© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Ratlos nach dem Desaster
Italien: Das Referendum über die Verfassung offenbart eklatante politische Fehleinschätzungen der Sozialisten
Marco F. Hermann

Einen Tag nach dem katastrophalen Ausgang des Referendums erklärte Italiens Premier lapidar: „Am liebsten wäre ich keine Minute länger geblieben.“ Renzi war noch in der Nacht von seinem Amt zurückgetreten. Doch Staatspräsident Sergio Mattarella nahm den Rückzug nicht an. Stattdessen soll der Regierungschef übergangsweise die Geschäfte leiten. Zuerst nur bis Freitag; mittlerweile bis zur Verabschiedung des Haushalts, womöglich auch länger. So recht scheint das keiner zu wissen.

Die Frage nach Renzis Verbleib ist symptomatisch für die italienischen Verhältnisse. Den Partito Democratico (PD), dem Renzi als Parteichef vorsteht, hatte das Ergebnis schockiert. 60 Prozent votierten gegen die von Renzi angedachte Reform – bei einer überdurchschnittlichen Wahlbeteiligung von über 65 Prozent. Neben Entbürokratisierung, Streichung von Ämtern und Neuverteilung von Kompetenzen hätte diese auch die Entmachtung des Senats bedeutet, den das Volk nicht mehr direkt gewählt hätte. 

Südtiroler stehen mit ihrem „Ja“ ziemlich allein

Da Renzis PD die Mehrheit im Abgeordnetenhaus stellt, aber nicht im Senat, hätte sich der Premier damit der Blockadepolitik seiner Gegner entledigt. Der Widerstand gegen die Reform wurde selbst in den linken Hochburgen der Toskana und der Emilia-Romagna deutlich, wo das „No“ gewann. In nur 12 von 107 Provinzen gewann das „Si“ – darunter Südtirol, wo Renzis Partner, die Südtiroler Volkspartei, eifrig geworben hatte.

Nach diesem Desaster herrscht Ratlosigkeit. Obwohl Umfragen bereits seit Monaten eine Niederlage der Reform voraussagten, hatte niemand in Rom Vorbereitungen getroffen. 

Seitdem taucht vor allem der Name des Finanzministers Pier Carlo Padoan auf, der Renzi beerben könnte. Seltener erscheint Pietro Grasso, derzeitiger Senatspräsident, als Option. Innerhalb des PD klammern sich die extremen Linken an diesen Strohhalm. Die alten Kader, die von Renzi kaltgestellt wurden, wittern Morgenluft. Ihr Hauptvertreter Pier Luigi Bersani warnt vor Neuwahlen und sieht die Partei in der Verantwortung.

Die Verantwortlichkeit des PD unterstrich auch Silvio Berlusconi – allerdings unter dem Vorbehalt, nach einer Reform des Wahlrechts Neuwahlen vorzubereiten. Denn Italiens Wahlrecht gilt als verfassungswidrig. Das Referendum war daher auch zu dessen Legalisierung notwendig.

Eine Rückkehr Berlusconis gilt als unwahrscheinlich. Seine Forza Italia kommt in Umfragen nur noch auf elf Prozent. Das rechte Lager ist zudem zersplittert und folgt eher Matteo Salvini von der regionalistischen Lega Nord, der ein Bündnis mit den Nationalisten von den Fratelli d’Italia geschlossen hat. Salvini war einer der Hauptprotagonisten gegen die Reform, die er zu einer Abstimmung über die Regierung machte. Der Lega-Chef fordert daher sofortige Neuwahlen.

Beppe Grillo, der Anführer des Movimento 5 stelle, der neben Salvini als der andere große Exponent des „No“-Lagers galt, schlug in dieselbe Kerbe. Neben dem Aufruf zu sofortigen Neuwahlen bot er jedoch auch Hilfe bei der Durchsetzung einer Wahlrechtsreform an. „In nur einer Woche“, wie Grillo hinzufügte, damit zügige Neuwahlen erfolgten. Der M5s ist die größte Einzelpartei im Parlament und liegt in den Umfragen mit 30 Prozent Kopf an Kopf mit der PD. Ein Wahlsieg Grillos scheint möglich.

Vielleicht ist das der Grund, daß die Regierung einen Strategiewechsel initiierte. Im Corriere della Sera sprach Innenminister Angelino Alfano davon, im Februar Neuwahlen abzuhalten. Am Dienstag morgen zeigte sich Renzi kämpferisch, den Populisten nicht den Sieg zu gönnen – was Spekulationen förderte, der Premier könne selbst Neuwahlen ansetzen, und den Wahlkampf zu einer Abstimmung über seine Agenda machen.