© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Gewaltpolitiker und mönchischer Asket
Oliver Jens Schmitts Studie über Corneliu Zelea Codreau porträtiert den rumänischen Faschistenführer als Januskopf
Jakob Apfelböck

Die rumänische „Legion des Erzengel Michael“ stand als rasant wachsende Massenbewegung Mitte der dreißiger Jahre nicht nur an der Schwelle zur Macht. Man mag sie mit Blick auf Programmatik, Stil und Aktionsformen vielleicht sogar – so hat es jedenfalls Ernst Nolte vor gut einem halben Jahrhundert behauptet – als die „interessanteste und vielseitigste aller faschistischen Bewegungen“ ansehen. 

Dieser schillernde Sonderstatus hat die wissenschaftliche Neugier im deutschen Sprachraum dennoch kaum beflügeln können. Ein Grund für das Desinteresse ist in dem Tunnelblick zu suchen, mit dem hierzulande Ideen- und Sozialgeschichte betrieben wird. Westeuropäer neigen dazu, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, die ihr Teil des Kontinents genommen hat, als universalgeschichtlich maßgebliches Muster anzunehmen. Als relevant gilt daher auch nur, was sich damit geistig auseinandergesetzt hat. In dieser Wahrnehmung erscheint Osteuropa als ein exotischer Schauplatz, dessen Rückständigkeit sich in seinen Denktraditionen spiegelt.

Über die mentale Kluft zwischen West und Ost hinaus, die das Ende des Eisernen Vorhangs überdauert hat, gibt es aber auch ein praktisches Problem, das die wissenschaftliche Beschäftigung mit der rumänischen Legionärsbewegung erschwert. Quellen sind spärlich gesät, und ihre Zuverlässigkeit ist zudem oft fragwürdig. Immer wieder und abschließend, als sich der Konflikt mit der anbrechenden Königsdiktatur 1937/38 zuspitzte, wurden die Archive vernichtet oder unauffindbar versteckt, um sie dem Zugriff des staatlichen Repressionsapparates zu entziehen. Selbstzeugnisse einstiger Legionäre setzten entweder Flügelkämpfe der Bewegung fort oder dienten dem Zweck, sich angesichts des für sie konstitutiven Antisemitismus von der Mitverantwortung an der späteren Verfolgung und Ermordung großer Teile der Juden Rumäniens reinzuwaschen. 

Erhalten blieben allerdings umfangreiche Aktenbestände des zeitgenössischen rumänischen Geheimdienstes Siguranta, der, nicht anders als sein Nachfolger in kommunistischer Zeit, ein engmaschiges und weit gespanntes Netz über das ganze Land gelegt hatte und über Informanten bis in die höchsten Führungszirkel der Legionärsbewegung hinein verfügte. Auf diese Dokumente konnte Oliver Jens Schmitt zurückgreifen, der dem von ihm im Jahr 2013 im Oldenbourg-Verlag mit herausgegebenen Band „Inszenierte Gegenmacht von rechts“ über die Bewegung insgesamt nun eine biographische Studie über ihren Führer Corneliu Zelea Codreanu folgen ließ. 

Der in Wien lehrende Historiker versteht es aber nicht nur, sich dieser Quellen mit der gebotenen Vorsicht zu bedienen, verfolgen nachrichtendienstliche Spitzelberichte doch immer auch den Zweck, die Informationen so aufzubereiten, daß sie als besonders schwerwiegend erscheinen. Es gelingt ihm auch, den zur Floskel erstarrten Ausdruck vom „Zeitalter der Extreme“ mit neuem Leben zu erfüllen. Die „totalitären“ Bewegungen von links und rechts brachen eben nicht aus dem Nichts über eine eigentlich geordnete Welt herein, die drauf und dran war, ihre Probleme friedlich und vernünftig in den Griff zu bekommen. Sie warteten vielmehr mit unbedingten Antworten auf chaotische und verzweifelte Lagen auf, die sich objektiv und nicht bloß in der beschränkten Wahrnehmung der Zeitgenossen als solche darstellten. 

Untypisch für faschistische Führer seiner Zeit

Trotz des militärischen Debakels von 1916 hatte sich Rumänien zwei Jahre später zwar unverhofft auf der Seite der Sieger wiedergefunden, und territoriale Zugewinne zu Lasten Rußlands und der zerfallenden Habsburger Monarchie ließen es mit nahezu verdoppeltem Territorium zum achtgrößten Flächenstaat Europas aufsteigen. Die Gebietszuwächse blieben jedoch latent gefährdet. Es mußte damit gerechnet werden, daß Ungarn eine Revision der im Vertrag von Trianon oktroyierten Grenzziehung betreiben könnte. Die Sowjetunion hatte die Abtretung Bessarabiens gar nicht erst anerkannt. 

Die Annexionen „erlösten“ aber nicht nur die rumänische Irredenta, sie brachten auch Minderheiten in den Staatsverband, die nunmehr dreißig Prozent einer zuvor weitgehend homogenen Gesamtbevölkerung ausmachten. Die Ausweitung des Wahlrechts pulverisierte die Honoratiorenparteien der Vorkriegszeit, neue Akteure betraten die parlamentarische Bühne, die in der politischen Auseinandersetzung vor keiner Gewalttat zurückschreckten. Korruption diskreditierte die Eliten und ließ die mentale Kluft zwischen der Provinz und der Metropole Bukarest unüberwindbar werden. 

Inmitten dieser politischen und sozialen Erschütterungen erregte die aus studentischem Milieu erwachsene Legionärsbewegung des als Sohn eines nationalistischen und antisemitischen Politikers geborenen Corneliu Codreanu mit so militanten wie symbolträchtigen Aktionen landesweit Aufsehen. Janusköpfigkeit ist dabei der rote Faden, den Schmitt in seiner Darstellung herausarbeitet. Auf der einen Seite setzte Codreanu bedenkenlos auf Gewalt – und wurde darüber selbst zum Mörder. Auf der anderen Seite propagierte er eine moralische Erneuerung Rumäniens auf christlicher Grundlage, die jeder politischen Neuordnung vorauszugehen hätte, entzog sich häufig der Öffentlichkeit in ländlicher Einsamkeit und pflegte mit dem engeren Kreis seiner Gefolgsleute einen mönchischen Lebensstil. 

Zwischen brachialer Intervention und apolitischer, religiöser Entrücktheit oszillierend und nicht zuletzt in seiner Passivität untypisch für die zeitgenössischen faschistischen „Führer“, zögerte er, nach der Macht zu greifen, als der Zeitpunkt günstig schien, und stellte sich trotz seiner royalistischen Gesinnung auch gegen den um seine Unterstützung buhlenden Monarchen. Carol II. nahm die Herausforderung an und ließ Codreanu wie auch zahlreiche andere Exponenten der Bewegung liquidieren. Seine Königsdiktatur sollte jedoch mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, der Rumänien zur Verfügungsmasse der Großmächte degradierte, ebenfalls nur von kurzer Dauer sein.

Oliver Jens Schmitt: Capitan Codreanu. Aufstieg und Fall des rumänischen Faschistenführers. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016, gebunden, 336 Seiten, 26 Euro