© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Teure Widersprüche und Symptomkonflikte
Wahnsinn Energiewende – aufgezeigt am Beispiel der Stromtrassen-Planung und der Mais-Monokultur
Christoph Keller

Dirk Kurbjuweit darf sich rühmen, das Schmähwort für den Ahnherrn aller heute vom politisch-medialen Komplex verachteten „Populisten“, des „Packs“ und der „Postfaktischen“ geprägt zu haben: den „Wutbürger“. So bezeichnete der Spiegel-Hauptstadtbüroleiter 2010 jene Demonstranten, die den megalomanischen und extrem teuren Bahnhofsbau „Stuttgart 21“ verhindern wollten.

Mit der Kreation des „Wutbürgers“ ließ der inzwischen zum Vizechefredakteur aufgestiegene 54jährige als bestens „eingebetteter“ Journalist die vordemokratische Rede vom beschränkten Untertanenverstand wieder aufleben. Denn für ihn wehrten sich dabei von Emotionen getriebene, nur auf ihr Eigeninteresse fixierte, die „Fortentwicklung der bundesdeutschen Gesellschaft“ behindernde Massen gegen eine „das Allgemeine und das Morgen“ besorgende, „staatstragende“ Politik (Der Spiegel, 41/10).

Eine Deutung, die zuerst im Umgang mit dem sich seit 2011 versteifenden Widerstand gegen die Energiewende Karriere gemacht hat. Der Privatdozent Thomas Schmitt, an der Uni Erlangen-Nürnberg über „Geographien von Energien und Ressourcen“ forschend, greift daher in seiner Untersuchung über „Symptomkonflikte der Energiewende“, die sich an den projektierten Stromtrassen entzündet haben, zunächst auf Kurbjuweits scheinbar plausibles Schema von der vernünftigen Obrigkeit zurück, die das Gemeinwohl gegen das dumme Volk durchsetzt (Geographische Rundschau, 11/16).

Wie anders lasse sich denn erklären, daß trotz höchster Akzeptanz – 2015 befürworteten 93 Prozent der Befragten den Ausbau erneuerbarer Energien – sich immer öfter Auseinandersetzungen an der Planung neuer Stromtrassen entzünden? Sei es rational nachvollziehbar, wenn die Netzbetreiber bereits bei der ersten Präsentation ihrer Trassenplanung (2013/14) vor allem in Bayern „massive Proteste“ provozierten? Wobei sich „ungewöhnliche“ Koalitionen gebildet hätten, zwischen Bürgerinitiativen und Landräten, zwischen Kommunalpolitikern aus CSU, Grünen und SPD, die mit der CSU-geführten Landesregierung als Vollstreckerin der Energiepolitik des Bundes die Klingen kreuzten und die sie zwangen, „mehrfach ihre Position zu den Trassen zu modifizieren“.

Solche Abwehrfronten seien denn doch nicht lediglich auf die Mobilmachung von „Wutbürgern“ zu reduzieren. Und auch das Phänomen des „Nimby“ („Not in my backyard“), des Bürgers, der prinzipiell die Energiewende unterstützt, aber keine Windräder, Stromtrassen oder Maisfelder in seiner Nachbarschaft sehen möchte, scheint für Schmitt die grassierende Neigung zu zivilem Ungehorsam nicht befriedigend zu erklären.

Stromautobahnen hemmen dezentrale Energiekonzepte

Der Erlanger Geograph kommt daher nicht umhin, Trassengegnern partiell vernünftige Motive zuzubilligen. Zuvörderst die Berufung auf schwere Eingriffe in die Kulturlandschaft, obwohl Schmitt hier das Schlimme mit dem noch Schlimmeren relativiert, indem er auf die Windturbinen verweist, die doppelt so hoch seien wie Masten der Wechselstromleitungen. Ferner sei das Argument, die „Stromautobahnen“, die Windstrom von der Küste in süddeutsche Ballungszentren bringen sollen, verhinderten eine dezentrale Ausgestaltung der Energiewende, nicht von der Hand zu weisen.

Ebensowenig könne der Verdacht ausgeräumt werden, daß die in Sachsen-Anhalt beginnende Südost-Trasse keinen norddeutschen Windstrom, sondern Braunkohlestromüberschüsse aus Mitteldeutschland nach Bayern ableiten werde. Auf noch grundsätzlichere Bedenken, wie sie ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 2015 formulierte, das einen wesentlichen Teil der Ausbauplanungen als ökonomisch unnötig klassifiziert, will Schmitt hingegen lieber nicht eingehen, weil er deren „Seriosität“ nicht beurteilen mag. Immerhin habe soviel vernünftige Gegenmacht die Politik zur Kurskorrektur gezwungen. Seit Ende 2015 gilt für die neuen Leitungen der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) der Vorrang des teureren und technisch aufwendigeren Erdkabels. 

Eine vergleichbar elegante Konfliktlösung, die allerdings von Schmitt nicht thematisierte Probleme birgt (JF 25/16), ist auf einem anderen Sektor der Energiewende nicht in Sicht. Beim Maisanbau stören zwar (noch) keine Bürgerproteste, aber die Kollateralschäden nehmen dort in einem Umfang zu, die den Zielen der sozial-ökologischen Transformation der Energiewende zuwiderlaufen. Dies ist die These der Studie des Flensburger Geographen Christian Stolz und seiner Trierer Kollegin Antje Bruns, die bezweifelt, ob der „Energie“-Maisanbau aktuell überhaupt nachhaltig ist.

Krasse Schäden durch Biogas-Dekarbonisierung

Für Schleswig-Holstein, wo an 419 Standorten mit 711 Anlagen (2013) Biogas produziert und zur Strom- und Wärmegewinnung genutzt wird und das in Relation zur Fläche bundesweit führend bei der Biogaserzeugung ist, sind die krassen Schäden dieses Beitrags zur Dekarbonisierung nämlich nicht mehr zu übersehen. Obwohl dazu noch keine Erhebungen vorliegen, dürfte der Verlust an landschaftlicher Strukturvielfalt bald den Tourismussektor „nicht unerheblich“ treffen. Mais ist die mit inzwischen 181.000 Hektar am häufigsten angebaute, im Landesteil Schleswig (283 Standorte) konzentrierte Kultur. Die Landschaft dort wirke vielerorts monoton.

Die wenigen Altwaldbestände und Restmoore seien heute „vollständig von Maismonokulturen bzw. Rotationsgrünland umzingelt“. Winderosion führe auf den abgeernteten Maisfeldern zur weiteren Auslaugung der ohnehin nährstoffarmen Böden. Da humose Oberböden am meisten von der Abtragung betroffen sind, sinkt das Speicherungsvermögen für Nährstoffe und Wasser, was den Teufelskreis von Düngung und Grundwasserbelastung mit Nitraten in Gang setzt.

Zudem erfordert Maisanbau hohen Pestizideinsatz, was weder der Wasserqualität noch der Biodiversität zuträglich ist. Nicht erstaunlich daher, wenn dänische Untersuchungen belegen, daß die Steigerung des Maisanteils mit dem Rückgang von Feldhase, Feldlerche, Rebhuhn fast automatisch einhergehe.

Dies künde jedoch nur von Teilaspekten der „enormen negativen Umweltwirkungen“ des Biogas-Booms. Immer deutlicher treten daher die „innerökologischen Konflikte“ bei der Transformation des bundesdeutschen Energiesystems hervor. Der hastige Abschied vom fossilen Zeitalter gehe zu Lasten von Boden-, Wasser-, Landschafts- und Artenschutz. 

Wie soll man mit den „sich widersprechenden Zielen“ der Umweltpolitik umgehen? Stolz und Bruns, wie Schmitt prinzipielle Befürworter der Energiewende, tun sich mit Lösungen schwer. Unabdingbar sei jedenfalls eine „ökosystembasierte Energieplanung“, die Ausbauziele und -grenzen für einzelne Naturräume und Regionen klar definiere. Erstaunlich zu hören, aber Stolz und Bruns konstatieren, daß die ach so vernünftig agierenden Sachwalter des Allgemeinwohls „Beispiele einer solchen Energieplanung bislang nicht“ gegeben hätten.

Themenheft „Geographie der Energiewende“ (Geographische Rundschau, 11/16):  verlage.westermanngruppe.de/

51161100/Geographische-Rundschau-Geographie-der-Energiewende  Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Passage: www.stromautobahn.de