© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Dann lieber zu Hause bleiben
Ferne Länder: Die UN hat 2017 zum Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung erklärt
Robert Backhaus

Spät kommt ihr, doch ihr kommt, fragt sich nur unter welcher Flagge und mit welchem Marschgepäck. Die Uno hat 2017 zum „Jahr des nachhaltigen Tourismus“ („International Year of Sustainable Tourism for Development“) erklärt. Der Tourismus soll nicht abgeschafft oder auch nur irgendwie bekämpft, er soll aber von Grund auf verändert werden. Er soll überall „nachhaltig“ werden, das meint, er soll zur Erhaltung der Welt und ihrer Landschaften in all ihrer Vielfalt und Farbigkeit beitragen, er soll nichts zerstören, sondern allen Völkern helfen, ihre Traditionen und „Ressourcen“ zu schützen und zu pflegen.

Über eine Milliarde registrierter internationaler Touristen, teilt der Weltverband für Tourismus mit, seien heute Jahr für Jahr unterwegs, nicht mitgerechnet also die vielen „Vernügungsreisenden“, die sich innerhalb nationaler Grenzen hielten. Der Tourismus sei darüber während einer – historisch gesehen – außerordentlich kurzen Zeitspanne zu einer mächtigen und „höchst transformativen“ gesellschaftlichen Kraft geworden. Er forme hier und da schon entscheidend das Leben ganzer Staaten und Stammesgemeinschaften und gehöre überall in der Welt zu den profitabelsten Wirtschaftszweigen.

Und – so wird in sämtlichen offiziellen Mitteilungen zum „Jahr des Tourismus“ voller Genugtuung hingewiesen – es handle sich um eine durch und durch friedliche, ja geradezu auf Friedenstiften angelegte Bewegung. Man muß bei ihr nicht, wie bei den derzeitigen grenzüberschreitenden Massenwanderungen und „Flüchtlingsströmen“, mit politischen Verwicklungen oder gar militärisch-polizeilichen Zwangsmaßnahmen rechnen. Touristen sind „Besucher“, Gäste auf Zeit, sie liegen ihren Gastgebern nicht auf der Tasche, sondern bringen im Gegenteil frisches Geld ins jeweilige Land!

Was ist daran kritikabel? Weshalb zeigt sich die Uno so besorgt und fleht beinahe um einen „nachhaltigen“ Tourismus? Nun, es verhält sich eben so, daß der Tourismus als Geschäftsmodell gewissermaßen allzu erfolgreich gewesen ist und nun gleichsam über die Ufer tritt. Noch das allerletzte Nest im hintersten Winkel der Welt, das weder Weinberge noch Burgen, sondern rein gar nichts hat, zeigt sich in der Person seines Stadtkämmerers wild entschlossen, an der Hausse teilzunehmen und zumindest einige Brosamen vom Kuchen abzuzweigen und sie dem eigenen knappen Stadthaushalt zugute kommen zu lassen.

Die Misere wirkte sich zunächst bekümmerlich auf die Touristen selbst aus. Es kamen schlechte Zeiten für Abenteurer und Individualreisende. Es gibt faktisch keine unentdeckten Gegenden mehr, höchstens noch (freilich oft riesige) politisch verordnete Sperrzonen beziehungsweise Kriegs- und Guerillagebiete, wo dann gleich die blauen Bohnen fliegen. Alles übrige ist aufgeteilt und ausgemessen; der Prozeß ist bereits weit fortgeschritten. Dem einzelnen bleibt, wenn er etwas besichtigen oder sonstwie „erleben“ will, gar nichts anderes übrig, als sich irgendeiner Pauschalgruppe anzuschließen und sich die Routinesprüche professioneller Reisebegleiter anzuhören. 

Viel schlimmer als der Gruppenzwang ist jedoch ein Phänomen in der boomenden Tourismusindustrie, das man – etwas riskant – als „Verwohnzimmerung“ der Ferne bezeichnen könnte. Der Pauschal- und  Gruppenreisende von heute möchte es während der „kostbarsten Wochen des Jahres“ so bequem und spaßhaltig wie möglich haben, und das heißt: wie zu Hause im Fernsehsessel oder beim Surfen im Internet. Die Tourismusindustrie bedient dieses Bedürfnis. Deshalb etwa der Kommunikationsraum direkt zwischen den ach so idyllischen Weinbergen, das Dschungelcamp direkt neben der historischen Ritterburg.

Die sogenannten Sehenswürdigkeiten, die im Prospekt heftig angepriesen werden, degenerieren zum bloßen Fernsehbild. Ihre Aura verblaßt, der genius loci ist mit Würstchenbuden und anderen „facilities“ vollgestellt, und die einheimischen Kameltreiber und Bakschischeinnehmer haben sich ganz und gar auf den Geschmack der Touristen eingestellt. Diese bekommen nicht mehr zu sehen, was wirklich da ist, sondern nur noch das, was sie zu sehen erwarten. Das mitgebrachte Klischee rückt an die Stelle der autochthonen Wirklichkeit, die dem Klischee immer mehr angenähert wird. Das kann auf Dauer nur zu bösen Häusern führen, zu Verödung und Gleichmacherei.

Gewiß, der Tourismus ist in zahllosen, gerade den ärmeren Ländern und Regionen ein Wirtschaftsfaktor geworden, der gar nicht mehr weggerechnet werden kann. Ohne ihn würden große Bevölkerungsschichten im Elend versinken. „Der Tourismus ist in vielen Gegenden die einträglichste, ja die einzige Entwicklungshilfe“, konstatierte der langjährige UN-Sekretär für Umweltschutz und Raumordnung, Klaus Töpfer, in Nairobi.

Derselbe Töpfer fügte allerdings gleich hinzu: „Ökologisch betrachtet ist die Bilanz der Tourismusindustrie leider eindeutig negativ (…) Sie verbraucht zuviel Sprit. Sie füllt zu viele Flächen mit schlechten, abfallhaltigen Hotel-Anlagen und  steigert horrend den CO2-Ausstoß.“ Und mit traurigem Sarkasmus fügte er noch hinzu: „Wer während seines Urlaubs aufs Touristsein verzichtet und zu Hause bleibt, nützt der Umwelt – und leistet einen Beitrag zur Erhaltung des Weltkulturerbes.“

Gemeint war mit letzterem die Erinnerung daran, daß ein Tourismus, welcher, ob er es will oder nicht, die Aura der Landschaften und Städte zerstört, der lediglich Klischees erzeugt und Unrat hinterläßt, natürlich auch nicht dem besseren Verständnis der Menschen untereinander dienen kann. Töpfer: „Alle schönen Reden vom friedlichen, unvoreingenommenen Kennenlernen fremder Völker und Kulturen durch Tourismus drohen durch die reale Entwicklung dementiert zu werden.“

Statt von „nachhaltigem Tourismus“ würde Töpfer lieber von einer Ausweitung jenes „sanften Tourismus“ sprechen, wie er seit Jahr und Tag schon in zahlreichen Naturparks propagiert und praktiziert wird. Was dort zum Beispiel bei der Beobachtung seltener Tierarten selbstverständlich ist – zahlenmäßige und zeitliche Limitierung der Besuche, bedachtsames Schreiten der Besucher auf empfohlenen Wegen, präzise Voraus-Information für sie statt angeberische Hochglanzprospekte – all das sollte auch im allgemeinen Tourismus zur Regel werden. Sagt der Uno-Tourismus-Experte Töpfner.

Der Uno-Weltverband für Tourismus hat sich für 2017 deutlich ehrgeizigere Aufgaben vorgenommen und sie in fünf Punkten aufgefächert. Der heutige Tourismus, Touristen wie Tourismusfunktionäre und -unternehmen, soll sich erstens energisch für ein nachhaltiges und „inklusives“ wirtschaftliches Wachstum einsetzen, und er soll sich zweitens für die Bekämpfung der Armut in den Ländern, wo er hinkommt, stark machen. Drittens soll er dabei immer die Umwelt schützen, vor allem die lokalen Ressourcen, und viertens soll er auch Respekt vor den kulturellen Werten bezeugen. Schließlich, fünftens, soll er für Frieden, gegenseitiges Verständnis und individuelle Sicherheit eintreten.

Seufzend legt der Leser die Uno-Deklarationen beiseite. Nichts als leeres, in kleinster tagespolitischer Münze offeriertes Geschwätz. Und schlimmer noch: Es ist ein Geschwätz ohne auch nur einen Anflug von Gastfreundschaft und Freude an der Gastlichkeit. An sich besteht der Tourismus ja aus echten Vergnügungsreisen, man will natürlich lernen, sich aber in erster Linie vergnügen, unterhalten, auch ablenken lassen. All das wird von der Uno mit ihren Erklärungen zum „Tourismus 2017“ regelrecht verraten und in ödeste Steißpaukerei verwandelt. Wer als Kunde solcherart getrimmten Tourismus-Experten des Gastlandes in die Hände fällt, ist von vornherein auf verlorenem Posten. 

Dann doch lieber zu Hause bleiben bei Garten und Balkonblumen und zwichendurch vielleicht noch ein bißchen sanfter Tourismus à la Klaus Töpfer, zwar auf vorgegebenen Wegen und von einem (freundlichen) Ranger angeführt, aber doch voller Vogelgezwitscher und hin und wieder einem niedlichen Rehkitz drüben am Waldrand, das im Feldstecher sichtbar wird.