© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Lehrbeispiel für die Verführbarkeit
Ein Sammelband untersucht den Lebensweg des DDR-Schriftstellers Franz Fühmann, der zunehmend in Opposition zum System geriet
Jörg Bernhard Bilke

Der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann, der 1984 im Alter von 62 Jahren einem Krebsleiden erlag, wurde im nordböhmischen Rochlitz an der Iser geboren, wo sein Vater eine Apotheke betrieb. Nach dem Abitur 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, geriet 1945 in russische Kriegsgefangenschaft und wurde zum „Antifaschisten“ umerzogen. Im DDR-Gründungsjahr 1949 entlassen, lebte er in Ost-Berlin zunächst als Kulturfunktionär der „Nationaldemokratischen Partei“, aus der er 1972 austrat, und von 1958 bis zu seinem Tod als Schriftsteller. Sein Verhältnis zum SED-Staat, ohne den er kein Schriftsteller geworden wäre, wurde in seinen letzten Lebensjahren zunehmend kritischer und oppositioneller, was die 3.644 Seiten von Überwachungsprotokollen der Staatssicherheit zeigen.

Die Werkausgabe in acht Bänden erschien 1993 im Rostocker Hinstorff-Verlag, 1994 folgte ein Band „Briefe. 1950–1984“. Die literaturwissenschaftliche Aufarbeitung erfolgte 1992 durch den Jenaer Germanisten Hans Richter „Franz Fühmann. Ein deutsches Dichterleben“ und 2009 durch den Berliner Literaturkritiker Gunnar Decker „Franz Fühmann. Die Kunst des Scheiterns“.

Nun erschien eine Sammlung von 14 Beiträgen, herausgegeben von den Jenaer Germanisten Martin Straub und Peter Braun, worin das Bild des Schriftstellers nach mehreren Seiten aufgehellt wird. Der politische Lebensweg des im Sudetenland aufgewachsenen Franz Fühmann ist ein Lehrbeispiel für die Verführbarkeit junger Intellektueller durch die Ideologien des 20. Jahrhunderts. Er war zunächst, durch Elternhaus und Jugendorganisationen geprägt, glühender Nationalsozialist bis 1945. 

Die Umerziehung zum gläubigen Sozialisten, anfangs sicher kaum mehr als der Austausch des ideologischen Koordinatensystems, erfolgte 1947/49 in der „Antifa-Schule“ in Noginsk bei Moskau. Das kritische Denken setzte, zaghaft zunächst, nach dem Mauerbau 1961 ein. Seinen Beitrag zum 1959 ausgerufenen „Bitterfelder Weg“ leistete er mit der Reportage „Kabelkran und Blauer Peter“ (1961) über die Rostocker Warnow-Werft, aber schon drei Jahre später erfolgte die Absage mit einem höflichen Brief an den DDR-Kulturminister Hans Bentzien. Nachlesen im Detail kann man diese Lebensstationen in Matthias Brauns vorzüglichem Aufsatz „Franz Fühmann. Ein Fremdling in seiner Wahlheimat DDR“ in diesem Buch.

Der „operative Vorgang Filou“, mit dem Franz Fühmann vom 13. Dezember 1976 bis zu seinem Tod am 8. Juli 1984 wegen „staatsfeindlicher Hetze“ von der „Staatssicherheit“ rund um die Uhr überwacht wurde, umfaßt elf Bände. Daß ein Autor, der dem „realen Sozialismus“ immer kritischer gegenüberstand, schließlich auch zum Beobachtungsobjekt der literaturfernen Organisation „Staatssicherheit“ wurde, war unausweichlich. 

Anja Kampmann hat darüber eindringlich in ihrem Beitrag „Observationen aus den Jahren 1976–1978“ berichtet. Mit Beklemmung betrachtet man die Bildfolge des Fotografen Dieter Riemann über den verlassenen Ort im Wald bei Märkisch Buchholz, wo der Autor im letzten Lebensjahrzehnt wohnte und schrieb. Die Fotos wurde im Sommer 1984, zehn Wochen nach seinem Tod, aufgenommen, aber überall sind noch Spuren seiner Anwesenheit zu sehen.

Peter Braun, Martin Straub (Hrsg.): Ins Innere. Annäherungen an Franz Fühmann. Wallstein-Verlag, Göttingen 2016, gebunden, 224 Seiten, 19,90 Euro