© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Kein Wintermärchen
Innere Sicherheit: SPD-Chef Gabriel kritisiert den Koalitionspartner / Ungeachtet dessen wollen Innen- und Justizminister Gesetze verschärfen
Peter Möller

So eilig es die offizielle Bundesrepublik damit hatte, nach dem Anschlag auf den Berliner Breidscheidplatz mit zwölf Toten zur vielbeschworenen Normalität zurückzukehren, so viel Zeit lassen sich die Verantwortlichen nun damit, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. „Ich rate zunächst mal sehr zur Gelassenheit“, sagte der SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch am Montag im Deutschlandfunk und fügte hinzu: „Auch was das Agieren von Innenminister de Maizière in den letzten Tagen angeht.“ Gemeint waren damit die Vorschläge des Innenministers zur inneren Sicherheit, die dieser in der vergangenen Woche via FAZ in die bislang recht zähe Diskussion über die Terrorabwehr eingespeist hatte. Als ginge es lediglich um die nächste Rentenreform und nicht darum, einen Anschlag wie den auf den Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche – oder noch Schlimmeres – zu verhindern, antwortete ihm eine Woche später SPD-Chef Sigmar Gabriel – ebenfalls in einem langen Artikel in der FAZ.

Erleichterte Abschiebehaft für ausländische Gefährder

Gabriel erklärte darin die spätestens mit dem Lkw-Anschlag kurz vor Weihnachten auch in Deutschland offensichtlich gewordene Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus kurzerhand zur sozialen Frage. „Es gilt: Keine Gerechtigkeit ohne Sicherheit. Aber eben auch keine Sicherheit ohne Gerechtigkeit“,  schrieb der SPD-Chef. Der Union warf Gabriel vor, sie reagiere „auf die aktuelle Lage ausschließlich mit Forderungen nach Verschärfung repressiver Gesetze.“ Natürlich darf auch die Warnung vor angeblichen „Symbolhandlungen und falschen Versprechungen“ nicht fehlen. Denn diese könnten bei den Bürgern zu enttäuschten Hoffnungen und damit zum Eindruck des politischen Kontrollverlustes führen.

Die vom Innenminister geforderte Stärkung der Sicherheitsbehörden des Bundes, insbesondere des Verfassungsschutzes und der Bundespolizei, zu Lasten der Länder, hält Gabriel in diesem Zusammenhang  in einer „vertretbaren Frist“ für unerreichbar – und darüber hinaus für unpraktikabel. Zumindest mit dieser Einschätzung dürfte Gabriel nach Meinung der meisten politischen Experten richtigliegen – und einiges spricht dafür, daß de Maizière auch nicht wirklich an die Umsetzbarkeit seiner Vorschläge zur Neujustierung des Sicherheitsföderalismus glaubt.

Vor allem die vom CDU-Politiker ins Spiel gebrachte Auflösung der Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten des Kölner Bundesamts stieß in den Bundesländern auf Ablehnung. „Unsere Landesämter für Verfassungsschutz leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit in Deutschland. Ihre Abschaffung steht für mich nicht zur Disposition“, beschied der Innenressortchef des kleinsten Bundeslandes Bremen, Ulrich Mäurer (SPD). Doch auch von seinem Parteifreund und sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) fing sich der Bundesinnenminister eine Absage ein. „Durch die Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz bestünde die Gefahr, daß bestimmte Aufgaben nicht mehr mit der nötigen Priorität verfolgt werden“, warnte er. Der mittlerweile politisch schwer angezählte nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger versuchte dagegen gar nicht erst, den Willen zur bloßen Besitzstandswahrung zu vernebeln. „Es wäre völlig verkehrt, jetzt den Föderalismus zu zerfleddern“, sagte der SPD-Politiker.

De Maizière dagegen hatte noch vor Gabriels Antwort den Willen der Sozialdemokraten zum Handeln in Zweifel gezogen. Der Bild am Sonntag sagte er, er sei nicht sicher, „ob alle in der SPD bereit sind, harte Maßnahmen wirklich mitzutragen.“ Doch blendet man bei den Sozialdemokraten das reichlich vorhandene ideologische Beiwerk aus, liegt die SPD gar nicht so weit von der Union entfernt. 

So sieht Gabriel etwa ebenfalls Handlungsbedarf bei der personellen und technischen Ausstattung der Polizei und verweist auf die nach Gewerkschaftsangaben fehlenden 14.000 Stellen allein bei der Bundespolizei. Zwar glaubt er, mit mehr Jugend- und Sozialarbeitern bis hin zur „Demokratiearbeit in Flüchtlingsunterkünften und in Moscheegemeinden“ könne für mehr Sicherheit gesorgt werden. Doch daneben fordert Gabriel auch, einschlägige salafistische Moscheen zu schließen. Und vor allem beim Schutz vor sogenannten Gefährdern und beim Thema Abschiebungen scheint bei der Bundes-SPD ein Umdenken eingesetzt zu haben – auch wenn Gabriel hier vor allem die Herkunftsstaaten in der Pflicht sieht.

Denn abseits aller Zeitungsdebatten hat de Maizière mit Justizminister Heiko Maas (SPD) bereits eine Reihe von Gesetzesverschärfungen diskutiert. So soll die Abschiebehaft unter anderem auf bis zu 18 Monate ausgeweitet werden, ebenso sollen Fußfessel für Gefährder eingeführt werden, auch wenn sie noch nicht straffällig geworden sind. „Abschiebehaft sollte künftig für Gefährder auch dann verhängt werden dürfen, wenn die Herkunftsstaaten bei der Rückführung nicht kooperieren“, sagte Maas als Reaktion auf den Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri. Der Tunesier war als Gefährder eingestuft und ausreisepflichtig, konnte aber nicht abgeschoben werden, weil sein Heimatland ihm keine Papiere ausstellte.

Im Gespräch sind daher auch Kürzungen von Zahlungen an Staaten, die ihre Bürger nicht zurücknehmen wollen. Doch ausgerechnet von der CSU kommt in dieser Frage Widerspruch. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller  warnte davor, vor allem den Maghreb-Staaten die finanzielle Unterstützung zu kürzen, um diese zur Rücknahme von Asylbewerbern zu zwingen. „Unser größtes Interesse sollte es sein, die gesamte Region zu stabilisieren, inklusive Ägypten“, sagte Müller der Passauer Neuen Presse. Durch einen wirtschaftlichen Kollaps in der Region könne sich der Flüchtlingsstrom ansonsten noch verstärken.