© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

„Sie schlagen uns grundlos“
Nord- und Südsudan: Willkür und Elend – unterschiedliche Voraussetzungen, doch die gleichen Probleme
Marc Zoellner

Khartum ist eine Perle unter den Städten des Nil. Neben einer Vielzahl an flachen, zumeist schneeweiß und lehmbraun gehaltenen Wohnhäusern erhebt sich, insbesondere auf der Halbinsel von Al-Mogran, wo der Weiße und der Blaue Nil zusammentreffen, seit wenigen Jahren eine Silhouette von Hochhäusern im modernen Design. Mit dem NTC Tower befindet sich darunter einer der höchsten Türme Afrikas. 

Al-Mogran ist nicht nur der Name jener Halbinsel im Herzen Khartums, auf welcher der ölreiche nordafrikanische Staat seit gut zehn Jahren gleich ein ganzes Dutzend an Mammutprojekten  stemmen will: Vergnügungsparks, Bürotürme und Geschäftsmeilen, Villen und Wohnungen für 45.000 Menschen sowie über 60.000 Arbeitsplätze sollen hier im „Dubai Afrikas“ für über vier Milliarden US-Dollar an Investitionskosten in wenigen Jahren entstehen. Al-Mogran, das ist die Sonnenseite Khartums.

UN-Einsatz im Südsudan scheiterte kläglich 

Die Sonnenseite des Südsudan, für diesen Titel war einst dessen Hauptstadt Juba angedacht. Doch der Vergleich zu Khartum hält kaum stand: Zwar sind auch hier die Siedlungen meist vorbildlich sauber und in schlichten Weiß- und Brauntönen gehalten. Doch Hochhäuser oder Einkaufsmeilen sucht man in Juba vergebens. In der gut 1.800 Kilometer südlich von Khartum gelegenen Metropole ist der Wahlspruch der jüngsten Nation dieser Erde – „Gerechtigkeit, Freiheit, Wohlstand“ – auch im sechsten Jahr der Unabhängigkeit verhallt. Bürgerkriege, Hungersnöte und eine offen kleptomanische Willkürregierung treiben das Land, dem 80 Prozent der reichen Erdölvorkommen des geteilten Sudan zugeschlagen wurden, weit jenseits der Grenzen des Ruins. 

Allein der anhaltende Machtkampf zwischen dem südsudanischen Präsidenten Salva Kiir und seinem Stellvertreter Riek Machar, konstatierte die Uno resigniert, habe seit 2013 über 50.000 Menschen, vornehmlich Zivilisten, das Leben gekostet. Weit über zwei der zwölf Millionen Südsudanesen befinden sich seitdem im eigenen Land auf der Flucht oder mußten in einen der Nachbarstaaten fliehen. Der Süden zeigt sich tief gespalten: in die verfeindeten Stämmen der Dinka und der Nuer, in die Anhänger Kiirs und jene Machars, in Militärs und Milizionäre – und zwischen den Mahlsteinen der Machtkämpfe eine Unzahl an ausgeraubten, geplünderten, vergewaltigten Zivilisten.

Das Geschäft mt dem Tod hingegen ist im Südsudan ein einträgliches; zumindest für einige wenige. „Während der brutale Bürgerkrieg weiter wütet, leben die Familien der kriegstreibenden Anführer in millionenteuren Anwesen außerhalb des Landes, wohnen in Fünf-Sterne-Hotels und fahren Luxuslimousinen“, konstatieren der Schauspieler George Clooney und der US-Menschenrechtsaktivist John Prendergast, die Gründer des auf Korruption und Kriegsfinanzierung spezialisierten Watchblogs The Sentry, Anfang diesen Herbstes in einem Beitrag für die Washington Post. „Geschätzte zwei Drittel des südsudanischen Haushalts werden für Militär und Verteidigung ausgegeben, während die Regierungsausgaben für das Gesundheits- und Bildungswesen weiter schrumpfen.“

Die ausufernde Gewaltspirale im Südsudan zumindest einzudämmen, darin scheiterte zuletzt auch die Unmiss-Mission eklatant. Rund 13.700 Blauhelme aus über 60 ihrer Mitgliedsstaaten haben die Vereinten Nationen derzeit bereits am oberen Nil stationiert; davon allein 1.800 in der umkämpften Hauptstadt Juba. Doch ein am 1. November veröffentlichter Untersuchungsbericht stellt den UN-Soldaten ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. 

So hätten im Juli 2016 bei einem Angriff von Regierungstruppen auf zwei knapp 27.000 Menschen umfassende Flüchtlingscamps nahe dem UN-Hauptquartier in Juba die anwesenden Blauhelme nicht nur nicht eingegriffen, sondern auch widerstandslos ihre Posten geräumt und unzählige Waffen zurückgelassen. „Die Sonderermittlung befand, daß die Unmiss aufgrund eines Mangels an Führungskraft und Einsatzbereitschaft nicht wirkungsvoll auf die Gewalt antworten konnte“, gestand UN-Sprecher Stéphane Dujarric ein. 

Als erste Konsequenz wurde der Unmiss-Leiter, der kenianische General Johnson Mogoa Kimani Ondieki, von der UN geschaßt und durch den Chinesen Chaoying Yang ersetzt. Mit weitreichenden Folgen: Denn anstatt sich an der geplanten Aufstockung der internationalen Friedenstruppen auf 16.000 Soldaten zu beteiligen, kündigte die kenianische Regierung an, ihre gut 1.000 Mann starken Bataillone komplett aus dem Südsudan zurückzuziehen. 

Massenhafte Verhaftungen von Medizinern 

Schwerreiche Diktatoren, Willkürherrschaft, Völkermord: All dies findet sich auch in Geschichte und Gegenwart des Nordsudan wieder. Allein der anhaltende Darfur-Konflikt kostete seit 2003 weit über 300.000 Zivilisten das Leben. Noch immer vegetieren gut anderthalb Millionen Darfuri in Dutzenden, bis zu 70.000 Personen fassenden Flüchtlingscamps der Region – eine weitere Viertelmillion im östlichen Tschad. Einem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichthofs in Den Haag zum Trotz führt Nordsudans Präsident Umar al-Baschir unbekümmert seinen Krieg im kargen Westen des Nilstaats fort. Noch immer mit Mitteln weit jenseits der Legitimität: So zählte Amnesty International im Jahr 2016 über 32 Chemiewaffenangriffe von Regierungstruppen auf Rebellenmilizen sowie über 100 durch Kampfflugzeuge teils schwer zerstörte Dörfer in Darfur.

Doch seit dem Übergriff des Arabischen Frühlings auf die Studenten Khartums (JF 32/12) hat sich das politische Klima auch für al-Baschir grundlegend gewandelt. Zwar sitzen Militär und die Nationale Kongreßpartei (NCP) noch immer fest im Sattel. Immer öfter halten jedoch Massendemonstrationen gegen Regierung und Armee die großen Städte des Landes in Atem. Eine fragile Arbeitsmarktsituation, die horrende Inflation sowie Mißhandlungen durch Soldaten treiben gerade junge Menschen zu Protesten oder gleich zur Flucht gen Norden.

„Die Mehrheit der Leute hier verdienen gerade einmal noch 1.000 Pfund oder weniger im Monat“, umgerechnet rund 60 Euro, erzählt Mohammed im Gespräch mit dieser Zeitung. „Bei den heutigen Preisen benötigt man einen Zweitjob, welcher nicht leicht zu finden ist. Viele von uns finden ja nicht einmal einen Erstjob.“

Der junge Arzt aus einem Khartumer Vorort ist einer von Tausenden medizinischen Angestellten, die im Herbst 2016 in den Generalstreik traten. Geschichten von Gewaltakten des Militärs gegen Ärzte und Pflegepersonal, von Einschüchterung, Folter und selbst Mord trieben sie dazu. „Kürzlich informierte ein Doktor einen Angehörigen aus der Armee, daß sein Patient gestorben sei“, berichtet Maab, eine Kollegin Mohammeds, gegenüber der JF. „Da zog dieser seine Waffe und schoß auf den Doktor. Sie schlagen uns grundlos und wollen immer zuerst behandelt werden.“

Die Regierung reagierte auf übliche Weise: Massenhaft wurden Studenten und Ärzte verhaftet; unter ihnen auch Hassan Karar und Omer Ahmed Saleh, die Vorsitzenden des Zentralkomitees der sudanesischen Ärzte. In ihren Protesten sind die Mediziner jedoch längst nicht mehr allein. Über 140 Krankenhäuser hatten sich dem Machtkampf der Mediziner gegen das Militär angeschlossen; ebenso die natur- und ingenieurswissenschaftlichen Fakultäten der Universität von Khartum. „Es geht uns nicht mehr nur um al-Baschir“, erzählt ein Demonstrant, „sondern um das korrupte System.“

Ein System mit glitzernden Fassaden – von deren Errichtung allerdings die wenigsten Sudanesen je persönlich zu profitieren erhoffen können. Anders als Präsident al-Baschir, einer der Hauptinvestoren des „afrikanischen Dubai“, dessen Vermögen schon jetzt auf bis zu neun Milliarden US-Dollar geschätzt wird.

„Die Mehrheit der Sudanesen, mich eingeschlossen, möchte, daß al-Baschir und seine Regierung zurücktreten“, bestätigt Mohammed. „Wir wünschen uns eine gute Regierung. Wir haben viele Ressourcen, und mit einer guten Regierung könnten wir unser Land viel besser aufbauen als jetzt.“