© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Lehrende sollen vor sich selber warnen
Geistesfreiheit: Eine deutsche Professorin macht konfrontative Erfahrungen an einer US-Universität
Richard Stoltz

Vorsicht! Literatur und Kunst untergraben Ihre Gesundheit! Sie sind so gefährlich wie Zigarettenrauchen und müßten wie dieses durch staatlich verordnete Ekelbilder auf den Packungen gebrandmarkt werden. Wie aber läuft das bei Kunst und Literatur? Nun, das Schlüsselwort heißt „Triggerwarnung“. Wer etwa als Professor an amerikanischen Universitäten Vorlesungen über Literatur halten will, der sollte zunächst einmal eine Triggerwarnung vor Reizbegriffen aussprechen, die Auslöser für psychische Belastungen sein könnten.

Es ist die deutsche Professorin Kerstin Hensel (55) von der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, die uns jetzt im Deutschlandradio über ihre einschlägigen Erfahrungen als Gastdozentin an einer Uni im amerikanischen Mittelwesten informierte. Sie hatte ahnungslos zu dozieren begonnen und wurde urplötzlich, wie sie erzählt, „mit Unzumutbarem konfrontiert“.

Studenten standen auf und verwiesen lauthals und strafend auf die „depressiven Inhalte“ in ihrem Vortrag. „Ich würde mit kruden Phantasien die Seelen der braven, wohlstandsgedüngten Twens zerstören. Es handelte sich dabei nicht etwa um die eselhaft herausgewieherten Wahlparolen von Donald Trump, sondern um meine poetischen Texte sowie um original deutsches Märchengut, rucke-di-guck, Blut ist im Schuck.“

Nach der Vorlesung, erzählte Hensel weiter, sei sie von Kollegen „aufgeklärt“ worden. Sie hatte versäumt, eine Triggerwarnung zu geben: „Die Lehrenden sollen die Lernenden warnen.“ Vor im Kunstwerk immanenter Erotik, Sex, Gewalt, Krieg, vor schrägen Ansichten, politisch, moralisch, ethnisch, religiös oder gendermäßig „Unkorrektem“. Im Fall des Vorhandenseins solcher Szenen, Bilder oder Gedanken dürfen die Lernenden den Unterricht verlassen, um „ihre Gefühle zu schützen“. Darüber also regte sich Frau Hensel im Deutschlandradio auf. 

Gern hätte man erfahren, ob sie sich auch so aufgeregt hätte, wenn die Studenten nicht ihre eigenen Werke, sondern die Wahlreden von Trump verdammt hätten. Man sollte, wenn es um die Verteidigung der Geistesfreiheit geht, nicht nur das eigene Wort schützen.