© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Die Unbeschwertheit ist dahin
Versuch einer Bilanz ein Jahr nach den Sexattacken von Köln: Frauen im von jungen Migranten beherrschten öffenlichen Raum
Martina Meckelein

Frauen in Deutschland leben gefährlich – nicht erst seit dem Jahreswechsel 2015/16. Laut einer repräsentativen Studie des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ wurden 58 Prozent der hier lebenden Frauen Opfer sexueller Gewalt. Mißbrauch und Vergewaltigung sind Tabuthemen – immer noch. Erst die massenhaften brutalen, hämischen und frauenverachtenden Übergriffe in Hamburg, Köln, Nürnberg oder Stuttgart vor einem Jahr durch vorwiegend Ausländer – ein geringer Teil der Täter ist deutscher Nationalität – haben dieses Thema in die Öffentlichkeit gebracht. Die Reaktionen der Politik und der Presse waren erschütternd. Sie bestanden über Tage erst aus Schweigen, dann Verharmlosen und zum Schluß aus dem in Internetkommentaren erhobenen Vorwurf der Rechtsradikalität der Opfer.

Massenvergewaltigungen im kollektiven Gedächtnis

Mit dem Argument, Deutschland habe eben patriarchalische Gesellschaftsstrukturen, ist das Verschweigen der monströsen Taten und das spätere Denunzieren der Opfer als Flittchen oder Lügnerinnen allein nicht zu erklären. Der damalige Diskussionsbeitrag Claudia Roths in einem Interview mit der Welt ist bezeichnend: „Es wird jetzt aber von vielen der Eindruck vermittelt, als würde sexualisierte Gewalt alleinig von außen zu uns ins Land getragen. Dadurch wird vernebelt, daß diese Form von Gewalt in Deutschland leider ein altes Phänomen ist.“

Das Verhalten der Täter in der Neujahrsnacht zu 2016 erinnert aber eben nicht an eine Bierzeltsause, sondern eher an die Vorgehensweisen der alliierten Besatzungsarmeen 1945. Die Historikerin Miriam Gebhardt schätzt in ihrem Buch „Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs“ die Zahl der Vergewaltigungen 1945 durch Besatzungssoldaten auf in Deutschland insgesamt 860.000. Im Zeitraum vom 21. bis 30. April 1945 haben allein in Stuttgart 1.389 Frauen Vergewaltigungen durch französische Besatzer offiziell angezeigt. Die Dunkelziffer soll um ein Vielfaches höher sein. Die Täter: zum größten Teil Marokkaner und Algerier.

Noch immer wird in der deutschen Presse und in geschichtswissenschaftlichen Aufsätzen das Thema entweder verharmlost oder die Massenvergewaltigungen als verständlicher Racheakt wenn nicht entschuldigt, so doch erklärt. So veröffentlichte die Stuttgarter Zeitung unter dem Titel „Drei furchtbare Tage im April“ am 18. April 2015 einen Artikel, in dem der Autor – vielleicht aus männlicher Sicht – Plünderungen und Vergewaltigungen durch die nord­afrikanischen Truppen erklärt: „Bei den marokkanischen, algerischen und tunesischen Soldaten kam hinzu, daß sie zwar immer ganz vorne an der Front eingesetzt wurden und die höchsten Verluste zu beklagen hatten, aber dennoch nur als französische Soldaten zweiter Klasse angesehen wurden. Jetzt waren sie erschöpft und ausgehungert – und so begannen viele, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.“

Frau muß schon Mann sein, um solch eine Erklärung locker wegzustecken. Die Erfahrungen der Massenvergewaltigungen haben sich in das kollektive weibliche Gedächtnis Deutschlands eingebrannt.

Doch als Frau konnte man vor einem Jahr den Eindruck gewinnen, daß genau diese grauenvollen Erinnerungen sich nicht Bahn brechen sollten. Wie 1945 scheinen es im Jahreswechsel 2015/16 eben einfach die falschen Täter gewesen zu sein. Doch was 70 Jahre lang funktionierte, ging diesmal nach hinten los. Ein fataler Fehler, der der Presse und der Politik einen enormen Verlust an Glaubwürdigkeit eingebracht hat – der bis heute anhält.

Die Forderung nach härteren Gesetzen war schnell formuliert. Dabei wurde über eine Strafrechtsreform schon lange diskutiert. Alle Staaten, die die Istanbul-Konvention, einen völkerrechtlichen Vertrag zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, unterschrieben hatten – sie trat am 1. August 2014 in Kraft –, verpflichteten sich, sexuelle Handlungen ohne den Willen des Opfers unter Strafe zu stellen. 

Grapschen ist jetzt eine eigene Strafnorm

Bisher setzte das deutsche Recht voraus, daß der Wille des Opfers mit Gewalt oder Drohung gebrochen werden mußte, damit der Straftatbestand sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung erfüllt war. Die Regierung ging jahrelang davon aus, daß diese Formulierung ausreichend sei. Bis in der Vergangenheit Ermittlungsverfahren eingestellt oder Urteile gefällt wurden, die dem öffentlichen Gerechtigkeitsempfinden zuwiderliefen. So wurde ein Angeklagter freigesprochen, obwohl das Opfer eingängig schilderte, warum es sich nicht gewehrt hatte. Ein Opfer sagte vor Gericht aus, daß ihr Mann sie immer wieder vergewaltigt hatte, sie sich aber nicht gewehrt oder nein gesagt habe, weil er sie dann regelmäßig zusammenschlug. „Die Silvesternacht hat der Debatte um die Verschärfung des Sexualstrafrechtes dann einen breiteren gesellschaftlichen Raum gegeben“, sagt der stellvertretende Pressesprecher des Justizministeriums Piotr Malachowski der JUNGEN FREIHEIT.

So stimmte dann der Bundestag im November 2016 einer Reform des Sexualstrafrechts zu. Nicht nur der Paragraph 177 des Strafgesetzbuches (Straftatbestand sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung) – Stichwort „Nein heißt Nein“ –, wurde neu gefaßt. Als Reaktion auf die Silvester- und Neujahrsübergriffe 2015/16 ist jetzt Grapschen nach Paragraph 184i StGB ausdrücklich eine eigene Strafnorm. Nach 184j wird jedes Mitglied einer Gruppe bestraft, aus der heraus sexuelle Übergriffe erfolgen. Schon im März 2016 wurde, ebenfalls als Reaktion auf die Silvesterübergriffe, das Aufenthaltsgesetz geändert. Danach kann jeder ausgewiesen werden, der zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Auch fallen Verurteilungen nach dem neugefaßten Paragraphen 177 StGB unter die möglichen Ausweisungsgründe.

Hilft die Änderung des Strafrechts jetzt den betroffenen Frauen? Das ist zu hoffen. Die Übergriffe zum Jahreswechsel 2015/16 zeigen, wie gefährlich die Situation für Frauen ist. Die neuerlichen sexuell motivierten Attacken in der jüngsten Neujahrsnacht, deren Ausmaß nur durch massiven Polizeieinsatz gering blieb, werden die Rechtsprechung auf die Probe stellen.





2016/17: Ruhiger mangels Masse

Während des Jahreswechsels 2016/17 sind die befürchteten massenhaften Attacken auf Frauen durch junge Männer aus dem Ausland zwar ausgeblieben. Dafür gibt es zwei Gründe: starke und gut vorbereitete Polizeikräfte in den Innenstädten vieler Großstädte, die – wie am Kölner Hauptbahnhof – Gefährder ansprachen, Platzverweise erteilten und durchsetzten und Illegale verhafteten. Und der Rückzug von Frauen. Ob in Frankfurt, Stuttgart, München oder Hannover: Frauen und Mädchen mieden auffällig die üblichen Partymeilen und zogen es vor, vermehrt zu Hause oder in zentrumsfernen Vierteln zu feiern. Mit Ausnahme der zentralen Feier am Brandenburger Tor in Berlin, die wie üblich gut gesichert und eingezäunt war. „Frauen sind kaum zu sehen“, überschrieb die linke taz einen Bericht über die Neujahrsnacht in Hamburg. „Fast nur Männer, die meisten zwischen 18 und 35 Jahren“ und meist aus Afghanistan bevölkerten vor Mitternacht das Jungfernstieg genannte Alsterufer. „Ich habe selber fast gar keine Frauen auf dem Schloßplatz gesehen“, sagte der Pressesprecher der Polizei Stuttgart, Olef Petersen, der JF, „augenscheinlich aber viele Männer mit Migrationshintergrund.“ Nachts habe man sogar die Klettpassage, die Einkaufspassage unter dem Hauptbahnhof, räumen müssen, „weil so viele Männer aus dem arabischen Raum da waren“. „Bei uns ist der Eindruck entstanden, daß weniger Frauen als im vergangenen Jahr da waren“, faßt die Sprecherin der Frankfurter Polizei, Chantal Emch, zusammen. Dieser Eindruck sei aber „subjektiv“. Von „besonders deutlich weniger Frauen“ an üblichen Feierplätzen berichtete die Bild aus München. In Hannover seien nach Polizeiangaben, die die Bild zitiert, überwiegend junge Männer mit Migrationshintergrund, im Bahnhofsumfeld fast nur solche unterwegs gewesen. (mec, ru)