© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Liberalismus im Spiegel der Unfreiheit
Zum Dreikönigstreffen die Freiheit schätzen lernen: Handreichungen für die Lauen und Laschen
Christian Dorn

Die schlimmsten Feinde der Freiheit sind (...) nicht ihre erklärten Feinde, sondern die vielen Lauen und Laschen unter ihren angeblichen Freunden, die Gleichgültigen und Bequemen, die Gutmütigen und Gutgläubigen“, lautet die prophetische Botschaft des libertären Publizisten und Vordenkers Roland Baader (JF 52/16–1/17), denn „diese nützlichen Idioten der Knechtschaft würden auch einem Menschen, der von Kannibalen gekocht werden soll, erklären, er möge sich beruhigen, weil ‘nichts so heiß gegessen wie gekocht’ werde“. Wer denkt bei dieser Warnung aus dem Jahr 1999 nicht an die deutsche FDP, die Anfang Januar zum alljährlichen Dreikönigstreffen zusammenkommt? Dabei erscheint Baaders Vorsehung, die auf den biblischen Offenbarungsvers 3:16 verweist, nur mehr als eine bittere Fußnote auf dem Irrweg des deutschen Liberalismus, der auf diese Weise das „Monster“ AfD auf den Plan gerufen hat.

Dafür, daß die Freiheit, mehr an ihren falschen Freunden als an ihren erklärten Feinden zugrunde geht, steht beispielhaft die opportunistische Äußerung des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, der im Streitgespräch mit dem antiliberalen Kulturwissenschaftler Joseph Vogl, Autor des Buches „Das Gespenst des Kapitals“, sich dem Keynesianismus andiente. Bemüht, nicht die Diskurshoheit zu verlieren, akklamierte das damalige Hayek-Mitglied Lindner in einem Duktus, der eher an Habermas denken ließ: „Tatsächlich sind wir gegenwärtig in der Situation, daß die Staaten vielfach nicht am Steuer sitzen“, und ergänzte, daß es „ein mühevoller Prozeß“ sein werde, „sich diese Souveränität langsam wieder zu erarbeiten.“ Die Frankfurter Rundschau fragte obdessen hämisch, ob Lindner bei diesen Sätzen nicht „gegen heraufziehende Schamesröte anzukämpfen hatte“.

Daß der Irrwege viele sind, die von der Freiheit wegführen, dokumentiert auf exemplarische Weise der von Gerd Habermann und Hans Jörg Hennecke konzipierte Band über die „Verlockungen zur Unfreiheit“, der „eine kritische Bibliothek von 99 Werken der Geistesgeschichte“ versammelt, darunter auch jüngste Apologeten der wohlfeilen Kapitalismuskritik und „Neoliberalismus“-Schelte wie Noam Chomsky, Ronald Dworkin, Al Gore, David Graeber, Jürgen Habermas, Stéphane Hessel, Paul Krugman, Thomas Piketty, Joseph E. Stiglitz, Sahra Wagenkneckt oder auch Alain de Benoist, bei dessen antiliberaler Agenda manchem JF-Leser die Augen aufgehen dürften. 

Dabei ist die Publikationsgeschichte dieses Werkes selbst ein Produkt unfreiheitlicher Piraterie. So wurde der ursprüngliche Herausgeber Gerd Habermann, Vorsitzender der Friedrich A. von Hayek-Stiftung, der auch den 2007 erschienenen Vorgängerband über „Die Idee der Freiheit“ mit 111 Werken der liberalen Geistesgeschichte herausgegeben hatte, von Karen Horn, damals Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, aus der Rolle der Herausgebers verdrängt. Wie ernst es den vermeintlich Liberalen tatsächlich war, zeigte sich wenig später, als Christian Lindner und Karen Horn die Hayek-Gesellschaft verließen.

Auch für „Viertel-, Halb- oder Dreiviertelliberale“

Folge der gewechselten Herausgeberschaft ist eine formale Schwäche des sonst sehr verdienstvollen Werkes: So sind die besprochenen Denker nur alphabetisch geordnet, weshalb auf Martin Luther („Von der Freiheit eines Christenmenschen“) Rosa Luxemburgs Traktat über „Die russische Revolution“ folgt oder auf den Begründer der Wissenssoziologie Karl Mannheim und dessen Werk „Freiheit und geplante Theorie“ das „Kleine rote Buch“ von Mao Tse-tung. Eine Gliederung, etwa nach totalitären politischen Entwürfen (so Tommaso Campanellas „Sonnenstaat“ oder Thomas Morus „Utopia“), gutwilligen Denkern (zum Beispiel John Maynard Keynes oder Oscar Wilde) und autoritären Vordenkern (etwa Carl Schmitt) wäre da sicher hilfreich gewesen.

Dennoch bietet der hier gebotene Überblick einen echten Erkenntnisgewinn, zumal in so differenzierten Betrachtungen wie etwa der über Friedrich Nietzsches bekanntestes Werk „Also sprach Zarathustra“, das dieser – so Rezensent Gerd Habermann – „in kleiner Übertreibung für das beste aller Zeiten erklärte“. Obgleich der „aristokratische Anarchist“ (Bertrand Russells Verdikt über Nietzsche) mit seiner an die Luther-Bibel erinnernden, suggestiven Sprache, seinen erfrischenden und inspirierenden Paradoxien, seinen feinen Einzelbeobachtungen, schönen Aphorismen und allgemeinen Lebensweisheiten sämtliche seiner, selbst widerstrebenden, Leser nachhaltig beeinflußt hat, erscheine das Buch als „provozierende Kampfansage“ für überzeugte Liberale. Grund hierfür seien sein Bekenntnis zur Rechtsungleichheit und „Herrenmoral“, die Verachtung des „Übermenschen“ für die „kleinen Leute“ oder die Verherrlichung des Krieges. Schließlich habe der große Verführer der Geistesgeschichte nicht verhindern können, daß, wovor er selber warnte, „Schweine und Schwärmer in meinen Garten einbrechen“, namentlich die Nationalsozialisten. Dabei sei Nietzsche ein erklärter Antinationalist, Anti-Antisemit, „guter Europäer“ und Deutschenverächter gewesen.

Aus liberaler Warte ist nicht zuletzt der Beitrag über Friedrich Naumann und dessen 1897 erschienenes Parteimanifest „National-Sozialer Katechismus“ lesenswert, das – durch das Begriffspaar „national-sozial“ – im nachhinein in eine Nähe zur geistigen Urheberschaft des Nationalsozialismus gerückt wurde, etwa in Hayeks Werk „Der Weg zur Knechschaft“ (1944) oder von dem Historiker Götz Aly in dessen Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“ (2011). Es gäbe schließlich, so warnt die Herausgeberin, kein Schwarz-Weiß, sondern „vielmehr eben etliche Graustufen und somit auch Viertel-, Halb- oder Dreiviertelliberale“.

Karen Horn (Hrsg.): Verlockungen zur Unfreiheit. Eine kritische Bibliothek von 99 Werken der Geistesgeschichte. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2015, gebunden, 416 Seiten, 48 Euro