© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/16 / 16. Dezember 2016

Die Schöne und das Biest
Berlin: Umstrittene Personalien im rot-rot-grünen Senat sorgen für Gesprächsstoff
Peter Möller

Es dauerte einige Tage, bis die eigentlich nur zweitrangige Personalie aus der Berliner Landespolitik ihre volle Wirkung entfaltete. Doch spätestens seit dem Wochenende sorgt die Entscheidung der Linkspartei, Andrej Holm im neuen rot-rot-grünen Senat der Hauptstadt zum Staatssekretär für Wohnen zu machen, für erbitterte politische Auseinandersetzungen.

Dabei erscheint die Ernennung auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar. Der 46 Jahre alte Sozialwissenschaftler forscht bislang als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit den Schwerpunkten Stadtentwicklung und Wohnungsbau an der Berliner Humboldt-Universität. Vor allem sein Spezialgebiet „Gentrifizierung“, also die Verdrängung angestammter Mieter durch die Modernisierung von Stadtquartieren, macht ihn aus Sicht der Berliner Linken zum idealen Kandidaten für das Amt.

Doch Holm ist ein Mann mit Vergangenheit. Noch im Sommer 1989 verpflichtete sich der 18 Jahre alte Sohn einer regimenahen Familie zum Dienst beim Ministerium für Staatssicherheit. Im Anschluß an seine Grundausbildung beim Wachregiment Feliks Dzierzynski sollte er konspirativ eingesetzt werden. Die Beurteilungen seiner Vorgesetzen waren durchweg positiv, wie Holms Stasi-Akte zu entnehmen ist, die am Montag von Journalisten ins Internet gestellt wurde. Die Revolution in der DDR bereitete Holms Karriere bei der Stasi allerdings Anfang 1990 ein schnelles Ende.

Die Reaktionen auf seine Nominierung als Staatssekretär waren harsch: Der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, bezeichnete den Personalvorschlag als einen Tabubruch, der „für viele Opfer und Kritiker des SED-Regimes schwer zu ertragen ist“. Sowohl Holm als auch die Linkspartei versuchten unterdessen, den Dienst für den Unterdrückungsapparat des SED-Regimes als eine Jugendsünde darzustellen „Wir alle haben ein Recht auf Irrtum und Korrektur, und allemal gilt das für junge Leute“, sagte Holms künftige Chefin, Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher auf dem Landesparteitag der Linkspartei.

„Schadet dem friedlichen Zusammenleben der Stadt“

Doch wesentlich schwerer wiegt in den Augen von Holms Kritikern dessen Engagement in linksextremistischen „Zusammenhängen“ – von der gewaltbereiten Berliner Hausbesetzerszene in den neunziger Jahren bis hin zur Nähe zu terroristischen Organisationen. Denn am 31. Juli 2007 wurde Holm wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet. Er und drei ebenfalls verhaftete Männer sollen Mitglieder der „militanten gruppe“ (mg) gewesen sein. Die Ermittlungsbehörden legten der Gruppe zur Last, zwischen 2001 und 2009 zahlreiche Brandanschläge auf staatliche Institutionen vor allem im Großraum Berlin begangen zu haben.

Die Verhaftung Holms, der im August 2007 wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, sorgte in der linksextremistischen Szene für eine Solidarisierungswelle, für die sich Holm anschließend in der Gefangenen Info bedankte. Das Blatt ist die Fortsetzung der Angehörigen Info, die 1989 während eines Hungerstreiks von inhaftierten RAF-Terroristen gegründet worden war. Das Verfahren gegen Holm wurde 2010 eingestellt. Daß seine Partnerin, die Politologin Anne Roth, an der Gründung der linksextremistischen Internetplattform Indymedia beteiligt war, paßt ins Bild. 

Der Berliner Bundestagsabgeordnete Philipp Lengsfeld (CDU) fällte vor diesem Hintergrund ein eindeutiges Urteil: Für ihn stelle sich die Biographie von Holm „als ungebrochener Kampf gegen Klassenfeind, Freiheit, Freiheitsrechte (z.B. Eigentum) dar“, twitterte Lengsfeld. Unterdessen kündigte Senatorin Lompscher eine Regelanfrage bei der Stasi-Unterlagenbehörde an, um Holms Vergangenheit aufzuklären.

Doch die Berufung Holms ist nicht die einzige Personalie, die für Schlagzeilen sorgt. Denn mit der bisherigen stellvertretenden Sprecherin des Auswärtigen Amtes, Sawsan Chebli, holt sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) einen zweiten Problemfall an Bord. Die aus einer palästinensischen Großfamilie stammende gläubige Mulimin soll künftig in der Senatskanzlei für die Bund-Länder-Koordination zuständig sein. Doch schon als Sprecherin im Dienste von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) stand die 38 Jahre alte Politikwissenschaftlerin in der Kritik – nicht nur wegen ihrer teilweise unglücklichen Auftritte auf der Regierungspressekonferenz. 

Vor allem ein Interview zum Thema Islam und Integration, das Chebli Anfang August in der FAZ ausgerechnet zusammen mit Michael Müller gab, sorgte für Irritationen. Darin warb sie um Verständnis für die Scharia und vermittelte auch sonst einen ziemlich ungewöhnlichen Blick auf die Integrationsdebatte. „Mein Vater ist ein frommer Muslim, spricht kaum Deutsch, kann weder lesen noch schreiben, ist aber integrierter als viele Funktionäre der AfD, die unsere Verfassung in Frage stellen“, sagte Chebli. 

Aus Sicht des CDU-Abgeordneten Kai Wegner hat sich die Nachwuchspolitikerin mit dem Interview für weitere politische Aufgaben disqualifiziert: „Es schadet dem friedlichen Zusammenleben in unserer Stadt, wenn mit Frau Chebli eine Scharia-Verharmloserin Regierungsverantwortung ausübt“, schrieb er vergangene Woche an Müller.