© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/17 / 06. Januar 2017

Adonis. Der bedeutende moslemische Dichter kritisiert in einem neuen Buch seine Religion
Gewalt und Islam
Werner Lehfeldt

Der vom „Fundamentalismus gepredigte Islam ist eine kulturlose Religion (...) Die Gewalt wohnt ihm inne (...) Er ist ein Aufruf zur Unterwerfung, zum ewigen Krieg, um die Menschheit zu islamisieren (...) Es gibt keinen Platz für andere Glaubensrichtungen oder Gläubige in der muslimischen Gesellschaft (...). Die große Mehrheit der arabischen Gesellschaft ist immer noch von Unwissenheit, Analphabetismus und religiösem Obskurantismus beherrscht.“ – Ein deutscher Facebook-Nutzer etwa, der auf die Idee käme, derartige Behauptungen im Internet zu verbreiten, liefe Gefahr, von den staatlich unterstützten „Hate speech“-Fahndern aufgespürt zu werden und seine „islamophoben Sprüche“ gelöscht zu sehen.

Tatsächlich stammen diese Zitat jedoch nicht von einem „rassistischen“ Angehörigen der – seit neuestem nicht selten so bezeichneten – „alteingesessenen“ deutschen Bevölkerung, sondern von dem 1930 geborenen, seit 1985 in Paris lebenden syrisch-libanesischen Lyriker und Essayisten Ali Ahmad Said Esber, der unter dem Pseudonym „Adonis“ publiziert. Die Zeit nennt Adonis, der mit zahlreichen Literaturpreisen in Frankreich, Italien, der Türkei und im Libanon ausgezeichnet wurde und häufig als Kandidat für den Literaturnobelpreis genannt wird, „den bedeutendsten Dichter der arabischen Welt“. Zu finden sind die angeführten und zahlreiche ähnliche Sätze in dem kürzlich erschienenen Band „Gewalt und Islam“, in dem sich Adonis mit der Psychoanalytikerin Houria Abdelouahed über die Entstehung des heutigen Islams als einer Religion der Macht und über die Situation der Frau im Islam der Gegenwart unterhält. 

In diesem Buch sowie in zahllosen anderen Publikationen bringt Adonis seine Verzweiflung darüber zum Ausdruck, daß sein Lebenstraum, die Säkularisierung – also die Trennung von Religion und Staat – und die Gleichberechtigung der Frau in der arabischen Welt verwirklicht zu sehen, nicht in Erfüllung gegangen sei. Ohne diese Voraussetzungen aber könne sich eine moderne Gesellschaft nicht entwickeln, und ergo gebe es sie in den arabischen Staaten, die nach wie vor Stammesgesellschaften seien, bis heute nicht.

Dem Westen wirft Adonis vor, durch seine – gerade auch militärische – Unterstützung reaktionärer arabischer Regime zu diesem Umstand beizutragen, und zudem sei er in hohem Maße auch für die Entstehung des Islamischen Staates verantwortlich, da er islamistische Kämpfer, als diese ihm noch nützlich waren, immer wieder mit Waffen ausgestattet hat. Es ist kein Wunder, daß die Verleihung des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises an den wahrhaft zwischen allen Stühlen sitzenden Adonis im Jahr 2015 gerade in Deutschland auf heftige Kritik gestoßen ist – in dem Land, über das der Vorgänger des amtierenden Bundespräsidenten im Jahr 2010 emphatisch und weitgehend unwidersprochen verkündet hat, daß der Islam zu ihm gehöre.