© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Die Angst vor dem Fremden nehmen
Baden-Württemberg: Kaum im Christentum verankert, sollen die Drittkläßler im evangelischen Religionsunterricht den Islam verstehen lernen
Verena Inauen

Allah, Allahu akbar, Mekka, Muhammad, Muslim, Koran. Zittrige Kinderhände haben die Begriffe in das Religionsheft der dritten Grundschulklasse gemalt. Begriffe, die im moslemischen Religionsunterricht bestimmt nicht ungewöhnlich sind und öfter fallen. „Es gibt keinen Gott außer Allah und Muhammed ist sein Prophet“, sollte Tim aufschreiben. Gemeinsam mit seinen Mitschülern lernt er gerade das islamische Religionsbekenntnis. Wie aber auch die kleine Sophie und sein Banknachbar Moritz haben ihn seine Eltern für den evangelischen Religionsunterricht angemeldet. 

„Kuffar“, also ungläubig, um es mit den gerade eben neu erlernten Begriffen zu sagen, blickt darum Sabine Schneider (geändert, Name der Redaktion bekannt), die Mutter von Tim, in das Aufgabenheft ihres Sohnes. „Kleines Lexikon des Islam“ lautet die Überschrift der Lehreinheit, die bereits im Oktober begonnen hat. Die Herbstferien seien ins Land Württemberg gezogen und Tim habe immer noch keine Ahnung, wer der Heilige Martin war, wie das Glaubensbekenntnis der Protestanten lautet oder welcher Feiertag der höchste im Jahr ist. „Das Opferfest“, schießt es Tim in den Sinn. Oh. Das war ja moslemisch. 

Eine Gratwanderung, auf die sich der Pfarrer einläßt

„Wir haben unser Kind zum evangelischen Religionsunterricht angemeldet und nicht zum Multikulti-Seminar“, wundert sich die Mutter über die grobe Vernachlässigung der eigenen Unterrichtsziele. Ungläubig legt sie das Heft ihres Sohnes bei Seite und blättert im dazugehörigen Schulbuch „fragen – suchen – entdecken, 3/4, Religion in der Grundschule für Baden-Württemberg“. Toleranz wird wie in anderen Schulen Deutschlands auch in der Schule ihres Kindes großgeschrieben.Die Herausgeber, Barbara Ort und  der ehemalige Leiter des Bischöflichen Schulreferats Augsburg Ludwig Rendle, haben sich das zu eigen gemacht und die wichtigsten Religionen auch gemäß dem gültigen Lehrplan für Baden-Württemberg im evangelischen Lehrbuch abgedruckt. Einen ganz besonderen Stellenwert nimmt dabei allerdings schon gleich zu Beginn der Islam ein. Auf vielen Seiten wird den jungen Lesern in kindergerechter Sprache der Unterschied zwischen dem Islam und Islamismus erklärt. 

Eine Gratwanderung, auf die sich der Dorfpfarrer mit den Drittkläßlern begeben hat. Er und der Pressebeauftragte der evangelischen Gemeinde in Baden-Württemberg halten das in Hinblick auf die große Sensibilität, mit der an das Thema herangegangen wird, jedoch für angemessen. Eine umfassende Bildungsarbeit, welche „Kenntnisse über die eigene und andere Religionen respektvoll einbezieht“, sei wichtig. „Gerade angesichts mancher schrecklichen Ereignisse und pauschaler Urteile, die auch den Ohren und Augen von Drittkläßlern nicht verborgen bleiben“, schreibt der Referatsleiter Dan Peter auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. 

Um jene „pauschalen Urteile“ auszuräumen, nimmt sich der verantwortliche Pfarrer und Religionslehrer das Unterrichtsbuch zu Hilfe, welches von zwei Freundinnen, Claudia und Aylin, erzählt. Seit dem Kindergarten spielen sie schon miteinander, und eines Tages wird auch die Familie von Claudia zur Geburtstagsfeier des kleinen Bruders eingeladen. In einer heilen Welt feiern die beiden christlichen und moslemischen Familien die Geburt des männliches Nachwuchses und beten sowohl auf türkisch als auch auf arabisch. Die Worte „la ilaha illa llah muhammad rasulu llah“ sind zum Nachsprechen auf der nächsten Seite groß aufgedruckt. „Es gibt keinen Gott außer Allah, Muhammad ist der Gesandte Gottes“ sollten die Kinder gemeinsam wiederholen. Die überzeugende Aussprache dieses Glaubensbekenntnisses gilt nach strenger Auslegung mancher Moslems offiziell sogar schon als Konversion zum Islam.

Dann erklärt den beiden Freundinnen der ältere Bruder von Aylin, daß Muhammad bei seiner Rückkehr aus dem Exil nach Mekka alle Götzenbilder zerschlagen ließ und den Islam zur einzig wahren Religion erklärte. Zur damaligen Zeit waren vorwiegend Symbole  des Christen- und des Judentums in der arabischen Welt und im Nahen Osten zu finden. Damit das neu erlernte auch im Gedächtnis bleibt, werden die Kinder am Ende der Unterrichtseinheit geprüft. 

„Beschreibt die fünf Pflichten, die ihr auf den Seiten 132-138 gelernt habt“, werden die Neunjährigen zum Thema Islam aufgefordert. Bevor die Doppelstunde zu Ende geht, singen die Kinder noch gemeinsam ein Lied. Ein jüdisches Lied vom Frieden. Der Lehrplan der dritten Klasse verlangt von den Kindern nämlich auch umfassende Kenntnis darüber, daß Jesus Jude war und deren Feste gefeiert hat. Und Friede in die Welt brachte. Denn Friede sei den drei großen Religionen ein gemeinsames Anliegen, erklärt das Schulbuch den Kindern. „In der Koranschule haben wir gelernt, daß Muhammad uns eine Religion des Friedens gebracht hat“, erklärt die im offiziellen Lehrbuch dargestellte Aylin ihrer Freundin Claudia.

„Mein Kind kann noch nicht einmal das christliche Glaubensbekenntnis auswendig aufsagen oder das Vaterunser. Was in Gottes Namen geschieht mit unserem Land und unseren Schulen?“, fragte Frau Schneider nicht nur sich, sondern wandte sich auch an die Leitung der kleinen Dorfschule und den verantwortlichen Pfarrer in der Nähe von Ulm. 

In einem Telefonat mit der Mutter einige Wochen nach den dubiosen Unterrichtsstunden erklärte er den kurzzeitigen Ausflug in die islamische Theologie mit einem Abbau von Vorurteilen bei seinen Schülern. Um ihnen die Angst vor dem „Fremden“ zu nehmen, behandele er den Islam. 

„Vielleicht sollte man solch schwierige Themen den älteren Klassen und älteren Schülern überlassen. Mich hat das nicht wirklich beruhigt“, erzählt Sabine weiter. Ihr Sohn sei noch nicht einmal im christlichen Glauben fest verankert, wie solle er so den Unterschied zwischen Islam und Islamismus verstehen?

Keine Lust auf Toleranz bis zur Selbstaufgabe

Jeden Dienstag hatte Tim in den letzten beiden Stunden evangelischen Religionsunterricht. Oder das, was die Verantwortlichen eben dafür hielten. Mit Beginn des Sommersemesters wird er die Doppelstunden nicht mehr besuchen. Seine Eltern wollen die religiöse Erziehung nun selber in die Hand nehmen und meldeten ihn von den Religionsstunden ab. 

In der übergeordneten Stelle in Stuttgart bedaure man jeden Austritt, „oft – leider nicht immer“ ließen sich Mißverständnisse aber durch persönliche Gespräche klären. „Es ist uns wichtig, für evangelische Standpunkte sowohl im Unterricht als auch in der Öffentlichkeit einzustehen, im Sinne und Geist von Jesus Christus, dem Herrn unserer Kirche“, betonte Dan Peter in bezug auf den Vorfall.

„Ich finde es sehr wichtig, daß die Kinder eine moralische Bremse haben und Werte fürs Leben vermittelt bekommen. Aber nicht Toleranz bis zur Selbstaufgabe“, bleibt Frau Schneider hingegen weiter ihren Ansichten treu und lehrt Tim zu Hause christliche Werte. Das Vaterunser kann ihr Sohn mittlerweile genauso wie das christliche Glaubensbekenntnis auswendig. Seine Mitschüler erzählen ihm indes vom Fastenbrechen.

 Entmutigen lassen will sich Frau Schneider aber nicht. Sie sieht in der ausführlichen Behandlung des Themas Islam einen momentanen Zeitgeist. Während unseres Gesprächs kramt sie das Religionsheft ihres älteren Sohnes aus der gleichen Schule hervor. 

Sie vergleicht die Inhalte von damals mit den Unterrichtsstunden ihres jüngsten Sohnes. Die verschiedenen Glaubensrichtungen wurden selbstverständlich auch dort thematisiert. Von einer Anleitung zur richtigen Haltung beim Freitagsgebet war allerdings nichts zu sehen. Auch den Versuch, „den Islam mit allen Mitteln ausschließlich als grundpositive Friedensreligion darzustellen“, findet die engagierte Mutter auf keiner Seite des Heftes. 

Obwohl nach Informationen des geistlichen Peter der Lehrplan für evangelische Religion in den vergangenen Jahren nicht geändert wurde, glaubt Sabine an einen nicht zu geringen Interpretationsspielraum der Lehrer. Vor wenigen Jahren wurden ihrem ersten Sohn zu dieser Jahreszeit in der dritten Klasse noch der Reformationstag und die Weihnachtsgeschichte vermittelt. 

Dinge, die sie nun selbst in die Hand nehmen wird: „Was sollten die Jungen denn glauben, wenn wir Erwachsenen nicht stark bleiben? Ich werde meine Kinder definitiv weiter im christlichen Glauben erziehen und weiterbilden.“





„Friedvolles Miteinander an Schulen“ 

Das baden-württembergische Kultusministerium und Vertreter von Kirchen und Religionsgemeinschaften – darunter die Evanglischen Landeskirchen Bade und Württembergs, die Erzdiözese Freiburg, die Alevitische Gemeinde,  sowie die beiden Israelitischen Religionsgemeinschaften – haben im April 2015 eine Erklärung zur Förderung eines friedvollen Miteinanders an Schulen unterzeichnet. In ihr bekennen sie sich zu dem Ziel, die „Vielfalt der Weltanschauungen und Glaubensrichtungen“ im Südwesten anzuerkennen und sich für ein Klima des gegenseitigen Respekts, der Wertschätzung und des Zusammenhalts unter allen am Schulleben Beteiligten einzusetzen. Im Februar 2016 schlossen sich die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB), die Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg e.V. (IGBW), der Landesverband der Islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg e.V. (LVIKZ) sowie die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken e.V. (IGBD) der Erklärung, die die „Pluralität unserer Gesellschaft“ als „Bereicherung und Verpflichtung“ zugleich sieht, an.