© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der Ethnologe Thomas Hauschild hat ein paar Betrachtungen zu den „christmas wars“ angestellt, deren Schlachtfelder sich mittlerweile auch in Deutschland finden. Gemeint sind die Konflikte um Weihnachtsfeiern in Kindergärten und Schulen, um das Singen christlicher Weihnachtslieder bei säkularen Veranstaltungen, die kultursensible Vermeidung von ausgesprochen religiösen Weihnachtswünschen im Geschäftsverkehr etc. Was Hauschild dabei auflistet, ist unstrittig: die Tatsache, daß die meisten autochthonen Einwohner dieses Landes mit der biblischen Heilsbotschaft und somit der Bedeutung der Geburt Christi wenig anzufangen wissen, daß umgekehrt auch Zugewanderte, Moslems und Nennmoslems vor allem, Geschenke kaufen, Tannenbäume in die Zimmer stellen und am 24., 25. und 26. Dezember kräftig feiern. Daraus folgert er, daß die kulturkämpferischen Debatten eigentlich obsolet sind und vor allem keine Entgegensetzung von „Christen“ und „Muslimen“ bestehe, denn in der großen Konsumwelt sind alle gleich. Was dabei übersehen wird, und diese Blindheit erstaunt doch bei einem Völkerkundler, ist die Tatsache, daß der Stellenwert eines Symbols im Regelfall ein latenter ist, daß dessen Bedeutung wenig mit Verstehen zu tun hat, mehr mit dem intuitiven Erfassen des Sinns und daß der in dem Augenblick sicher gegeben ist, in dem es zur Konfrontation mit anderen Symbolen kommt.

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Es gibt Gründe, den Humor Loriots für erledigt zu halten. Das Komische an seinen Sketchen erklärte sich doch stark aus der Beachtung der Zeitumstände. Aber dann sitzt man in einem Café, irgendwo in der Provinz, bei Selbstgebackenem und Filterkaffee, und am Nebentisch hat sich ein Ensemble gefunden, und man hört den Tonfall und erwartet beim Wenden des Kopfes, daß jeder da drüben eine Knollennase hat und einer mit erhobener Stimme „Herr Müller-Lüdenscheidt!“ sagt, während der andere leicht drohend „Herr Dr. Klöbner!“ erwidert.

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Ist Nero eigentlich eine Leitfigur der schwulen Community? Falls nicht, hier der Hinweis auf ein in vieler Hinsicht geeignetes Vorbild: Virtuose barocker Ästhetik (insbesondere der Zimmerdekoration), erste Drag Queen (während seiner Tournee in Griechenland trat der Kaiser mit Damenfrisur auf, dunkelblondes, stufig geschnittenes Haar, heißt es) und Trendsetter der Ehe für alle (immerhin hat er sich seinem Freigelassenen Doryphorus zum Weibe gegeben).

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Noch zu 1066: Der Sieg der Normannen über die Angelsachsen hatte nicht bloß furchtbare, sondern auch zivilisierende Wirkungen auf das besetzte England: Die Versklavung der eigenen Leute wurde unter Strafe gestellt, Mord als Methode zur Klärung von Thronansprüchen kam aus der Mode.

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Nach längerer Beobachtung größerer Gruppen von Bundeswehrsoldaten beim Frühstück bleibt die Sorge: Ist im militärischen Ernstfall der Nutellanachschub gesichert?

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Der französische Staat unterstützt die Pfadfinderverbände des Landes regelmäßig mit Subventionen: Im Jahr 2015 gab die Verwaltung den Scouts Musulmans de France bei etwa 500 Mitgliedern 42.200 Euro, das heißt 84,40 Euro pro Pfadfinder. Der größte, eher unpolitische Verband, die Scouts de France, es handelt sich um 71.000 Mitglieder, bekam 825.000 Euro, also gut 11,60 Euro pro Junge oder Mädchen, während die konservativ-katholischen Scouts d’Europe mit 30.000 Mitgliedern nur 31.328 Euro erhielten, also circa einen Euro für jeden Pfadfinder.

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Bei den ganzen Debatten, in denen es ums Ideologische und nur ums Ideologische geht, wächst die Versuchung des Zwischenrufs: „Und was ist mit dem Klasseninteresse?“

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Natürlich gibt es das immer noch: „Wer mit zwanzig nicht links ist, hat kein Herz. Wer es mit dreißig noch ist, keinen Verstand.“ Je reifer, desto rechter. Aber man staunt gleichzeitig über die nicht so kleine Zahl derjenigen, bei denen die Wandlung im Gegensinn abläuft. Natürlich ist die Frage, ob Jürgen Todenhöfer für das konservative Lager einen Verlust bedeutet, aber interessant wäre doch die Klärung der Sache, also: Wie kommt ein Deutsch-Denker von einst, Verteidiger der Grenzen von 1937 und Feind all dessen, was rot, tiefrot oder grün war, so weit, daß ihn Jakob Augstein für geeignet hält, in das Herausgebergremium des Freitag einzutreten?

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Zwar hat man im Marine-Ehrenmal bei Laboe den Widmungstext angepaßt (von „Für deutsche Seemanns-Ehr’ / Für Deutschlands schimmernde Wehr / Für beider Wiederkehr“ zu „Für die auf See Gebliebenen aller Nationen / Mahnmal für eine friedliche Seefahrt / Auf freiem Meere“), aber im Fahnenraum keine Konzession gemacht: Da hängen tatsächlich die Flaggen aller deutschen Seestreitkräfte, auch derjenigen Österreichs, der DDR-Volksmarine wie der Kriegsmarine der NS-Zeit.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 20. Januar in der JF-Ausgabe 4/17.