© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Eher trübe Aussichten
Deutsche Rüstungspolitik: Wehrtechnik „made in Germany“ kämpft mit erheblichen Problemen / Berliner Politik als Unsicherheitsfaktor Nummer eins
Hans Brandlberger

Vor knapp einem Jahr weckte Ursula von der Leyen das politische Berlin mit einem Paukenschlag aus dem Winterschlaf. 130 Milliarden Euro, so drang aus dem Verteidigungsministerium an die Öffentlichkeit, sollen der Bundeswehr bis 2030 zur Verfügung gestellt werden, damit sie endlich all die Ausrüstungsdefizite beheben kann, die der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages kurz zuvor mit drastischen Worten kritisiert hatte. Wie dieser stolze Betrag – er ist nahezu doppelt so hoch, wie bei Fortschreibung der bisherigen Haushaltsansätze zu erwarten gewesen wäre – ermittelt wurde, ist bis heute nicht bekannt.

Sollte man, so gaben sie zu bedenken, nicht lieber erst einmal versuchen, das bereits vorhandene Geld vernünftig und vollständig auszugeben? Zu häufig war es schließlich in den vergangenen Jahren vorgekommen, daß im Verteidigungshaushalt eingeplante Mittel nicht abflossen, weil sich Rüstungsprojekte, für die sie vorgesehen waren, verzögerten. 

Bundesregierung scheut Alleingänge 

Die Liste der Ausrüstungsdefizite ist lang. Junge Soldaten fliegen in Transporthubschraubern herum, die in die Truppe kamen, als ihre Väter geboren wurden. Die Eurofighter der Luftwaffe können mit ihren Kunststückchen zwar Besucher der Berliner Luftfahrtausstellung begeistern. Über eine Bewaffnung, mit der sie Gegner in der Luft oder am Boden bekämpfen könnten, verfügen sie aber nicht. Die Funkgeräteausstattung der Streitkräfte ist schon seit Jahrzehnten museumsreif. In Kürze werden nicht einmal mehr Ersatzteile lieferbar sein, um wenigstens ihre Funktionsfähigkeit zu erhalten. Das Heer ist zwar stolz auf seine modernen Kampffahrzeuge. Deren Zahl ist aber so gering, daß sie niemals zur Bündnisverteidigung ausreichen würden. 

All diese Mängel und viele andere mehr innerhalb von 15 Jahren mit einem großen Wurf beheben zu wollen, ist nicht nur ein Signal an die Soldaten, daß man ihnen endlich die Mittel an die Hand geben möchte, mit denen sie ihren Auftrag erfüllen können. Auch die deutsche Rüstungsindustrie darf nach einer langen Durststrecke wieder aufatmen. Es war ihr schon fast wie ein Naturgesetz vorgekommen, daß der Umsatz mit dem Kunden Bundeswehr immer weiter schrumpfte. Nun scheint eine Trendwende eingeläutet. 

Die Zeiten, in denen sie darauf bauen durfte, in der Auftragsvergabe des Bundes gegenüber ausländischen Mitbewerbern, sofern solche überhaupt ins Spiel kamen, generell bevorzugt zu werden, kehren dennoch nicht zurück. Zwar gibt es, wie das von norddeutschen Parlamentariern aus dem Hut gezauberte Vorhaben fünf weiterer Korvetten für die Marine beweist, immer noch Abgeordnete, die sich für Rüstungsunternehmen aus ihrem Wahlkreis stark machen – und dies ganz besonders dann, wenn Bundestagswahlen ins Haus stehen. 

Der aufgestaute und durch immer neue Pannen angeheizte Unmut der Bundeswehr über allzu viele Rüstungsprojekte, die den mit der Industrie vereinbarten Zeit- und Kostenrahmen sprengten und bei denen das gelieferte Produkt dann auch noch nicht einmal hielt, was ursprünglich versprochen worden war, wird sich nicht so schnell verflüchtigen. 

Das Verteidigungsministerium ist nicht nur von Europaeuphorie getrieben, wenn es so viele Rüstungsvorhaben EU-weit ausschreibt wie kein anderer Mitgliedsstaat – obwohl eigentlich alle anderen durch das neue Vergaberecht gleichermaßen dazu angehalten sind. Es hat das Grundvertrauen in die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der deutschen Industrie verloren und möchte dem Risiko vorbeugen, die Verantwortung für schlechte Ergebnisse tragen zu müssen, die man durch Auftragsvergabe im internationalen Wettbewerb vielleicht hätte vermeiden können. Der deklarierte Wille, in der Rüstung stärker mit Bündnispartnern zusammenzuarbeiten, dürfte diese Tendenz verstärken. 

Die Industrie kann der Aussicht, daß mehr und mehr Waffensysteme von verschiedenen Staaten gemeinsam beschafft werden, einiges abgewinnen. Eine stärkere Harmonisierung der nationalen militärischen Forderungen, so ihr Kalkül, führt zu mehr Standardisierung bei höheren Stückzahlen. Der Wettbewerb nimmt zu, doch jene Aufträge, die ergattert werden können, dürften dafür um so lukrativer sein.

Die von Ursula von der Leyen ausgerufene „Trendwende Rüstung“ hat zwar die Endzeitstimmung, in die manche Unternehmen in dieser Legislaturperiode verfallen waren, beendet. Euphorie will allerdings nirgendwo ausbrechen. Auch das Grundvertrauen der Wirtschaft in die Verläßlichkeit der Politik und die Effizienz der Beschaffungsbehörde ist erschüttert. 

Im September 2017 stehen Bundestagswahlen an. Wird die Spitze des Verteidigungsministeriums neu besetzt, wird der neue Amtsinhaber auch auf dem Gebiet der Rüstung eigene Akzente setzen wollen. Kommt es gar zu einer neuen Regierungskoalition, könnte all das, was lautstark verkündet wurde, schon wieder Makulatur sein. 

Da die mittelfristige Finanzplanung bis 2020 noch keine exorbitanten Ausgabensteigerungen vorsieht und eine sprunghafte Zunahme der Verteidigungsinvestitionen erst für das nächste Jahrzehnt in Aussicht gestellt ist, wird sich das Inlandsgeschäft in den nächsten Jahren nicht spürbar beleben. Dieses ist dafür so kompliziert wie nie zuvor. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr darf nicht länger auf die Rückendeckung der politischen Leitung des Ministeriums hoffen, sondern muß vielmehr befürchten, bei jeder Panne als Sündenbock herzuhalten. Daher folgt es der Maxime, Risiken um jeden Preis zu vermeiden. 

„Überzüchtete“ deutsche Produkte schwer absetzbar

Die noch nie für besondere Schnelligkeit berühmten Beschaffungsprozesse werden dadurch noch mehr in die Länge gezogen. Überdies ist ausgerechnet in einer Zeit, in der es mit einem neuen Vergaberecht Erfahrungen zu sammeln gilt, Juristenmangel ausgebrochen. Ein dreistelliger Millionenbetrag steht zur Verfügung, um diese Lücke mit „externem Sachverstand“, also den Leistungen von Anwaltskanzleien, zu schließen. Ein Ergebnis sind neue Vertragsklauseln zu Projektmeilensteinen, Gewährleistungsansprüchen des Bundes gegenüber der Industrie und Konventionalstrafen, auf die sich so manches Unternehmen nicht einlassen kann, ohne seine Existenz aufs Spiel zu setzen. 

Der Paragraphendschungel, der zu durchschreiten ist, um zur Qualifizierung militärischen Geräts zu gelangen, wird immer undurchdringlicher. Technische Vorschriften etwa zu Arbeitsschutz und Verkehrssicherheit, die eigentlich für zivile Produkte vorgesehen waren, werden auch auf Wehrmaterial angewandt und führen mitunter zu grotesken Lösungen und zusätzlichen Verzögerungen. Ausnahmen, die möglich wären, werden nicht konzediert, weil die verantwortlichen Beamten verunsichert und übervorsichtig sind. Was bei zahlreichen großen Infrastrukturvorhaben der öffentlichen Hand zu beobachten ist, gilt auch bei nicht wenigen Rüstungsvorhaben: Die Komplexität ist so groß geworden, daß Auftraggeber und Auftragnehmer den Überblick verlieren.

Auf der anderen Seite ist deutsche Wehrtechnik, wie auch die jüngsten Rüstungsexportberichte der Bundesregierung zu erkennen geben, auf internationalen Märkten gefragt. Nicht zuletzt mittelständische Hersteller von Komponenten und Subsystemen behaupten in ihren Technologienischen oft eine Spitzenposition. Diese Marktstellung wird allerdings von zwei Seiten bedroht. Deutsche Rüstungsprodukte sind zum einen technologisch auf neuestem Stand – auf manchen Feldern vielleicht sogar „überzüchtet“–  und daher entsprechend teuer in Anschaffung und Betrieb. 

Eine wachsende Zahl von Kunden scheint aber auf weniger arrivierte Systeme zu setzen, die ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis versprechen. Zum anderen zeichnet sich ab, daß der Technologievorsprung, auf den die deutsche Verteidigungsindustrie jahrzehntelang so stolz war, allmählich erodiert. Staatliche Aufträge für Forschungs- und Entwicklungsprojekte sind rar geworden. Die hier investierten Eigenmittel sind mit einer Quote von 7,1 Prozent des Umsatzes zwar immer noch beachtlich, reichen aber nicht aus, um sich langfristig im Wettbewerb zu behaupten. Der Trend, auf Investitionen zu verzichten und Zugang zu Spitzentechnologie durch Kooperation mit ausländischen Unternehmen zu erhalten, wird sich daher verstärken.

Diese für sich genommen bereits existenzgefährdenden Entwicklungen werden durch eine Rüstungsexportpolitik in den Schatten gestellt, die der wehrtechnischen Industrie bereits heute die Luft zum Atmen nimmt. Während andere Staaten wie Frankreich, die USA oder Israel ihren Unternehmen bei internationalen Ausschreibungen aktive Unterstützung bieten, ist es das erklärte Ziel von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, das Auslandsgeschäft der deutschen Rüstungsindustrie zu torpedieren. 80 Prozent der Ausfuhranträge, die im Bundessicherheitsrat zur Sprache kämen, würden er und seine SPD-Kollegen ablehnen, verkündete der Minister stolz. 

Nicht minder effektiv ist das ihm unterstellte Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das Genehmigungsverfahren derart verschleppt, daß deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb das Nachsehen haben. Selbst längst verkaufte Rüstungsgüter, die vertragsgemäß in Deutschland gewartet werden sollen, bedürfen einer neuerlichen Ausfuhrgenehmigung, um sie nach Abschluß der Arbeiten dem Eigentümer wieder zur Verfügung zu stellen. 

Der Mittelstand gerät zunehmend in Schieflage

Es ist daher kein Wunder, daß ausländische Konkurrenten heute damit punkten können, wenn sie ihren Kunden Produkte anbieten, die garantiert frei von deutschen Komponenten sind. Keine derzeit für die nächste Legislaturperiode vorstellbare Regierungskoalition läßt hier eine Änderung erwarten. Der deutschen Rüstungsindustrie stehen daher trotz des mit zahlreichen Fragezeichen behafteten 130-Milliarden-Programms von Ursula von der Leyen schwierige Zeiten ins Haus. Jene Konzerne, wie etwa Airbus, MTU Aero Engines, ZF oder Renk, für die das Verteidigungsgeschäft per se nur ein Nebenschauplatz ist, werden dies verschmerzen können.  Manche Systemhäuser haben durch Zukäufe oder Partnerschaften im Ausland bereits die Tür zum Ausstieg aus dem Standort Deutschland geöffnet. 

Besonders engagiert ist hier der Rheinmetall-Konzern, dessen Verteidigungssparte relevante Teile des Exportgeschäfts bereits über Tochtergesellschaften in Österreich, der Schweiz oder Südafrika betreibt. Krauss-Maffei Wegmann (KMW) ist mit dem französischen Staatskonzern Nexter unter dem Dach einer gemeinsamen Holding zusammengegangen. Kurzfristig mag dies noch keine Auswirkungen auf den deutschen Standort haben. Langfristig ist aber damit zu rechnen, daß Know-how nach Frankreich abwandert, wenn der politische Gegenwind aus Berlin nicht abflauen sollte. 

Weniger flexibel hinsichtlich der Standortwahl und auch nur begrenzt leidensfähig sind die mittelständischen Unternehmen, in denen oft das eigentliche technologisch Know-how gebündelt ist. Manche von ihnen sind bereits in den zurückliegenden Jahren in eine Schieflage geraten. Weitere werden folgen.