© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/16-01/17 23. Dezember / 30. Dezember 2016

Fokussierung ist groß in Mode
Unternehmenspolitik: Wie Großkonzerne und Mittelständler sich gesundschrumpfen / Konzentration aufs Kerngeschäft
Thomas Kirchner

Zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Modelle dominieren moderne Unternehmenspolitik. Auf der einen Seite muß man aus Wettbewerbsgründen möglichst groß werden, um Fixkosten auf einen höheren Umsatz verteilen zu können. Auf der anderen Seite werden Unternehmen unübersichtlich, wenn sie sich zu Gemischtwarenläden entwickeln, die in verschiedenen Branchen gleichzeitig reüssieren wollen. Die Erfahrung zeigt, daß letztere häufig eine Bruchlandung erleben.

Setzt in der Autoindustrie eine Abspaltungswelle ein?

Wie man es richtig macht, zeigt der Batteriehersteller Varta, dessen Produkte manche Verbraucher zuletzt zu Zeiten von Flach- und R6-Batterien im Laden gesehen haben. Was man leicht als Niedergang einer deutschen Traditionsmarke sehen kann, ist in Wirklichkeit eine Erfolgsgeschichte der Fokussierung. Die alte Varta wurde 2002 zerschlagen, als Batterien zu billiger Massenware aus Fernost geworden waren und zu deutschen Kosten nicht mehr wettbewerbsfähig. Varta konzentrierte sich auf das Segment der Mikrobatterien, wie sie in Hörgeräten eingesetzt werden, und konnte damit so stark wachsen, daß nun ein neuer Börsengang angesagt ist. Klein, aber fein zum Erfolg.

Im Mittelstand bilden Unternehmen wie Varta, die sich auf ein Kerngeschäft konzentrieren, noch eher die Ausnahme. Wer waschechter Unternehmer ist, läuft immer Gefahr, sich in zu vielen Unternehmungen zu verstricken. Bei Großunternehmen hingegen ist in den letzten Jahren Fokussierung richtig in Mode gekommen, insbesondere in den USA, aber auch in Europa. Dementsprechend verkleinern sich Unternehmen, indem sie Geschäfte abspalten, die nicht zum Kerngeschäft zählen. Der Trend geht auf die 1980er Jahre zurück, als viele der Konglomerate, die in den sechziger Jahren zusammengestellt worden waren, in Schwierigkeiten gerieten und von Raidern wie Carl Icahn, Nelson Peltz oder Guy Wyser-Pratte zerschlagen wurden. Arbeiteten sie einst auf Kosten der Aktionäre in die eigene Tasche, haben sich die Raider seitdem als Aktivisten neu erfunden und erwerben heute lediglich Minderheitsanteile, wodurch alle Anteils­eigner in den Genuß ihrer Leistungen kommen.

Ein Beispiel der jüngsten Vergangenheit ist die Aufspaltung von Hertz in eine reine Autovermietung sowie ein zweites Unternehmen, Hertz Equipment Rental, das Bau- und Industriemaschinen vermietet. Es brauchte viel Überzeugungsarbeit durch Carl Icahn, bis die Verantwortlichen bei Hertz eingesehen haben, daß Mietwagen­kunden nur selten noch einen Bagger oder Kran dazunehmen und sich auch sonst die Geschäftsbereiche kaum überschneiden.

Doch nicht alle Unternehmen warten, bis genervte Anleger einen Aktivisten ins Boot holen, der die Firma öffentlich an den Pranger stellt. Gerade in Europa finden Gespräche über die strategische Ausrichtung häufig hinter geschlossenen Türen ohne publikumswirksame Schmähbriefe statt. 

Gerade große Konzerne spalten schon seit vielen Jahren Geschäftsbereiche ab, die nicht mehr zum Kerngeschäft passen und gehen zeitgleich auf Einkaufstour, um ihr Kerngeschäft zu stärken. Siemens brachte schon 1999 mit Infineon seine Halbleitersparte an die Börse. 2013 dann Osram. Aus dem Computergeschäft haben sich die Münchner auch verabschiedet und wollen jetzt nur noch Energie, Infrastruktur, Medizin und Industrieelektronik herstellen. Auch das ist noch ein weites Feld, so daß weitere Abspaltungen in der Zukunft möglich sind. Bayer brachte mit Covestro sein Polymergeschäft an die Börse, um sich auf Spezialchemie für Medizin und Landwirtschaft zu konzentrieren. Mit Monsanto würde letzterer Bereich gestärkt. Gleichzeitig halten Spekulationen an, daß Bayer seine Tiergesundheitssparte abspalten könnte, denn weitere, zum Ausbau dieses Bereichs notwendige Zukäufe sind bei Übernahme von Monsanto vorerst unwahrscheinlich: Der Dax-Konzern stünde mit Schulden von über 56 Milliarden US-Dollar unter Druck.

Auch in der Autoindustrie könnte eine Abspaltungswelle einsetzen. Fiat hat mit der Börseneinführung von Ferrari das neue Börsensegment des Luxusautoherstellers geschaffen. Eine weitere Abspaltung, die von Maserati, ist wahrscheinlich. Nach diesem Vorbild ist es gut möglich, daß der gebeutelte VW-Konzern sich von seinen eigenen Luxusmarken trennt, wenn es zum Neustart kommt. BMW steht nicht unter dem gleichen Druck wie VW, könnte aber die Gunst der Stunde ergreifen und sich von Rolls Royce trennen.

A propos Autos: Die Formel 1 wird derzeit von Liberty Media übernommen, dem Konglomerat des amerikanischen Milliardärs John Malone. Der ist Spezialist im Fusionieren und Spalten. Er übernimmt Firmen, mästet sie in seinem Konzern und spaltet sie dann ab. Das Reiseportal Expedia gehörte einst zu Liberty, ist inzwischen halb abgespalten. Der deutsche Kabelanbieter Unitymedia gehört noch dazu, ebenso der Fernsehsender QVC. Nach einer kompletten Überholung der Formel 1 wird auch sie in ein paar Jahren wieder abgespalten. Dauerhaft sind Mischkonzerne schwierig zu führen. Auch die Formel 1 wird langfristig agiler und effizienter arbeiten, wenn sie eigenständig wird.






Thomas Kirchner ist Ökonom und arbeitete für die Banken BNP und Fannie Mae. Seit 2003 ist er Fondsmanager in New York. Sein Buch „Alternativlos: Warum wir jetzt erst recht ungezügelte Finanzmärkte brauchen“ erschien 2016 aktualisiert als E-Buch.