© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Trump setzt auf „China-Bashing“
Handelsdefizit: Die USA importieren für über 800 Milliarden Dollar mehr als sie exportieren / Auch der deutsche Milliarden-Überschuß wird zum Problem
Elliot Neaman

Bis vor kurzem kannten Peter Navarro nur Insider. Außer für seine Forschungen in der Umwelt- und Energiepolitik war der Ökonomieprofessor von der Irvine University in Südkalifornien als ein scharfer Kritiker der chinesischen Regierung bekannt, der er mit harschen Worten Währungsmanipulation, Produktpiraterie und die Mißhandlung von Häftlingen und Arbeitern in der Wirtschaft vorwarf. Der 67jährige verfaßte reißerische Bücher mit Titeln wie „The Coming China Wars“ (2006) oder „Crouching Tiger“ (2015).

Im Präsidentschaftswahlkampf wurde Navarro informeller Berater von Donald Trump, inzwischen stieg er zum Leiter des neuen Handelsrats (White House National Trade Council) auf. Wie manch andere hat er vermutlich nicht mit dem Sieg von Trump gerechnet und wurde unverhofft aus seinem Schattendasein herausgerissen, um in der neuen Administration eine bedeutende Rolle einzunehmen – ein „Outsider“, der plötzlich in die Rolle eines „Insiders“ gedrängt wird.

Kampf gegen den Verlust von Industriearbeitsplätzen

Trumps Kritiker behaupten oft, daß er keine schlüssigen Konzepte habe, aus der Hüfte schieße und Fragen erst später stelle. Ob das stimmt, wird sich ab 20. Januar zeigen, doch die Wahl von Navarro als Handelsberater zeigt, daß Trump in den vergangenen Jahren bei diesem Thema sehr konsequent war. Wie viele kritisierte Trump in den 1980ern scharf Japans Vormachtstellung auf dem US-Markt. Jetzt betrachtet er China nicht nur als ökonomische, sondern auch politische und militärische Bedrohung.

Der Unterschied ist, daß Trump nun etwas gegen das unternehmen kann, was er als strategische Gefahr ansieht. Als Trump im Dezember mit Tsai Ing-wen, der Präsidentin Taiwans, telefonierte und so mit fast vier Jahrzehnten diplomatischer Gepflogenheiten brach, hielten einige dies für die Aktion eines Politamateurs. Andere erkannten darin einen ersten strategischen Zug in einem Schachspiel, dessen Ziel es sein soll, die rotchinesische Königin zu stürzen.

Bekanntermaßen ist Trump ein visueller Lerntyp. Der 70jährige liest keine Bücher und hat wenig Achtung vor Intellektuellen und Akademikern. Während einer TV-Diskussion im Wahlkampf gab er ungeniert zu, daß er sich seine Informationen aus dem Kabelfernsehen holt. 2012 setzte Navarro sein mit Greg Autry verfaßtes Buch „Death by China“ mit Hilfe des Hollywood-Schauspielers Martin Sheen („Apocalypse Now“, „Gandhi“, „Gettysburg“) zu einer Netflix-Dokumentation um. Im nachhinein kann man sehen, wieviel von Trumps Weltanschauung in dem Film eingefangen ist.

Navarro kopierte die Methode von Filmemachern wie Michael Moore, als er normale Amerikaner interviewte, die in kleinen Städten im Mittleren Westen leben und die durch den Verlust von Industriearbeitsplätzen am Boden zerstört sind. Er zoomt ihren leiderfüllten Gesichtsausdruck heran, um ihre Mutlosigkeit, aber auch ihre Wut auf die Washingtoner Eliten aufzuzeigen, die sie im Stich gelassen haben.

Er interviewte auch Geschäftsführer großer Firmen, die für die Jobverlagerung keine Verantwortung übernehmen. So führte er ein Gespräch mit dem Inhaber einer kleinen Firma, die Sperrholz für Möbel herstellt. Wenn alle seine Konkurrenten nach China umziehen, so erklärt der Geschäftsmann, habe er keine andere Wahl, entweder die Firma zu schließen oder ihnen ins Ausland zu folgen. Doch die Geschäftsführer großer Unternehmen, bemerkt er bitter, hätten sehr wohl eine Wahl: Sie können ihre Produktionsstätten in Amerika behalten, etwas weniger Profit machen, aber dem nationalen Interesse dienen.

Der Film beschreibt vorausschauend die Trump-Wähler von 2016, die nicht den Eindruck von Fanatikern oder Rassisten machen, sondern eher den von desillusionierten Normalbürgern auf der Suche nach einer Erklärung für ihre Misere. Viele von ihnen haben 2008 Barack Obama unterstützt. An einer Stelle in dem Film interviewt Navarro einen Bürger, der kundtut, daß eine neue Tea Party nottue – nicht eine, die zwischen rechts und links unterscheidet, sondern vielmehr zwischen richtig und falsch.

Ein anderer Mann mit Anzug und Krawatte, der auf der Straße irgendeiner US-Großstadt befragt wird, sagt, daß es eine gesamtgesellschaftliche Leistung der Bürger sein müsse, Arbeitsplätze zu schaffen, da sich diese nicht zufällig einstellten. Der Schlüssel zum Verständnis des Phänomens Trump ist, daß er der einzige Kandidat war, der erkannt hatte, daß der Washington-Konsens zu Fragen wie Handel und Immigration aufgekündigt war. Navarros Film enthält ebenso viele Interviews mit über die Menschenrechte in China besorgten Liberalen, linken Aktivisten und Gewerkschaftsführern, wie er aufgebrachte Konservative miteinbezieht.

Wirtschaftswissenschaftler haben Navarros China-Analyse als vereinfachend und einseitig kritisiert. Der ehemalige Präsident der Harvard University und frühere Finanzminister Larry Summers hat Navarro als „Voodoo-Ökonom“ mit Hang zum Kreationismus abgetan. Die Anspielung auf „Voodoo-Ökonomie“ ist aufschlußreich: So beschrieb George Bush Ronald Reagans Wirtschaftskonzepte im Präsidentschaftswahlkampf 1980. Reagan gewann, Bush verlor und mußte als dessen Vizepräsident seine Einstellung ändern. Trumps explizites China- und das besonders lautstarke Mexiko-„Bashing“ (der südliche Nachbar erzielt wegen des Freihandelsabkommens Nafta jährlich einen Handelsüberschuß in zweistelliger Milliardenhöhe, JF 51/16) und eine Anti-Einwanderungspolitik sind keinesfalls neu in der US-Politik. Doch Trump fügte eine entscheidende Zutat hinzu: Liberale Großstädter waren entsetzt über Trumps aggressive Sprache und seine frauen- und fremdenfeindlichen Ausfälle. Doch seine Unterstützer interpretieren sein Alphamännchen-Verhalten als Zusicherung, daß er nicht einfach nur redet, sondern tatsächlich den Mumm aufbringt, viel Gutes für sie zu bewirken.

Heißt der deutsche Peter Navarro Wolfgang Streeck?

Die alt- und neokonservativen Intellektuellen waren weitgehend ebenso entsetzt über Trumps ungehobeltes Verhalten. Doch indem er die Eliten auf beiden Seiten schockierte, verkörperte er die Hoffnungen einer reformistischen, ökonomischen und kulturellen patriotischen Bewegung, die im amerikanischen System bereits schon einmal erprobt wurde (Ross Perot, Pat Buchanan), doch erst 2016 zum Durchbruch kam.

Jetzt sind einige konservative Intellektuelle aufgewacht und erkennen die Vorteile Trumps. Unter dem antik-römischen Pseudonym Publius Decius Mus veröffentlichte das Magazin The Claremont Review einen inzwischen weitverbreiteten Artikel mit dem Titel „The Flight 93 Election“, in dem der anonyme Verfasser sein Verlassen des „Never Trump“-Lagers verkündet und sich den „Trumpismus“ als „Politik der sicheren Grenzen, eines wirtschaftlichen Patriotismus und einer ’Amerika zuerst‘-Außenpolitik“ zu eigen macht.

Dieser Angriff auf die Werte der internationalen kosmopolitischen Elite ist weder links noch rechts. Das vorletzte Buch von Wolfgang Streeck heißt „Gekaufte Zeit“. Der neomarxistische Euro-Kritiker vertritt die Ansicht, daß der Kapitalismus wieder unter die Kontrolle des Nationalstaates gebracht werden müsse, denn nur dort könnten sich die Bürger wehren. Schon 2013 hatte Jürgen Habermas ihm vorgeworfen, sich der Nostalgie für eine nationale Festung hinzugeben.

Diese Beispiele und der Aufstieg von Navarro demonstrieren, daß die nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten finanziellen und politischen Rahmenbedingungen mit der großen Rezession von 2008 mehr als in Frage gestellt wurden. Auch für Deutschland dürfte es schwer werden, weiterhin für 114 Milliarden Euro in die USA zu liefern, aber nur Waren für 59 Milliarden von dort zu beziehen. Nur nur die deutsche Autolieferung aus Mexiko muß unter Trump wohl ganz neu kalkuliert werden.






Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.

US-Dokumentarfilm „Death By China: How America Lost Its Manufacturing Base“:  www.youtube.com