© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

„Die ganze Welt ist gespannt“
Was alle für unmöglich hielten, wird nun wahr. Donald Trump ist der 45. Präsident der USA. Doch muß er nicht scheitern? Der Historiker William Sturgiss Lind warnt
Moritz Schwarz

Herr Lind, ist der Tag des Amtsantritts von Donald Trump ein guter Tag?

William Sturgiss Lind: Ein guter Tag!

Warum?

Lind: Weil die große politische Spaltung, in den USA wie in Europa, nicht mehr zwischen links und rechts verläuft, sondern zwischen Establishment und Anti-Establishment. Trumps Amtsantritt markiert einen Sieg des letzteren. Und nur durch dieses Anti-Establishment ist Wandel möglich. Wer dagegen auf Wandel durch das Establishment hofft, hofft vergebens. Denn wann immer einzelne aus dem Establishment sich für grundsätzliche Reformen einsetzen, werden sie von diesem ausgeschlossen. Deshalb ist es reformunfähig. Damit ist das Anti-Establishment die einzige Hoffnung.  

Aber hat Trump nicht so viele Etablierte in seinen Stab berufen, daß von „Anti-Establishment“ gar keine Rede mehr sein kann? 

Lind: Nein, ich halte seine Personalauswahl bis jetzt für gut. Die meisten kommen nicht aus dem etablierten Politikbetrieb, sondern aus der Wirtschaft, wo die Regel lautet: Entweder du bist erfolgreich oder weg vom Fenster! Ich kenne zudem einige persönlich, wie etwa seinen Heimatschutzminister General John Kelly oder den neuen Verteidigungsminister General James „Mad Dog“ Mattis – das sind wirklich gute Leute! 

Wandel hat auch Obama versprochen, heute sind seine Anhänger enttäuscht. Warum sollte das bei Trump anders sein?

Lind: Tja, das ist die Frage, die sich alle stellen! Und keiner weiß die Antwort. Die ganze Welt ist darauf gespannt, was Trump aus seiner Präsidentschaft macht.

Wie sieht der Wandel aus, den Sie erhoffen?

Lind: Trump ist vor allem aus vier Gründen gewählt worden: Erstens, keine weiteren dummen Kriege in Übersee. Dazu gehören auch gute Beziehungen zu Rußland. Zweitens, Schluß mit der Political Correctness, die das Herrschaftsinstrument des Establishments ist. Drittens, Schluß mit der Masseneinwanderung, die das Land mit Einwanderern flutet, die ihre – aus unserer Sicht – unterentwickelte Kultur hierherbringen. Zwar  fliehen sie gerade vor dieser – doch tatsächlich bringen sie sie mit sich! Viertens, Stopp des Exports der Arbeitsplätze der Mittelklasse. Denn der Freihandel hat in erster Linie China und Indien geholfen, den USA aber geschadet. Deutschland etwa weiß seine Ökonomie gut zu verteidigen. Das müssen wir auch lernen.

Angeblich war niemand von Trumps Wahlsieg mehr überrascht – als er selbst. Ist er überhaupt vorbereitet und in der Lage, diese Versprechen nun zu erfüllen?

Lind: Er muß! Und er ist ja nicht alleine. Gerade sprachen wir darüber, daß er durchaus gute Leute hat. Deshalb wäre ich nicht so pessimisitsch, wie das in Ihrer Frage durchklingt. Allerdings droht Trump auch eine große Gefahr. 

Nämlich? 

Lind: Das Establishment. Jetzt sagen Sie: Das hatten wir doch schon! Aber vergessen Sie nicht, daß die USA, ebenso wie Deutschland und andere westliche Länder, ein Ein-Parteien-Staat sind. 

Inwiefern denn das?

Lind: Die Einheitspartei ist das Establishment. In den USA hat diese Partei zwei Flügel: die Republikaner und die Demokraten, so wie in Deutschland die CDU und die SPD. Und diese Einheitspartei wird – bei uns wie bei Ihnen – Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um den Erfolg jeglicher Reform zu verhindern. Warum? Weil dieser ihr endgültiges Ende wäre. 

Kann das Establishment überhaupt besiegt werden? 

Lind: Es kann. Und zwar mit einer Strategie, die wir aus der Geschichte der europäischen Monarchien, ja sogar aus der Antike, kennen. Sie mögen jetzt überrascht sein, aber Sie werden gleich verstehen: Der Monarch muß das Volk mobilisieren – gegen den Adel. Wenn es Trump gelingt, die Öffentlichkeit gegen die Machenschaften der etablierten Politiker zu gewinnen, er also mit Hilfe der Bürger erfolgreich deren Wiederwahl bedroht, dann werden sie klein beigeben.

Trump ist kein Konservativer. Wird seine Präsidentschaft die Konservativen nicht enttäuschen, wie etwa der US-Politologe Paul Gottfried befürchtet?

Lind: Die erste Regel der Politik lautet: Verlierst du deine Basis, bist du erledigt! Trumps Basis ist konservativ – nicht nur politisch, sondern auch kulturell.

Was bedeutet?

Lind: Unter politischem Konservatismus versteht man in den USA Inhalte wie Freihandel etc. Trumps Basis ist dagegen vor allem weiß und christlich – wenn nicht im religiösen Sinne, dann im kulturellen. Sie glaubt an die Werte der Familie, an die Werte Amerikas und nicht an die der Politischen Korrektheit. Natürlich wird das Establishment versuchen, Trump zu verführen: Wenn du aufhörst, Krach zu machen, und dich „benimmst“, akzeptieren wir dich in unserem Club! Und glauben Sie mir, man sollte sich nicht täuschen, in der Welt der Politik ist diese Versuchung sehr, sehr stark. Aber damit würde Trump seine Basis enttäuschen und die Säule seiner Macht untergraben. Wenn Trump begriffen hat, daß er das Establishment nur mit Hilfe der Basis bezwingen kann, wird er diesen Fehler nicht machen. Hat er das begriffen? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, daß sein politischer Instinkt sehr gut ist.

Allerdings ist er per Verfassung darauf angwiesen, mit dem Establishment – in Gestalt der republikanischen Mehrheit im Kongreß – zusammenzuarbeiten. Kann er einer gewissen „Kollaboration“ also gar nicht aus dem Wege gehen? 

Lind: Es gibt zwei Möglichkeiten für den Präsidenten, mit dem Kongreß umzugehen. Die Kunst ist, beide zu kombinieren: Erstens, nach außen konstruktiv zu kooperieren. Zweitens, hinter vorgehaltener Hand diesem klarzumachen, welche Konsequenzen er zu gewärtigen hat, wenn er sich widersetzt. Ob ein Präsident stark ist oder nicht, entscheidet sich daran, ob er diese Kunst beherrscht. Und dafür braucht er – das hatten wir schon – den Rückhalt beim Volk. Hat er den, kann er die Wiederwahl der Abgeordenten bedrohen. Auf diese Weise haben starke Präsidenten die Kongreßmänner schon zu ganz erstaunlichem Abstimmungsverhalten gebracht und von ihnen bekommen, was diese ursprünglich um keinen Preis geben wollten. 

Aber geht es nicht auch um Persönlichkeit? Können Konservative mit Trump zufrieden sein? Mit seiner neureichen Attitüde, seiner Primitivität gegenüber Frauen und seiner Respektlosigkeit gegenüber Kriegshelden, wie John McCain?

Lind: Da rennen Sie bei mir offene Türen ein, so kenne ich etwa John McCain seit vielen Jahren persönlich und halte große Stücke auf ihn. Aber Politik bietet uns in der Regel keine Auswahl an Heiligen. Mal ehrlich, die meisten Politiker würde man sich als Charaktertypen nicht gerade als Schwiegersohn wünschen. Und wenn unter ihnen doch mal ein „Heiliger“ gewählt wird, dann versagt er – denken Sie an Jimmy Carter. Kann ich mir einen sympathischeren Typen als Donald Trump vorstellen? Aber sicher! Doch in der Realität müssen wir mit dem leben, was im Angebot ist. Und egal wie fragwürdig Trump ist – er ist echt. Sie müssen verstehen, daß das ganze amerikanische Polit-Establishment ein einziges Potemkinsches Dorf ist. Es besteht, vielleicht mit wenigen Ausnahmen wie John McCain oder Ben Carson, aus „gemachten“ Figuren, die von Beratern im Hintergrund kreiert werden, um dem Kandidaten zum Erfolg im Politikbetrieb zu verhelfen. 

Vor der Wahl sprach Trump über die Ausweisung von elf Millionen Illegalen und dem Bau einer Mauer. Danach nur noch von drei Millionen, und die „Mauer“ könne „zum Teil“ auch nur ein „Zaun“ sein. 

Lind: Da sind Sie zu streng. Es war klar, daß er „Mauer“ metaphorisch meinte. An vielen Stellen der Grenze braucht man übrigens gar keine Sperranlagen, weil das Gelände unpassierbar ist. Mit „Mauer“ meinte er, daß wir die Kontrolle unserer Grenze zurückerlangen. Zudem: Illegale Einwanderung unterbinden Sie sowieso nicht allein mit einer sicheren Grenze. Dazu braucht es weitere Maßnahmen, wie konsequente Abschiebung oder harte Strafen für die Beschäftigung von Illegalen. Trump bricht sein Versprechen nicht, wenn er nicht für eine durchgehende Betonmauer zu Mexiko sorgt, sondern wenn er die illegale Einwanderung nicht massiv eindämmt. 

Trump hat die „Flüchtlings“-Politik Kanzlerin Merkels jüngst als „katastrophalen Fehler“ bezeichnet. Ist zu erwarten, daß er Einfluß ausübt, diese zu korrigieren? 

Lind: Ich glaube nicht, daß er sich so weit in Ihre inneren Angelegenheiten einmischt. Er wird versuchen, gute Beziehungen zu Europa aufzubauen. Auch wenn er sich zugunsten der Anti-Establishment-Opposition dort ausspricht und nicht davor zurückschreckt, die Folgen der Politik Frau Merkels zu benennen: nämlich die gesellschaftliche Ordnung durch Einwanderung von Millionen langfristig destabilisiert zu haben.

Stabilisieren will Trump die Beziehung zu Rußland. Allerdings auf Grundlage der Aussage: „Ich vertraue Putin.“ Bei allem guten Willen, ist so ein Satz nicht naiv?

Lind: Trump will damit eine Türe öffnen. Er sagt sich, es gibt keinen Grund, warum sich der Westen und Rußland nach dem Fall des Kommunismus in einem Konflikt befinden sollten. Und er hat recht. Das westliche Establishment macht natürlich Putin dafür verantwortlich. Tatsächlich aber lenkt es damit von der eigentlichen Ursache ab, nämlich seiner Arroganz, Rußland nach 1990 nicht ins Konzert der Mächte reintegriert zu haben, so wie es etwa Fürst Metternich klugerweise 1815 mit Frankreich getan hat. Und daß Rußland heute wieder, wie im 19. Jahrhundert, als die konservativste und christlichste Macht Europas dasteht, hat auch etwas mit der kulturellen Herausforderung zu tun, die das westliche Establishment international betreibt. Trump will Europa nicht ausliefern, sondern hat erkannt, daß der beste Weg Europa zu verteidigen ist, den Konflikt mit Rußland zu beenden. 

Angeblich will Trump Frieden mit Rußland, weil er China als „den“ Gegner ansieht. Droht er uns einen gefährlichen Konflikt mit Peking zu bescheren?

Lind: Das ist eine Gefahr, die auch mich sehr beschäftigt. Auch weil ein Konflikt mit China eine Verkennung der eigentlichen Gefahren im 21. Jahrhundert wäre. Denn dieses Jahrhundert wird von der Frage geprägt sein, ob das Staatensystem an sich überlebt. Die Gefahr geht nicht mehr von anderen Staaten aus, sondern vom „Krieg der 4. Generation“, also von nichtstaatlichen Kombattanten. Nur hypothetisch: Stellen Sie sich vor, die USA besiegten Peking in einem Krieg und China würde zerfallen. Chaos würde in einem bedeutenden Teil der Erde an die Stelle von Ordnung treten, was auch für den Westen katastrophal wäre. Nein, im 21. Jahrhundert sind Staaten an sich natürliche Verbündete. Die Weltordnung der Zukunft ist eine Allianz der USA, Rußlands und Chinas, um die sich die übrigen Staaten gruppieren, gegen die Herausforderung staatlicher Auflösung.

Wird Trump in vier Jahren wiedergewählt?

Lind: Ich weiß es nicht. 

Wird er die USA verändern oder Episode bleiben und nach ihm alles sein wie zuvor?

Lind: Die Kräfte, die Trump an die Macht gebracht haben, werden nicht einfach wieder verschwinden. Trump ist nur das Vehikel einer Rebellion gegen das Establishment. Wenn dieses versagt, wird die Rebellion ein anderes finden. Und so wird es auch in Europa sein. 

Die Tageszeitung „Die Welt“ fordert in einem Kommentar, Deutschland müsse sich gegen Trump „wehren“, indem es „fleißiger, innovativer, offener, schwuler und multikultureller“ werde. Kann das funktionieren?

Lind: Das ist die verzweifelte Stimme des Establishments, die – weil die Ideologie nicht mehr wirkt – empfiehlt, die Dosis zu erhöhen. Aber das wird nicht klappen, denn es ist das Rezept für den Untergang, und das werden die Bürger am Ende nicht mehr mitmachen. 






William Sturgiss Lind, der Publizist schreibt unter anderem für die Washington Post, die New York Times und die Los Angeles Times. Im Magazin The American Conservative hat er eine regelmäßige Kolumne. Der Historiker und Buchautor, Jahrgang 1947, studierte an den US-Eliteuniversitäten Dartmouth College und Princeton und war Direktor des Center for Cultural Conservatism in Washington, einer konservativen Denkfabrik. Zeitweilig hatte er ein eigenes TV-Magazin beim US-Kabelsender NET. Außerdem war er Dozent an Militärakademien in Schweden und Israel.

Foto: Neuer US-Präsident Trump: „Natürlich wird das Establishment versuchen, ihn zu verführen: ‘Wenn du endlich aufhörst, ständig Krach zu machen und lernst, dich zu benehmen, dann darfst du in unseren Club!‘ Und glauben Sie mir, man sollte sich nicht täuschen, in der Welt der Politik ist diese Versuchung sehr, sehr stark“

 

 

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