© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Von der Politik im Stich gelassen
Abschiebungen II: Das deutsche Ausländerrecht wird nicht nur durch fremde Staaten von außen behindert, sondern auch durch eigene Behörden von innen ausgehöhlt
Christian Jung

Suchen Sie mich. Suchen Sie mich!“ Die Nigerianerin stand mit buchstäblich heruntergelassener Hose und aufgerissenem Hemd vor einem Schreibtisch in der Münchner Ausländerbehörde und stellte sich erzürnt ihrer Durchsuchung, ja forderte in englischer Sprache dazu auf. Kurz zuvor hatte ein Mitarbeiter ihr eröffnet, aufgrund welcher Vorschrift und welcher Verdachtsmomente nun im Beisein und unter Mitwirkung weiblichen Sicherheitspersonals nach ihrem Paß gesucht würde.

Etwa vier Wochen vorher hatte sie nach Jahren der Paßlosigkeit durch die nigerianische Botschaft das begehrte Reisedokument erhalten. Aber nur weil die zuvor zuständige Ausländerbehörde versichert hatte, ihr eine Aufenthaltserlaubnis für ihre Reise nach Italien auszustellen, um dort einen Antrag auf  Familienzusammenführung mit ihrem dort legal lebenden Ehemann zu stellen.

Doch die italienischen Behörden lehnten nicht nur diesen Antrag ab, da die Afrikanerin nicht mit dem richtigen Visum zur Familienzusammenführung eingereist war, sondern beorderten die Nigerianerin nebst dem gemeinsamen Kind nach Deutschland zurück. Sie kam in einer Münchner Asylunterkunft unter. 

Die Weiterreise nach Italien hatte sich zerschlagen. Die Beamten in München erfuhren aus ihrer Akte von dem Paß. Deshalb die Untersuchung, die ansonsten selten durchgeführt wird. Der faktisch druckfrische Paß blieb allerdings für die Mitarbeiter unauffindbar. Ein Verbleib in Deutschland kam nicht in Betracht; die Aussicht auf Familienzusammenführung war ungewiß und jeder Tag Aufenthalt hatte enorme Sozialhilfekosten zur Folge.

Was blieb also? Einen neuen Paß beantragen, um die resolute Dame zur Ausreise zu drängen oder abzuschieben. Die nigerianische Botschaft gab vor, ihre Staatsbürgerin nicht mehr zu kennen. Neben der Kopie des Passes mußte die Ausländerbehörde gegenüber Nigeria eine lange Liste von Nachweisen beibringen. 

Die dicke Ausländerakte bestand nur noch aus wenigen Blatt Papier, nachdem alle Bescheinigungen zum Kopieren daraus entnommen waren. Die Kopie des von der Botschaft selbst ausgestellten Passes war indes nicht ausreichend. Alle Mühe war vergeblich. Einen Paß bekam die Münchner Behörde nicht mehr zu Gesicht. Die Nigerianerin blieb in Deutschland – und tauchte eines Tages unter. Ob sie weiter nach Italien gereist war oder sich von da an illegal hier aufhielt, war nicht zu erfahren. 

Von der Politik werden die Ausländerbehörden schmählich im Stich gelassen. Kein Druck, keine wirksame Intervention. Und so verfahren viele Länder. Tatsächlich entscheiden faktisch die Herkunftsstaaten.

Das deutsche Ausländerrecht wird allerdings auch von innen durch die eigenen Behörden ausgehöhlt. In nahezu jeder deutschen Großstadt gibt es eine Institution, die Ausländern, deren Aufenthaltsrecht gefährdet ist, eine Krankheit attestiert, die den Verbleib in Deutschland notwendig macht. In München etwa ist dies Refugio. Der Verein, der für das Jahr 2017 von der Stadt München 795.250 Euro erhält, entzieht zahllosen ausländerrechtlichen Entscheidungen den Boden. 

Sachbearbeitern wird verdeutlicht, daß der Verein einen Sonderstatus hat. Dessen Gutachten gelten als sakrosankt. Amtsärzte, die ein Gegengutachten erstellen könnten, sind oftmals unwillig oder sehen sich politischem Druck ausgesetzt. 

Wenig glaubhaft ist daher unter anderem das selbstverliehene Image der CSU als wahrer Vollstreckerin des Ausländerrechts. Dieses wird noch zusätzlich durch die aufgrund eines Vorschlages des damaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) eingeführten „Härtefallkommissionen“ im Hinblick auf Intention und Zweck der gesetzlichen Regelungen ausgehöhlt. 

Bei den Anwälten gibt es drei Typen. Die kleinste Gruppe ist die, die sich nur auf das Recht verläßt. Andere setzen nach verlorenen Verfahren auf die öffentlich finanzierten Vereine, die Krankheiten attestieren, oder ihre Mandanten präsentieren kurz vor Ablauf der Ausreisefrist einen Ehepartner. Ehen, die sich nicht selten als Scheinehen erweisen. 

Für das Eingehen der Scheinehe werden zwischen wenigen tausend bis zu 30.000 Euro bezahlt. Wer erwischt wird, erhält einen Strafbefehl. „Haustarif“ der Staatsanwaltschaft: 90 Tagessätze. Bei Sozialhilfeempfängern gilt: Tagessatz 5 Euro. 450 Euro Strafe.






Christian Jung arbeitete mehrere Jahre in einer Ausländerbehörde und war dort für Ausweisungen und Abschiebungen zuständig.