© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Stammtische unserer Eliten
DFG-Präsident Peter Strohschneider klärt auf: Über die Vorzüge von Wissenschaft im Vielvölkerstaat
Wolfgang Müller

Wissenschaft und Politik lassen sich schon deshalb bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nicht trennen, weil Bund und Länder deren Milliardenetat mit Steuergeldern versorgen. Aber abgesehen davon beschränkt sich Politisches im DFG-Alltagsgeschäft auf Hochschul- und Wissenschaftspolitik. Entsprechend kreisen ihre Jahresversammlungen stets um Probleme der Förderung universitärer Spitzenforschung, um Exzellenzstrategie, um die optimale Mischung von Grundlagen- und angewandter Forschung.

So war es auch wieder im Juli in Mainz. Doch auf dem Galaabend, in Anwesenheit von, wie das Hausorgan Forschung (Heft 3/2016) stolz meldet, „hochkarätigen Ehrengästen“ wie Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) sowie „mehr als 200 Gästen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“, ging es diesmal um ganz anderes als um Wissenschaft, nämlich um „rechtsradikale Xenophobien und europafeindlichen Ethnizismus“. 

Heraus aus dem Elfenbeinturm, mit seinem Vortrag zu „Binnenspannungen und Zentrifugalkräfte in Europa“ mitten hinein ins tagespolitische Getümmel, wagte sich Peter Strohschneider, DFG-Präsident seit 2013. Zwar fehlt ihm, dem Professor für Germanistische Mediävistik, zur Beurteilung aktueller weltpolitischer Entwicklungen Fachkompetenz. Er entbehrt sie aber nicht, weil er sich durch die Leitmedien bestens unterrichtet weiß, deren Deutungen er bruchlos übernimmt. So entstand ein Referat, das erfreulich klare Einblicke in jenes schlichte, geradezu „populistische“ Weltbild vermittelt, dem man an den Stammtischen unserer Eliten zuneigt.

Generalschlüssel zum Verständnis der Gegenwart ist „die Globalisierung“. Wie üblich faßt auch Strohschneider das „Globalwerden ökonomischer, sozialer, politischer und kultureller Bezugsordnungen“ als numinose Macht auf, als ergeben hinzunehmendes Schicksal. Eine postfaktische Interpretation ihrer sinnfälligsten Wirkung liefert er nur insoweit, wie er meint, „die großen Einwanderungsströme“ erreichten Europa bereits „seit den 1950er Jahren“. 

Da Globalisierung Migration verursacht, ist auch sie Schicksal. Dem Europas Bürger sich am besten durch  „Einübung ins Fremde“ (Navid Kermani) unterwerfen. Eine „Zumutung“, die bis in den „eigenen sozialen Nahbereich“ hinein – nur nicht in den noblen Habitaten des Festredners und seiner Gäste – ausgehalten werden müsse, da moderne eben pluralistische Gesellschaften seien. Den aus der Demokratietheorie vertrauten weltanschaulich-politischen, konfessionellen und sozialen Pluralismus ergänzt Strohschneider hier fast unmerklich um ein ethnisches Element, um den demokratisch-pluralistischen Staat mit der „multi-tribalen Ordnung“ (Rolf Peter Sieferle) eines marktkonformen qualligen Vielvölkergebildes gleichzusetzen. Das Gütesiegel pluralistisch-modern ziert dann exklusiv jene „freien und friedlichen Gesellschaften“, die eine um außereuropäische Ethnien erweiterte Vielfalt akzeptieren. 

Daß die relative Stabilität europäischer Gesellschaften zuverlässiger ohne Millionen kulturfremder, kaum integrierbarer Afrikaner und Orientalen gewährleistet sein könnte, ist eine historisch wie sozioökonomisch gut fundierte Überlegung, an die der in typisch bundesrepublikanischen Verblendungszusammenhängen hilflos zappelnde Strohschneider indes keinen Gedanken verschwendet. Daher sieht der für den Import des Mittelalters offensichtlich blinde Mediävist die „zivilisatorischen Errungenschaften Europas“ nicht etwa durch die Ansiedlung von Heerscharen bedroht, die von neolithisch-patriarchalischen Gewaltstrukturen geprägt sind, sondern durch den erwachenden Widerstand „mitten in der EU“, der von den Brexit-Befürwortern bis zur Anti-Islam-Fronde in Ungarn und Polen reiche, die er reflexhaft als „populistisch- autoritären Cäsarismus“ denunziert.

Neugier auf das Fremde als Triebkraft der Forschung

Solche üblen Störenfriede wollten nicht nur die Demokratie durch „Ethnokratie“ ersetzen, obwohl es „jeder Evidenz“ widerspreche, „Volk als homogene Größe zu begreifen“. Sie würden mit ihrer Verteidigung des Ethnos als Quelle der Legitimität auch die Basis der Wissensgesellschaft untergraben. Hier plaziert Strohschneider seine zweite semantische Roßtäuscherei. Indem er zunächst Neugier korrekt als Triebkraft wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion bezeichnet. Um dann Neugier in ein moralisches Gebot zu verwandeln. Nur eine Gesellschaft, die neugierig in dem Sinne sei, daß sie sich „durch das Andere, ja Fremde irritieren“ lasse – also: durch viele funktionelle Analphabeten der Einwanderungsströme –, generiere Innovation und dürfe „moderne Wissenschaftsgesellschaft“ heißen. Ein Nonsens, den er im Vertrauen darauf auftischt, kein Zuhörer werde sich erinnern, daß, so wie heute etwa Japan oder Korea, das ethnisch homogene Deutsche Reich und selbst noch die Bonner Republik sich gänzlich ohne Fremde an der Weltspitze der Wissenschaftsliga behaupteten.

Wenn dann endlich der gegen „neu-alte Nationalismen“ wetternde Laudator der Offenheit gegen den „ökonomistischen Reduktionismus“ Brüssels, der doch ganz in seinem Sinne konsequent „globalwerdenden“ EU-Forschungspolitik, auf die Subsidiarität „nationaler Ordnungen“ pocht, erklimmt der Text den Gipfel der Wirrnis.