© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Blick voraus mit Schrecken
Jahresvorschau: Daß Angela Merkels Wiederwahl wahrscheinlich ist, liegt vor allem an der schwachen SPD
Paul Rosen

Es hätte so schön werden können im Jahr 2017: Die Wirtschaftslage war noch nie so gut, die Beschäftigungsquote noch nie so hoch. Angela Merkel und die Union hätten ein respektables Wahlergebnis erzielen können. Deutschland, eine Art Insel der Seligen in rauher See, hätte schon fast selbstgerecht das Lutherjahr feiern können. Stattdessen ist überall die häßliche Fratze des Terrors zu sehen, drohen innenpolitisches Staatsversagen sowie außenpolitische Isolierung und europäischer Niedergang. 

Neue politische Kräfte gewinnen auch in Deutschland weiter hinzu und könnten im Herbst 2017 im Bundestag vertreten sein. Der schon seit Jahren spürbare Wind des Wandels wird heftiger und könnte 2017 zu einem stürmischen Jahr des Übergangs werden lassen. 

Deutschland säße dann  zwischen den Stühlen

Das erste politische Großereignis des Jahres 2017 dürfte die Wahl des neuen Bundespräsidenten am 12. Februar sein. Überraschungen werden weitgehend ausgeschlossen, seitdem SPD-Chef Sigmar Gabriel der zu lange zögernden Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Unionsparteien den SPD-Kandidaten Frank-Walter Steinmeier als gemeinsamen Kandidaten der Großen Koalition aufzwang. Gabriel ist längst zum mächtigsten Politiker neben Merkel geworden, was aber auch mit dem Macht- und Einflußverlust der Kanzlerin nach schweren CDU-Wahlniederlagen in den Ländern korrespondiert. Merkel hat ihren Zenit überschritten; sie tritt letztmalig als Kanzlerkandidatin an. Die politische Verantwortung für den schweren Terroranschlag von Berlin wird ihr zwar von Opposition und inländischen Medien nicht angelastet. Weitgehend einig sind sich die Bundestagsparteien darin, daß die Migrationspolitik nur etwas besser gestaltet werden müsse, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Ausländische Stimmen werden ignoriert, auch die der Basler Zeitung, die nach dem Anschlag von Berlin schrieb: „Es sind Merkels Tote.“ 

Daß Merkels Chancen auf Wiederwahl im 19. Deutschen Bundestag recht groß sind, hängt wiederum mit der Schwäche der SPD zusammen. So stark Gabriel in der Regierung ist, so schwach ist die SPD im Volk verankert. Es erscheint aus heutiger Sicht völlig egal, ob die SPD Gabriel, den Europaparlamentspräsidenten Martin Schulz oder den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten aufstellt (siehe Beitrag unten): Mehr als 25 Prozent scheinen nicht mehr erreichbar zu sein. Das würde eine Regierungsbildung mit Grünen und Linken sehr schwer machen. Aber auch die Union tut sich schwer. Die CSU bleibt unzuverlässig. Sie verlangt regelmäßig Änderungen der Flüchtlingspolitik: „Das Jahr 2017 muß im Zeichen der Rückführungen stehen.“ In der CDU zeigen sich Risse. Die Union wird instabiler, aber vor der Bundestagswahl wohl nicht zerbrechen. 

Erste Eindrücke von der Stimmung in der Wählerschaft können am 26. März gewonnen werden, wenn die Saarländer zur Landtagswahl aufgerufen werden und entscheiden können, ob sie die Große Koalition unter Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bestätigen wollen oder nicht. Im Saarland ist die Linke sehr stark, was auf den bekannten Saarländer Oskar Lafontaine zurückzuführen ist. Umfragen sehen keine Veränderungen in der Regierung – allerdings sehen die Umfragen die Alternative für Deutschland (AfD) im Landtag. 

Eine wichtige Wahl für die deutsche Politik steht im April im Nachbarland Frankreich an. Merkel kam mit François Hollande noch recht gut aus. Wer auch immer neuer Präsident wird, dürfte auf Distanz zu Berlin und der dort favorisierten Politik der europäischen Integration und Immigration gehen. Die Bundesregierung käme mit einem Sieg der Konservativen oder Rechten in Paris in eine höchst gefährliche Lage: In den USA hatte man auf Hillary Clinton gesetzt und den gewählten Präsidenten Donald Trump als „Haßprediger“ (Steinmeier) tituliert. Da Merkel zudem als Antreiberin für die Sanktionen gegen Rußland gilt, ist das Verhältnis zu beiden Großmächten schlecht, zu Frankreich wird es sich verschlechtern, und die Briten treten aus der EU aus, worauf ihnen von deutscher Seite ein „harter Brexit“ angedroht wurde. Ein zwischen allen Stühlen sitzendes Deutschland gerät in Europa auf die Verliererstrecke, was sich in einer weiteren Schwächung der Euro-Währung zeigen wird. Die Zeche haben Sparer und Lebensversicherte zu zahlen. 

Als Test für die Bundestagswahl gilt die Landtagswahl am 14. Mai in Nordrhein-Westfalen. Hier könnte die SPD noch einmal vorne liegen, was aber an der Schwäche der CDU liegt, deren Spitzenmann Armin Laschet vor allem in Zuwanderungsfragen die SPD links zu überholen versucht. Die AfD liegt in Umfragen bei knapp zehn Prozent, die FDP dürfte wieder eine Rolle spielen und als Steigbügelhalter bereitstehen, falls es für Rot-Grün alleine nicht reicht. Daher werden Hannelore Kraft (SPD) beste Chancen eingeräumt, als Ministerpräsidentin in Düsseldorf bestätigt zu werden. 

Höhepunkt des Jahres werden die Bundestagswahlen im Herbst. Ein Einzug der AfD in den Bundestag würde erstmals seit den Anfangsjahren der Bundesrepublik eine Partei rechts von der Union im Bundestag sehen, und bei einem Wiedereinzug der FDP würde es erstmals sechs Fraktionen geben. Der Einzug der AfD würde der Wahl eine historische Bedeutung geben und wäre eine Zäsur. Merkels Wiederwahl als Kanzlerin würde Kontinuität nur vortäuschen. Es wird ohnehin ihre letzte Wiederwahl gewesen sein. Sie wird den Beginn ihres Niedergangs und den Beginn eines anderen Zeitalters markieren. 

Wer schon 2016 als „annus horribilis“ (Jahr des Schreckens) bezeichnete, wird 2017 Wortfindungsprobleme bekommen.