© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Von Aufträgen abhängig
Kunst und Nationalsozialismus: Eine Ausstellung in Flensburg
Karlheinz Weißmann

Kann es zum Thema „Kunst und Nationalsozialismus“ noch etwas Neues geben? Der ganze Komplex ist in so ziemlich jede Richtung erforscht und untersucht, veröffentlicht und bewertet. Gewisse Lücken gibt es allerdings noch in bezug auf regionale Aspekte, und in dieser Hinsicht dürfte der deutsche Norden besonders interessante Aufschlüsse liefern. Denn „das Nordische“ gehörte ja – bei aller Unübersichtlichkeit – zu den Leitideen nationalsozialistischer Kunstauffassung.

Diese Ansicht vertreten auch die Initiatoren der Ausstellung „[un]beteiligt. Kunst im Dritten Reich“, die augenblicklich das Museum der Stadt Flensburg zeigt. Flensburg war seit dem Abstimmungskampf um den Verbleib Schleswigs nach dem Ersten Weltkrieg eine Stadt mit Symbolwert für alle nationalen Kreise der Weimarer Republik. Aber mancher sah in der „Nordmark“ nicht nur einen integralen Bestandteil des Reiches, den es zu verteidigen galt, sondern auch eine Landschaft, die aus „völkischen“ Gründen besonders wertvoll war, weil sie zum Kerngebiet der „nordischen Rasse“ gehörte.

Die Flensburger Ausstellung geht auf diesen Aspekt selbstverständlich ein und versäumt nicht, zu erläutern, daß die Mythisierung des Nordens weit in das 19. Jahrhundert zurückreichte und eng mit der deutschen National- wie der Lebensreformbewegung zusammenhing. Daß man die entsprechenden Strömungen in Skandinavien, England und

Nordamerika gar nicht erwähnt, ist bedauerlich, aber erwartbar.

Auch die sonstige Darstellung des historischen Zusammenhangs bewegt sich im Rahmen des Üblichen. Mit einer Ausnahme: dem verhältnismäßig breiten Raum, den man dem „Expressionismus-Streit“ von 1933/34 einräumt. Bei diesem Konflikt ging es um eine Auseinandersetzung zwischen den „Traditionalisten“ (um Alfred Rosenberg und den „Kampfbund für deutsche Kultur“) und den „Modernisten“ (um Joseph Goebbels und die – hier nicht genannte – „Deutsche Studentenschaft“) in der Partei. Während die Traditionalisten einen konventionellen, sehr stark an den Vorbildern des 19. Jahrhunderts geschulten Kunstbegriff vertraten, wollten die Modernisten bestimmte Strömungen der Avantgarde, insbesondere des Expressionismus, mit einbeziehen. Dabei ging es vor allem um das Werk von Emil Nolde und Ernst Barlach. Ein Vorstoß, der auch von parteinahen Künstlern in Schleswig-Holstein unterstützt wurde, aber ohne Erfolg blieb. Die Modernisten mußten sich geschlagen geben, da die Traditionalisten immer auf die Unterstützung Hitlers zählen konnten, der ihre Einschätzungen wie ihre Affekte teilte.

NS-Wertschätzung für Wilhelm Petersen 

Daß dann Barlach wie Nolde, immerhin Parteigenosse seit 1934, unter die „Entarteten“ gezählt wurden, wird in Flensburg selbstverständlich erwähnt, aber der Hintergrund dieser Entscheidung nicht ausgeleuchtet. Das ist umso bedauerlicher, als die Planung und Durchsetzung der Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 nicht zu verstehen ist, ohne die Einflußnahme zweier Männer, die ohne Zweifel zu den Exponenten der „nordischen“ Linie im Kunstverständnis der Zeit gehörten: der Hamburger Kunstlehrer (Haye) Walter Hansen und der Maler Wolfgang Willrich.

Während Hansen die treibende Kraft im Theoretischen war, hat Willrich mit seiner Begabung vor allem für das Porträt etwas wie ein Konzept des „Nationalsozialistischen Realismus“ geschaffen. Trotz der Verbreitung seiner Werke, war Willrich aber viel zu eigensinnig, um stärker vom offiziellen Kunstbetrieb zu profitieren. Das unterscheidet ihn von einem anderen Exponenten der „nordischen“ Tendenz: Wilhelm Petersen. Petersen ist in Flensburg mit mehreren Arbeiten vertreten. Hingewiesen wird auch auf seinen Erfolg bei der Teilnahme an den „Großen Kunstausstellungen“ in München und die Wertschätzung führender Köpfe des Regimes, die Verbreitung und Verwendung seiner Bilder in der ideologischen Schulung. Zuletzt geht es noch um Petersens Teilnahme am Zweiten Weltkrieg als Propagandazeichner der Waffen-SS und die Veröffentlichung des Buches „Totentanz in Polen“.

Wenn das als Beispiel für einen „verbrecherischen Text“ herhalten muß, fallen die Verantwortlichen in Flensburg allerdings hinter die von ihnen selbst formulierte Einsicht zurück, daß sich eine vergangene Epoche kaum aus ihren Relikten gültig rekonstruieren läßt und das Verhalten von Künstlern sehr stark durch die Bedingungen ihres Berufs bestimmt ist. Die bleiben dieselben, ganz gleich, ob es sich um Monarchie oder Plutokratie, liberales System oder totalitäre Diktatur handelt. Der Künstler ist immer davon abhängig, daß man ihm Aufträge erteilt, und er muß sich im Regelfall nach den Wünschen derjenigen richten, die die Aufträge erteilen.

Das wird in der Ausstellung am Verhalten A. Paul Webers und Franz Radziwills deutlich gemacht, die lange als Ikonen des Widerstands gehandelt wurden, aber bei genauerer Betrachtung eher als Opportunisten erscheinen („Naziwill“ nannte der Bildhauer Gerhard Marcks Radziwill und betrachtete im Vergleich zu ihm Arno Breker als integren Charakter). Ein anderer Fall ist jener der in Flensburg sehr bekannten Malerin Käte Lassen. Sie versuchte in der NS-Zeit einfach das zu tun, was sie auch in der Zeit davor und danach tat: zu malen. Aber ihre Versuche, eine gewisse Distanz zu halten, scheiterten. Also lieferte sie sogar ein Hitlerporträt (sicherheitshalber wird es nur umgekippt präsentiert), das nach 1945 natürlich in den Magazinen verschwand, während ein großformatiges Bild zweier Schäferhunde bis vor kurzem unbeanstandet in einer Flensburger Polizeibehörde hing.

Die Ausstellung „[un]beteiligt. Kunst im Dritten Reich: Aus der Sammlung des Museumsbergs Flensburg“ ist noch bis zum 29. Januar im Nebengebäude des Städtischen Museums Flensburg täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Telefon: 04 61 / 85 29 56

 www.museumsberg-flensburg.de