesen sei, welcher die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg und den Untergang der Monarchie bejammert und die bösesten Sachen über die Weimarer Republik von sich gegeben habe.

Originalzitate von Thoma oder Szenen aus seinen Theaterstücken gab es nicht, dafür üppig  Kommentare, die – ohne Namensnennung – wie von Martin Klaus abgekupfert wirkten, jenem Übelbiographen Thomas, der diesen rundweg als einen Vorläufer Hitlers hinstellt. Habe in einem Münchner Vortrag von Thoma nachweisbar nicht auch Dietrich Eckart gesessen? Und sei der nicht ein Freund und Vorbild Adolf Hitlers gewesen und habe dem brühwarm über das bei Thoma Gehörte berichtet? Und Hitler habe reagiert. Thoma sei nichts weiter als ein Inspirator des Holocaust gewesen!

 So also klingt es im öffentlich-rechtlichen Bayern-TV von heute, wenn es um einen der größten Dichter und Polemiker des Landes geht, einen ausgemachten Urbayern zudem, dem es wie keinem zweiten gelang, hinter allen Klischees den wahren Geist des Volkes sichtbar zu machen und in Literatur zu übersetzen. Von Hetze, Haß und Vernichtungsabsicht war in ihm keine Spur; wer das Gegenteil behauptet, ist schlicht ein Verleumder und bringt sich selbst um alle Glaubwürdigkeit.


Wollte man Thoma (geboren als Sohn eines Försters in Oberammergau, gestorben am 26. August 1921 in Tegernsee) kurz charakterisieren, müßte man eher zu Vokabeln greifen wie „Mut vor Fürstenthronen“ (welche auch immer), „angeborene Streitlust“, „Freude an satirischer Zuspitzung“. Schon der ganz junge Thoma hatte ein ungeheuer feines Gespür für angemaßte Autorität, und als Schriftsteller zögerte er später nicht, diese, wo immer er sie antraf, satirisch anzuleuchten. 

Nie aber wäre der gelernte und viele Jahre als solcher praktizierende Rechtsanwalt auf den Gedanken gekommen, einem seiner Streitpartner oder einer seiner literarischen Figuren etwas anzuhängen, was gar nicht vorhanden war oder gar nicht ihrer Natur entsprach. Alles in den Reden und literarischen Werken Thomas zeugt von entschiedenem Wirklichkeitssinn und großer Fairneß; alle seine berühmten Theater- oder Novellenfiguren bezeugen das, handle es sich nun um den Lokalpolitiker Josef Filser oder um die Rüpel von der letzten Bank, um Schusternazi oder um Alois Hingerl, den Münchner im Himmel. 

Anfang 1897 verlegte Thoma seine Anwaltspraxis von Dachau nach München, wo der Verleger Albert Langen ein Jahr zuvor die satirische Wochenschrift Simplicissimus gegründet hatte. Es kam, wie es kommen mußte: Thoma und der Simpl fanden noch im selben Jahr zusammen. Rechtsanwalt und Komödienschreiber, Wahrheitsfanatiker und treffsicherer Großsatiriker – genau das war es, was Albert Langen für sein Blatt suchte. Thoma wurde in kürzester Frist sein bester, hochbezahlter Autor, zunächst noch unter dem Pseudonym „Peter Schlemihl“, bekanntlich der Mann ohne Schatten aus dem Märchen von Chamisso.

Bald gab Ludwig Thoma seine Tätigkeit als Rechtsanwalt ganz auf und wurde fester Mitarbeiter des Blattes, ein Jahr später dessen Chefredakteur. Auch die Affäre „Sittlichkeitsverein“ konnte nichts daran ändern. Im Jahr 1906 veröffentlichte er im Simpl ein – für heutige Verhältnisse recht harmloses – Spottgedicht auf den Vorstand des Münchner Sittlichkeitsvereins, und der Verein zog dagegen vor Gericht und bekam recht. Thoma wurde zu sechs Wochen Haft verurteilt, die er in Stadelheim absitzen mußte. Doch seine Popularität litt darunter nicht, im Gegenteil.


Bei Zeitungskollegen und sonstigen Eingeweihten umgab ihn auch bis zum Ende ein Hauch von Romantik. Thoma war seit 1907 verheiratet mit der Tänzerin Marietta di Rigardo, seine große, auch erwiderte Liebe galt indessen der ebenfalls verheirateten, aus einer reichen jüdischen Familie stammenden Maidi Liebermann von Wahlendorf. Bis zu Thomas Tod umturtelten sich die beiden, aber Maidis Ehemann verweigerte die Scheidung, und einen frontalen gesellschaftlichen Eklat um der Liebe willen wagte das Paar nicht. Heutige Biographen à la Klaus sehen darin einen der Gründe für Thomas angeblichen „Judenhaß“.

Kompletter Unsinn, meint Pankraz. Thoma wetterte und lachte in seinem Simplicissimus zwar unermüdlich über Machtanmaßung und Verlogenheit der herrschenden Kräfte in Politik, Kirche und Schulunterricht, aber Vaterland und Staat wollte er natürlich nicht zerstören. Die Niederlage von 1918, Versailles und das anschließende revolutionäre Chaos stürzten ihn in Trauer und Verzweiflung, und er durchschaute bis auf den Grund die Jämmerlichkeit der meisten nun an die Macht und zu Profit strebenden Gestalten. Selbstverständlich bekamen da auch so manche jüdischen „Kriegsgwinnnler“ so manchen Hieb ab. 

Friedrich Meinecke, der bekannte Ideenhistoriker und Gründungsrektor der Freien Universität Berlin (FU), schrieb 1946 in seinem Buch „Die deutsche Katastrophe“, daß nach der Niederlage von 1918 viele Kreise „den Becher der ihnen zugefallenen Macht gar zu rasch und gierig an den Mund führten“ und daß zu denen „auch Juden gezählt haben“. Diese Beobachtung machte auch Ludwig Thoma und thematisierte sie 1920/21 vor allem im Miesbacher Anzeiger. Ihn deshalb als „Hetzer“ zu denunzieren, wie im Bayerischen Rundfunk geschehen, ist kein Capriccio, sondern eine monströse Dummheit, bestenfalls.

Das Wort „Capriccio“, unter dem das stattfand, stammt aus der Musik und bezeichnet dort einen besonders hübschen, ungewöhnlichen und unerwarteten Einfall. Die betreffende Sendung im BR war weder hübsch noch unerwartet. Der Sender hat jetzt in Sachen Ludwig Thoma einen horrenden Korrektur- und Wiedergutmachungsbedarf.