© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Das Schreien ausdrücken
Darstellung enthumanisierter Kreatur: Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt bewegend-exzeptionelle Bilder des irischen Malers Francis Bacon
Felix Dirsch

Francis Bacons Œuvre ist der Stuttgarter Staatsgalerie keineswegs unbekannt. Bereits vor dreißig Jahren widmete sich die Einrichtung dem außergewöhnlichen Künstler (1909–1992), der damals noch selbst Einfluß nehmen konnte auf die in der Schau gezeigte Auswahl der Werke. In den vergangenen Dekaden ist der Wert seiner Werke noch deutlich gestiegen. Bacons Größe liegt nicht zuletzt in seiner manchmal überaus schockierenden Deutung des Daseins, an der sich viele Gelehrte wie der französische Philosoph Gilles Deleuze abgearbeitet haben.

Die Stuttgarter Ausstellung 2016/17, die Gemälde zum Teil aus privatem Besitz präsentiert, gibt einen ausgezeichneten Einblick in die Schaffenskraft des Künstlers, dessen gegenständliche Malerei viele Betrachter in ihren Bann zieht. Faszinierend ist die existentielle, expressionistisch wirkende Ausdruckskraft der Bilder, die Munchs berühmten „Schrei“ in die Erfahrungswelt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts übersetzen. Auffällig ist stets die Bacon antreibende radikale Subjektivität, die schreckliche, gewalttätige, schöne und alltägliche Bilder hervorbringt. Grenzsituationen stellt er exzessiv dar: zwischen Leben und Tod, zwischen physischem Schmerz und dessen Auflösung, zwischen Mensch und Tier.

Irritierend ist für viele Beobachter seine Vorliebe, ineinander verschlungene Körper zu präsentieren, bei denen man den Eindruck gewinnt, es handle sich dabei um innig miteinander verbundene Fleischstücke, die lediglich in Umrissen Körper ähneln. Einige Posen wirken wie Fleischpakete an Metzgerhaken. Die Form des Körpers ist nur mehr zu erahnen. Ein drastisches Beispiel ist im Mittelteil eines besonders beeindruckenden Bildes der Ausstellung, des Triptychons „Studien nach dem menschlichen Körper“, zu sehen. Dieses Motiv wird bei Bacon auf vielfältige Weise variiert. Für den Homosexuellen dürfte die soziale Kontaminierung des Körpers, seine demütigende Herabwürdigung, keine fremde Erfahrung sein.

Bacons Ansatz wird niemanden verwundern, der seine Biographie kennt. Eine akademische Ausbildung sucht man bei ihm vergebens. Früh aufgrund seiner homosexuellen Neigungen vom Vater aus dem Haus gejagt, macht er in jungen Erwachsenenjahren alles mögliche, um sich über Wasser zu halten: vom persönlichen Diener über Verkäufertätigkeiten bis zum Callboy. Seine Gönner sind nicht selten auch seine Liebhaber. Erst während des Zweiten Weltkrieges – er wird aufgrund eines Leidens nicht zum Kriegsdienst eingezogen – widmet er sich, nach einigen frühen Versuchen, intensiv und dauerhaft dem Malen.

Als Agnostiker 50 Bilder von Päpsten angefertigt

Francis Bacon hat häufiger betont, daß sein Werk enge Bezüge zu seinem Leben aufweist, wenngleich dieser Konnex natürlich ein etwas komplizierterer ist als eine simple kausale Verbindung zwischen eigenen Gewalterfahrungen und denen, die man aus seinen Arbeiten herauslesen kann.

Die Ausstellung geht aber über schockierende Darstellungen hinaus und thematisiert Bacons Verlangen nach Raum. Sie sieht hierin ein zentrales Moment seines Wirkens. Dieser Aspekt ist nicht zu trennen von Bacons Inspiration durch alte Meister. Die Anregungen erfolgten immer über Reproduktionen, nicht über Originale. Zu seinen Vorbildern zählte Diego Velázquez, der Papst Innozenz X. porträtierte. Bacon übte sich in der Übernahme dieses Sujets, das er freilich stark verfremdete. Als eher merkwürdig darf gelten, daß ein Agnostiker zwischen 1949 und 1971 immerhin 50 Bilder von Päpsten anfertigt. Menschen mit Glauben empfindet er als interessanter denn solche ohne religiöse Empfindungen. Aus einem konventionell dargestellten Kirchenoberhaupt bei dem Spanier wird bei dem Briten 1957 der damals amtierende Pontifex Pius XII., der die Unterarme hebt, als wolle er sich gegen die Enge des Raumes ebenso wie gegen die von rechts oben eindringende Kordel zur Wehr setzen.

Andere Papst-Abbildungen bringen den „Schrei im Raum“ stärker zum Ausdruck. In „Pope II“ von 1951, Teil einer Reihe ähnlicher Darstellungen, arbeitet der Künstler mit vertikalen und diagonalen Streifenstrukturen, abstrakten grafischen Bogenformen sowie einem Glasgehäuse. Die Beine des Pontifex verschwinden in einer Öffnung, die wie ein Futteral aussieht. Allein die unterschiedliche Mundöffnung der Päpste, mal erheiternd wirkend, mal ernst, hätte eine Untersuchung verdient.

Die Ausdrucksform des Schreies, eine besonders authentische Äußerung von Gefühlen, kommt nicht nur im Kontext der Papst-Serie zum Vorschein. Viele von Bacons Bildern werden von diesem Motiv durchzogen, über dessen Herkunft er bereitwillig Auskunft gegeben hat. Er hat 1929 den filmischen Welterfolg „Panzerkreuzer Potemkin“ des russischen Regisseurs Sergej Eisenstein gesehen. Besonders aufwühlend ist die Szene, in der eine Kinderfrau von Kugeln zaristischer Soldaten getroffen wird. Ihr Mund ist schreiend geöffnet, das rechte Auge zerschossen, die Brille kaputt. Das Blut läuft über Wange und Kinn. Hier gehen der Schrei und eine bestimmte räumliche Gestaltung eine Symbiose ein, die sich bei etlichen Bildern Bacons beobachten läßt.

Wer sich Bacons Bilder, gerade in ihrer erschaudernden Abgründigkeit, zu Gemüte führt, erkennt unschwer, welche Spuren der Gigantenkampf im 20. Jahrhundert hinterlassen hat. Der Brite deutet die Erde als Schlachthaus und sieht das Schlachthaus als Erde in Miniaturgestalt. Es ist aufschlußreich, wie wenig an Zivilisation und Humanität in dieser Perspektive übrigbleibt.

Die Ausstellung „Francis Bacon. Unsichtbare Räume“ ist noch bis zum 8. Januar in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 0711 / 470 40 250

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