© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Von Mäusen und Menschen
Schlafforschung bei der Max-Planck-Gesellschaft / Hilfe durch Stabilisierung des inneren Rhythmus?
Georg Schiebler

Jeder dritte Deutsche hat schon einmal an Schlafstörungen gelitten. Kein Wunder, daß die Schlafforschung zu einer kräftig wachsenden Disziplin im Ensemble medizinischer Fächer zählt. Seit 1992, ihrem Gründungsjahr, expandiert die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), die Anfang Dezember ihre Jahrestagung in Dresden abhielt. Ihre Hauptaufgabe sieht die Gesellschaft in der Weiterbildung und Spezialisierung des medizinischen Nachwuchses und im Aufbau eines Netzwerks von Schlaflaboren, von denen sie inzwischen bundesweit 320 dieser Einrichtungen akkreditiert hat.

Eines dieser Labore befindet sich im Max-Planck-Institut (MPI) für Psychiatrie in München-Schwabing. Als Ambulanz in einem Institut der Grundlagenforschung unterscheidet es sich jedoch gravierend von den übrigen Laboren, da hier, verteilt auf fünf Stationen mit 120 Betten, neben der Therapie die Suche nach den Determinanten von Schlafstörungen im Mittelpunkt der Arbeit steht, über die das auf das Thema Schlaf konzentrierte Herbstheft des MPI-Wissenschaftsmagazins informiert (Max Planck Forschung, 3/16). Schwerpunkt der mit Menschen und Mäusen durchgeführten Untersuchungen und Experimente ist der Zusammenhang zwischen Hormonhaushalt, genetischer Disposition, Schlafstörung und Depression.

Wie hängen Hormone, Gene und Depression zusammen?

Als gesicherte Erkenntnis der an freiwilligen Patienten vorgenommenen nächtlichen Messungen von Hirnströmen kann gelten, daß Hormonkurven und Schlafmuster korrelieren. Lege man die Hormonkurven über die Schlafprofile, so führt Axel Steiger, der Leiter der Ambulanz aus, falle auf, daß bei Probanden, bei denen Schlafstörungen in Kombination mit Depressionen aufträten, weniger Wachstumshormon ausgeschüttet werde als bei gesunden Teilnehmern. Auch die Cortisolwerte unterschieden sich. Bei vielen depressiven Patienten stiegen sie in der zweiten Nachthälfte stärker an.

Steiger erklärt dieses Phämonen mit einem gestörten Zyklus des Streßhormons Cortisol. Dessen Produktion steuert das Corticotropin freisetzende Hormon CRH. Bei Streß jeder Art, Infektionen, Streit, Prüfungen, stimuliert CRH die Cortisolausschüttung in den Nebennieren. Tritt nach dem geschlichteten Streit oder der bestandenen Prüfung Entspannung ein, bremst das ausgeschüttete Cortisol die CRH-Ausschüttung und damit seine eigene Produktion. Exakt dieser Rückkoppelungsmechanismus, dies belegen Steigers Meßkurven, funktioniere bei Patienten mit Depression „nicht richtig“, weil jene Cortisolrezeptoren im Gehirn gestört sind, die bei gesunden Patienten die Hormanausschüttung drosseln und sie emotional wieder „ins Lot“ bringen. 

Steigers Kollegin Mayumi Kimura, Psychologie-Professorin an der Universität Tokushima auf der japanischen Insel Shikoku, die derzeit in der Max-Planck-Forschungsgruppe „Schlaf und Telemetrie“ mit Mäusen experimentiert, fragt in ihren Studien nach den genetischen Faktoren für die ermittelten Hormon- und Schlafstörungen. Risikogene für Depressionen, die das menschliche Schlafverhalten beeinflussen, beobachtet die Japanerin auch bei Mäusen.

Aufzeichnungen über den Schlaf der Nager, denen sie die menschliche Version der P2RX7-Variante des Risikogens implementierte, zeigen deutliche Veränderungen in den EEG-Mustern, die denen depressiver Patienten ähneln. Obwohl solche Resultate immer noch nicht präzise über Kausalitäten zwischen Genen und Schlafmustern Auskunft geben, glaubt Kimura mit Hilfe ihrer genetisch manipulierten Mäuse auf einem therapeutisch wichtigen Feld bald vorankommen zu können.

Es geht um die Wirkung neuer Antidepressiva. Denn Gene beeinflussen auch, wie gut Medikamente wirken. So entscheiden zwei Varianten des am MPI erforschten Gens ABCB1, wie effizient Wirkstoffe die Blut-Hirnschranke überwinden. Da es seit 30 Jahren keinen neuen Durchbruch mehr bei der medikamentösen Therapie von Depressionen gab, könnte die Schlafforschung, so hoffen Steiger und Kimura, hier den Knoten lösen.

Genetisch setzen auch die Forscher im MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen an, um den Schlaf-Wach-Rhythmus besser zu verstehen. Nervennetzwerke und Substanzen wie Hormone, die den Schlaf regulieren, stehen unter der Kontrolle der zirkadianen, der im 24-Stunden-Takt schwingenden „inneren Uhr“, die von Anbeginn der Evolution schon in jedem Einzeller tickt. „Einmal in der Welt“, so drückt sich Institutsleiter Gregor Eichele lapidar aus, haben fast alle Lebewesen diese innere Uhr beibehalten.

Jedes Organ verfügt über ein molekulares Uhrwerk

Im gesunden menschlichen Körper sorgt sie dafür, daß ihm jeden Morgen eine hinreichende Dosis Cortisol zur Verfügung steht, um die Leistungsfähigkeit für den Tag zu garantieren. Da jede Zelle, jedes Gewebe, jedes Organ über ein molekulares Uhrwerk verfügt, muß dieses „Uhrenwerk“ permanent synchronisiert werden. Dafür, daß die Zelluhren aufeinander abgestimmt sind und der gesamte Organismus mit dem 24-Stunden Hell-Dunkel-Zyklus harmoniert, ist der oberhalb der Sehnerven-Kreuzung des Gehirns liegende, nur einen Millimeter kleine suprachiasmatische Nukleus zuständig. Eicheles jüngste Forschungen haben allerdings die Bedeutung dieser „Zentraluhr“ relativiert, da bei Mäusen, bei denen die Verbindungen zum Nukleus gekappt wurden, keineswegs das erwartete Chaos ausbrach. Offenbar funktioniere unser Uhrensystem daher eher wie ein föderaler Staat, „den die Landesregierungen am Laufen halten können, auch wenn die Bundesregierung mal schwächelt“.

Was wiederum das Interesse auf die „Landesregierungen“, die übrigen Körperuhren, von der Hirnanhangdrüse bis zur einzelnen Zelle, lenkt. Daher fragt der frühere MPI-Mitarbeiter Henrik Oster jetzt an der Universität Lübeck, selbstverständlich wiederum mit Hilfe von Mäusen, nach den Bezügen zwischen Schlaf, innerer Uhr und Stoffwechsel. Gezielt gestörter Schlaf führte bei seinen Versuchstieren dazu, daß ihre Leber und Fettzellen nicht mehr synchron tickten.

In ähnlicher Weise geriet die innere Uhr peripherer Organe durcheinander, nachdem Oster sie morgens vom Einschlafen abgehalten hatte. Offensichtlich konnten daher wichtige Stoffwechselgene nicht mehr korrekt an- und abschalten. Von diesen Experimenten glaubt Oster eine Brücke schlagen zu können bis zu neuen Therapien gegen Fettleibigkeit und Diabetes. Studien an Schichtarbeitern deuten in diese Richtung. Die „Stabilisierung des inneren Rhythmus“ dürfte daher ein wichtiger Faktor bei der Behandlung von Stoffwechselerkrankungen sein.

Sonderheft „Schlaf“ des Wissenschaftsmagazins Max Planck Forschung, 3/16:  www.mpg.de/

Forschungsstelle „Schlaf und Telemetrie“ des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie:  www.psych.mpg.de/