© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Solidarität ist eine Waffe
Sachsen: Warum die Arbeiterwohlfahrt auf Hilfe verzichtet
Verena Inauen

Stefan Röhrborn führt ein mittelständisches Unternehmen in Sachsen. Als Betriebswirt kennt er sich mit Zahlen und Daten aus. Ein Mann, wie ihn die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in seinem Heimatort Freiberg im vergangenen Jahr händeringend suchte. Denn die bis dahin im Vorstand aktiven Mitglieder wollten aus Altersgründen ihr ehrenamtliches Engagement reduzieren, neuen, jüngeren Leuten Platz machen – und kompetente Nachfolger finden. 

Der Verein betreibt in der Erzgebirgsstadt drei Kindertagesstätten, mobile Altenpflege und Beratungsstellen für Schwangere, Verschuldete sowie andere Hilfebedürftige. Röhrborn hätte sich ehrenamtlich vor allem für die finanziellen und betriebswirtschaftlichen Belange kümmern sollen: Unterstützung bei Bankgesprächen, Jahresabschlüssen und im Controlling. Hätte. Denn es kam anders. 

Bereits im Sommer hatte ihn ein privat gut bekanntes Vorstandsmitglied gefragt, ob er sich in seiner Freizeit eine Mitarbeit in der AWO vorstellen könne und er dieses zusätzliche Aufgabengebiet neben seinem eigentlichen Beruf bewältigen wolle. Der Unternehmer willigte ein und stellte sich kurze Zeit später während eines informellen Treffens auch einem weiteren Vorstandsmitglied vor. Überraschend für Röhrborn kam schon während dieser Unterhaltung das kommunalpolitische Engagement seines Vaters für die örtliche AfD zur Sprache. Er selbst machte daraufhin keinen Hehl daraus, ebenfalls AfD-Mitglied zu sein. Doch darüber wurde nicht weiter diskutiert; für seine Gesprächspartner stand die politische Positionierung einer ehrenamtlichen Arbeit in der traditionell sozialdemokratisch geprägten Arbeiterwohlfahrt jedenfalls nicht im Wege.

Bald folgte ein Treffen mit anderen potentiellen Kandidaten für den Vorstand und dem hauptamtlichen Freiberger AWO-Geschäftsführer Peter Burkhardt. Schließlich sollte – so der Plan – das Gremium zügig neu gewählt werden. Kurz vor dem angesetzten Wahltermin allerdings rief die Geschäftsstelle des Wohlfahrtsverbands bei Röhrborn an. Der Landesgeschäftsführer der sächsischen AWO, David Eckardt, habe angekündigt, die Wahl anzufechten, falls Röhrborn antreten werde, teilt man ihm mit. Offenbar, erfährt der Verdutzte, habe die Vorstandsvorsitzende der Freiberger AWO, die SPD-Bundestagsabgeordnete Simone Raatz bereits gegen die Kandidatur Röhrborns gewettert und hinter dem Rücken ihrer Vorstandskollegen beim Landesverband interveniert. 

Per E-Mail ließ sie dem Betriebswirt die Begründung zukommen: „Werte wie Solidarität, Gleichheit und Freiheit sind nicht vereinbar mit der AfD-Programmatik. An dieser Stelle greift der Unvereinbarkeitsbeschluß des AWO-Landesverbandes für Mitglieder. Einfach gesagt, bedeutet dieser, daß nur der- bzw. diejenige Mitglied der AWO sein kann, der/die deren Werte teilt.“

Was die SPD-Politikerin verschweigt: Einen solchen Beschluß gibt es gar nicht. Tatsächlich hat der AWO-Bundesvorstand festgelegt: Bei einem künftigen Mitglied sei es „im Einzelfall zu prüfen“, ob dieses eine „rechtspopulistische, völkische und rechtsextreme Haltung“ zeige. „Grundlage für die Einschätzung muß das persönliche Gespräch und der jeweilige Einsatzort sein“, heißt es in einem Positionspapier vom Juni 2016. 

In keinem seiner Gespräche mit AWO-Vertretern, erinnert sich Stefan Röhrborn gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, sei ihm auch nur ansatzweise einer dieser kritischen Punkte vorgehalten oder nachgewiesen worden. Was konkret an ihm bemängelt wurde, wollte der Landesvorsitzende dem abgelehnten Bewerber nicht sagen; es gehe um die Mitgliedschaft in der AfD im allgemeinen. Beide – Eckardt wie Raatz – „scheinen jedenfalls über telepathische Fähigkeiten zu verfügen, da wir uns nicht einmal gesehen, geschweige denn gesprochen haben“, gibt sich Röhrborn sarkastisch. Mehrfach hat die JF bei der AWO Freiberg um eine Stellungnahme diesbezüglich gebeten. Vergeblich.

Seine Kandidatur zog der Unternehmer daraufhin zurück: „Ich muß meine Arbeitskraft niemandem aufdrängen und schenken.“ Doch nicht nur sein Engagement und seine Erfahrung gehen der Arbeiterwohlfahrt Freiberg verloren. Auch die weiteren Vorstandskandidaten sind wegen dieses schofeligen Umgangs nicht mehr bereit, für den Verein ehrenamtlich tätig zu werden. Wohlgemerkt: Kein anderer dieser Ex-Kandidaten ist Mitglied in der AfD. Ausschlaggebend für ihren Rückzug war nicht die politische Übereinstimmung mit Stefan Röhrborn, sondern die Vorgehensweise der AWO-Oberen, die sie als untragbar erachteten. Zur Wahl trat schließlich nur eine einzige Kandidatin an, die bereits vorher in der Organisation tätig war.