© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Müllers Machtprobe
Affäre Holm: Der stasi-belastete Staatssekretär hat die rot-rot-grüne Koalition an den Rand des Scheiterns gebracht / Auch nach Rücktritt uneinsichtig
Christian Schreiber

Selten ist der Start einer Koalition gründlicher in die Hose gegangen als nun in Berlin. Dabei sollte das rot-rot-grüne Bündnis unter Führung von Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein Modell für eine künftige Bundesregierung werden. Am Montag morgen warf Baustaatssekretär Andrej Holm doch noch das Handtuch. Wochenlang hatte er für einen Rücktritt keinen Grund gesehen. Holm hatte sich als junger Mann für eine Offizierslaufbahn bei der Staatssicherheit in der DDR entschieden. Aufgrund des Zusammenbruchs des SED-Regimes hielt sich der von Holm verursachte Schaden in Grenzen. 

Die Linkspartei, die den parteilosen Kandidaten für das Regierungsamt nominiert hatte, sah jedenfalls keinen Grund, ihn vom Personaltableau zu nehmen: Er habe „niemanden ausspioniert, und er steht für einen wirklichen mietenpolitischen Kurswechsel. Deshalb ist er eine großartige Besetzung für das Amt“, hatte die Parteivorsitzende Katja Kipping noch am vergangenen Wochenende erklärt. 

Die Empörung von Opferverbänden und der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus war jedoch enorm. Der Druck auch aus den Reihen von SPD und Grünen wurde schließlich so groß, daß sich Müller gezwungen sah, Holm zu feuern. Er habe sich „nach reiflicher Überlegung und intensiven Gesprächen mit den Koalitionspartnern“ entschlossen, Senatorin Kat-rin Lompscher (Linkspartei) zu bitten, dem Senat eine Vorlage zur Entlassung Holms vorzulegen. 

Der Juniorpartner reagierte verschnupft. „Politik auf gleicher Augenhöhe heißt, Personalpolitik nicht per Post, sondern nur in gemeinsamer Verantwortung zu entwickeln“, kommentierte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der dort ein Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen führt und als vehementer Befürworter einer solchen Konstellation auf Bundesebene gilt. Dem Vernehmen nach soll sich Ramelow über das Vorpreschen seines Berliner Amtskollegen mächtig geärgert haben. Erst nach Beratungen mit Parteifreunden habe er von weiteren öffentlichen Äußerungen Abstand genommen.

Beobachter der Szene in der Bundeshauptstadt hat die Vehemenz überrascht, mit der die Koalitionäre aufeinander losgegangen sind. Die Causa Holm war dabei bekannt. Der Sozialwissenschaftler forschte zuletzt für die Humboldt-Universität (HU) zu Themen wie Mietpreise und Wohnungsknappheit. Seine Verstrickungen in die linksextreme Szene (JF 2/17) spielten in der aktuellen Debatte allerdings kaum eine Rolle.

Holm hatte in einem Einstellungsfragebogen der HU 2005 verneint, hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Stasi gewesen zu sein. Nach dem Vorstoß von Bürgermeister Müller gab es für die Linkspartei nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder an Holm festhalten und damit das Auseinanderbrechen des Bündnisses riskieren oder den Staatssekretär opfern. Mit seinem Rücktritt hat der 46jährige nun offenbar in letzter Sekunde versucht, den Schaden zu begrenzen. 

Dabei sah er die Schuld für die verfahrene Situation nicht bei sich, sondern den Koalitionspartnern. Er ziehe die Reißleine, so Holm, nachdem SPD und Grüne in den letzten Tagen deutlich gemacht hätten, „daß sie mich als Staatssekretär politisch nicht unterstützen“ werden. Er kritisierte zudem die Berichterstattung der Medien, die ein „Zerrbild“ von ihm gezeichnet hätten. 

Mit dem Rückzug des Kurzzeit-Staatsekretärs ist die Krise der Regierung mitnichten abgewendet. Denn vor allem die SPD hat mit internen Problemen zu kämpfen. Der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh hatte kürzlich in einer Rede einen schärferen Kurs in Sachen Asylrecht gefordert. Jugendliche, die in der U-Bahn Obdachlose anzünden wollten, hätten ihr Gastrecht verwirkt, sagte der gebürtige Palästinenser. Der SPD-Fraktionschef sprach darüber hinaus von „Brutstätten des Terrors“ und verlangte die „volle Härte des Gesetzes“. 

Linken-Fraktionschef Klaus Lederer zeigte sich daraufhin ebenso entsetzt wie sechs SPD-Kreisvorsitzende, die in einem offenen Brief monierten, Saleh habe den Beifall von CDU und AfD billigend in Kauf genommen. Weiterer Streit dürfte programmiert sein.