© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Der Kampf in der Asymmetrie
Dieter Farwicks umfassende Analyse über Ursprünge, Taktiken und Zukunft der „Kleinkriege“
Jost Bauch

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es auf der Welt über zweihundert „Kleinkriege“ gegeben – bei „nur“ fünf „klassischen Kriegen“. Obwohl es in diesen „Kleinkriegen“ Millionen tote Zivilisten und Kämpfer gegeben hat, Staaten zerstört wurden und neue Staaten entstanden sind, ist im deutschsprachigen Raum diese Thematik bis auf Ausnahmen (Herfried Münkler oder Franz Uhle-Wettler) nur spärlich beackert worden. Der Historiker Walter Laqueur, ein weltweit anerkannter Fachmann für Kleinkriege, hält deshalb die Studie von Brigadegeneral a.D. Dieter Farwick für herausragend: „Diese hervorragende Untersuchung eines führenden Kenners der Materie schließt nun endlich diese empfindliche Lücke.“

Mit den Augen eines anerkannten geopolitischen und geostrategischen Fachmanns sowie eines erfahrenen militärischen Führers analysiert Farwick die charakteristischen Merkmale von Kleinkriegen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es geht ihm nicht darum, eine Geschichte der Kleinkriege zu schreiben, sondern anhand ausgesuchter Quellen einige Kleinkriege umfassend zu betrachten – nicht nur das Militär, sondern alle relevanten Politikfelder. Er möchte die Gesetzmäßigkeiten erkennen und Voraussetzungen  benennen, wie diese Kriegsform erfolgreich geführt – oder bekämpft – werden muß.

Den historischen Rückblick beginnt der Autor mit dem „Urvater“ der Lehre von „Kleinkriegen“, dem chinesischen General Sun Tsu, der vor etwa 2.500 Jahren seine eigenen Erfahrungen als Führer von Kleinkriegen und als Militärtheoretiker ausgewertet hat. Sein Werk gilt noch heute als Lehrbuch für die Führung von Kleinkriegen, die man mit „Guerilla-“ und „Partisanenkriegen“ gleichsetzen kann.

Die „Dritte Kraft“ ist für die Guerilla überlebenswichtig

Der Kernsatz Sun Tsus lautet: „Wahrhaft siegt, der nicht kämpft.“ Diese Aussage überrascht zunächst, sie macht jedoch deutlich, daß das Militär eine wichtige, aber nicht die alleinige Rolle spielt. Kleinkriege sind „total“ in dem Sinn, daß sie alle Bereiche eines Staates und seiner Gesellschaft umfassen. Es ist ein Kampf der gegenseitigen Willen. Wenn der Wille des Gegners und seiner Gesellschaft durch Propaganda, Desinformation, Einschüchterung und Unterwanderung vor dem ersten Schuß gebrochen ist, ist der militärische Kampf bereits entschieden. Da der Kleinkrieg in der Regel „asymmetrisch“ – der zahlenmäßig und waffentechnisch schwächere Guerilla gegen einen überlegenen Feind – geführt wird, spielt die Bevölkerung im Kampfgebiet eine große Rolle. Das stellen alle Führer und Militärschriftsteller in ihren Analysen heraus. Das gilt auch für „Lawrence von Arabien“, Carl von Clausewitz, Mao Tse-tung, André Beaufre, Liddell Hart, Frank Kitson und Walter Laqueur.

Auf der politisch-strategischen Ebene stellt sich die Frage, ob die Guerilla von einer sogenannten „Dritten Kraft“ unterstützt wird. Für Lawrence von Arabien war die wirkungsvolle Unterstützung der Araber durch Großbritannien in ihrem Kampf gegen die Osmanen im Nahen Osten im Ersten Weltkrieg ausschlaggebend für deren Erfolg. Im Vietnamkrieg wurde der Vietkong durch China und die Sowjetunion als „Dritte Kräfte“ so unterstützt, daß der Sieg gelang. 

André Beaufre und Liddell Hart haben die „indirekte Strategie“ für das Politisch-strategische und das Operative propagiert. Auf der taktischen Ebene haben sich bewährt: Aufklärung, genaue Kenntnisse des Geländes und des Feindes, Überraschung und Täuschung, überfallartige Angriffe mit schnellem Ausweichen, Information und Kommunikation sowie durch wenig körperliche Belastung durch die Logistik. Für alle erfahrenen Truppenführer ist der Mensch der entscheidende Faktor – als Führer und als Soldat, den Opferbereitschaft und Kampfeswille auszeichnen.

Wenn man die Lehren aus Jahrhunderten für Kleinkriege auf die Gegenwart überträgt, so wagt Farwick die Prognose, daß der „Islamische Staat“ einen entscheidenden Nachteil hat, die fehlende „Dritte Kraft“. Damit fehlt ihm die Durchhaltefähigkeit. Er wird im Nahen Osten den Kampf verlieren, wenn die Koalition, die ihn bekämpft, auch Bodenkampftruppen einsetzt.

Für die Zukunft ist der Kleinkrieg – auch in Form von „Stellvertreterkriegen“ – die wahrscheinlichere Kriegsform im Vergleich zu klassischen Kriegen, die allerdings nicht verschwinden werden. Der Autor faßt zusammen: Die Zukunft in militärischen Konflikten gehört den Guerillas, Partisanen und Hackern im Cyberkrieg. Informations- und Kommunikationseinrichtungen, die „sensible Infrastruktur“ sowie die Energieversorgung werden die bevorzugten Ziele gegen den betroffenen Staat und seine Gesellschaft sein. Die westlichen Streitkräfte müssen sich auf beide Kriegsformen vorbereiten. Eine Tatsache, die die Streitkräfteplaner – auch die zukünftiger deutscher Streitkräfte – vor große Herausforderungen stellt.

Besondere Kapitel beschreiben die Folgen von Katastrophen- und Notfällen, die unabhängig von einem Krieg Staat und Gesellschaft treffen können – überwiegend unvorbereitet. Der Autor gibt praktische Hinweise, wie der Staat und der einzelne Bürger die Sicherheitsvorsorge verbessern müssen.Größere Aufmerksamkeit wird dem deutschen Militärtheoretiker Arthur Ehrhard zwischen den beiden Weltkriegen gewidmet, der sich mit dem Thema befaßte. In seinem 1935 erschienenen Buch „Kleinkriege“ hat er mit einer erstaunlichen Weitsicht auf die Gefahren durch Guerillas und Partisanen in künftigen Kriegen hingewiesen. Es ist eine Tragik, daß die deutsche Heeresführung den Wert dieser Prognose nicht erkannt hat. Der Preis für dieses Versäumnis war sehr hoch. Es ist das Verdienst des Gerhard-Hess-Verlages, dieses seit Jahren vergriffene Buch im Original als Teil des Buches von Dieter Farwick herauszugeben, damit es wieder verfügbar ist.

Entschlossen gegen die Feinde von innen und außen

Hinsichtlich der Zukunft von deutschen Streitkräften befinden wir uns in einer ähnlichen Situation. Es gilt die Frage, was deutsche Streitkräfte in zwanzig Jahren können müssen. Ein akribisches Quellenverzeichnis und ein umfangreiches Personen- und Sachregister erleichtert die Vertiefung des Studiums.

Dieses Buch richtet sich vor allem an politisch Verantwortliche, die Soldaten  und die Bürger, die sich beruflich und privat Sorgen machen über die sicherheitspolitische Zukunft Deutschlands. Sie können aus diesem Buch ableiten, was Deutschland tun muß, um die Zukunft in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit erleben zu dürfen. 

Es geht nicht nur um die Streitkräfte. Wichtiger ist der politische Wille und die Entschlossenheit der Bevölkerung, sich in einer Welt, die in Unordung geraten ist, gegen Feinde von innen und außen zu behaupten. Daran mangelt es heute in Deutschland.

Dieter Farwick: Kleinkriege – die unterschätzte Kriegsform. Warum die Zukunft von Kriegen den Guerillas, Partisanen und Hackern gehört. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2016, gebunden, 351 Seiten, 19,80 Euro