© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/16 / 09. Dezember 2016

Großer Beifall, kleiner Dämpfer
CDU: Während die Funktionäre ihrer Parteichefin minutenlang zujubeln, bekommt Merkel an der Basis auch den Unmut deutlich zu spüren
Hinrich Rohbohm

Das Erwartete ist eingetreten. Zumindest, was den Beifall für die Kanzlerin betrifft. Elf Minuten applaudieren die Delegierten in der Essener Grugahalle artig ihrer Parteivorsitzenden. Nur 2005 hatten sie ihr länger gehuldigt. Es ist der Beifall für eine Rede, die vielleicht nicht an das Niveau des Vorjahres heranreicht, aber dennoch zu ihren besseren gehören dürfte. Überraschend ist das nicht. Angela Merkel mußte liefern. Zu groß war der Unmut in der Partei über ihren Kurs geworden, vor allem hinsichtlich ihrer Zuwanderungspolitik. Darüber hinaus hatten Mitglieder im Vorfeld des Parteitages immer wieder Kritik an „Energiewende“ Euro-„Rettungspolitik“ sowie der Gesellschafts- und Familienpolitik der Union geübt. 

Und so lieferte die Kanzlerin vor ihrer Wiederwahl zur Parteivorsitzenden einen Mix von Sätzen, die sich mancher Delegierter eigentlich öfter von ihr gewünscht hätte. „Da gab es dieses Mal nichts auszusetzen“, sagt einer von ihnen der JF. „Die Rede hatte es in sich. Ich frage mich nur, warum das alles nicht schon viel früher von ihr gekommen ist“, meint ein weiterer. Tatsächlich bedient Merkel in ihren Ausführungen vor allem die Bedürfnisse nach klaren Positionen und dem Markenkern der CDU. 

Gleich zu Beginn ihres Berichts als Parteivorsitzende stellt sie mit noch etwas heiserer Stimme klar: „Eine Situation wie im Spätsommer 2015 kann, darf und soll sich nicht wiederholen.“ Erster längerer Beifall kommt auf. Sie verteidigt die EU-Türkei-Vereinbarung, die Leben rette und den Schleppern das Handwerk lege. 

Zweitschlechtestes Ergebnis als Parteivorsitzende

Kein „Der Islam gehört zu Deutschland“-Satz kommt ihr über die Lippen. Eigentlich müsse der Kampf gegen den politischen Islam von allen geführt werden, sagt sie nun. Sie spricht sich jetzt gegen die Vollverschleierung aus, sagt aber auch, es gehöre leider zur Wahrheit, daß „einige, die schon immer hier lebten“, nicht integriert seien. „Da sagen wir: So nicht“, ruft die CDU-Chefin unter dem donnernden Applaus der Delegierten. Noch eine Breitseite erhält die Pegida-Bewegung von ihr, ohne daß sie den Namen in den Mund nimmt. „Wer das Volk ist, das bestimmen immer noch wir alleine, nicht ein paar wenige und mögen sie noch so laut sein.“ Lang anhaltender Beifall, der erneut aufkommt, als Merkel verkündet: „ Wir haben die Aufgabe, so stark zu sein, daß Rot-Rot-Grün verhindert wird.“ 

Doch was vordergründig souverän und abgeklärt wirkt, hatte intern mit mehreren Zugeständnissen Merkels an einen konservativeren Kurs der Union begonnen. So wurde das Positionspapier zur Zuwanderungspolitik noch einmal deutlich verschärft. Und auch in der Steuerpolitik wollen die Christdemokraten jetzt „grundsätzlich“ nach 2017 keine Erhöhungen einfordern. 

„Du mußt, du mußt, du mußt antreten“, habe man sie bezüglich einer Kandidatur angefleht, erzählt Merkel. In Umkehrung dieses Satzes appelliert sie an die Delegierten: „Ihr müßt, ihr müßt, ihr müßt mir helfen.“ Wieder länger Beifall, der schon zu diesem Zeitpunkt deutlich macht, daß die Kanzlerin bei ihrer Wahl mit einer breiten Unterstützung rechnen kann. „Ich habe euch auch einiges zugemutet“, gesteht sie. Und: „Auch in Zukunft werde ich euch einiges zumuten müssen.“ Die Delegierten stört auch das nicht, quittieren Merkels Rede mit minutenlangem Beifall. 

Nur wenige finden den Mut, nach ihrer Rede demonstrativ sitzen zu bleiben. Sie wirken verloren zwischen den nicht enden wollenden rhythmischen Klatschern, die angesichts der Stimmung im Land fast schon etwas Surreales an sich haben. Doch der Eindruck täuscht. Merkel erhält bei ihrer Wiederwahl zur Parteivorsitzenden von den Delegierten dem großen Beifall zum Trotz einen überraschenden Dämpfer. Nur 89,5 Prozent votieren für sie. Es ist ihr zweitschlechtestes Ergebnis als Parteivorsitzende überhaupt. Vor zwei Jahren waren es noch 97 Prozent Zustimmung für die Kanzlerin gewesen. Auch bei der Aussprache zum Bericht der Vorsitzenden kamen durchaus kritische Töne auf. Aber da hatte schon die große Mehrheit der Delegierten das Plenum verlassen. 

Noch deutlich schärfer fallen die Stimmen an der Basis aus. Als Angela Merkel vergangene Woche auf der CDU-Regionalkonferenz in Jena sich zum wiederholten Mal auf offener Bühne von Immigranten feiern und umarmen läßt, wird es einem Mitglied zuviel. „Ich finde diese PR-Aktion hier gänzlich daneben. Was Sie hier betreiben ist Personenkult. Wir sind hier nicht in der SED“, greift der Mann die Kanzlerin direkt an. Als er weiterreden will, fällt ihm die Kanzlerin ins Wort, weist den Vorwurf einer PR-Aktion ungewöhnlich scharf zurück. Sie habe beispielsweise eine Gruppe afghanischer Immigranten ganz bewußt vor ihrer Rede empfangen, um dem Eindruck einer parteipolitischen Inszenierung entgegenzutreten, stellt sie klar.

Eine Aussage, die das Parteimitglied jedoch nicht milder stimmt. Die CDU sei zu einer immer sozialdemokratischeren und grüneren Partei geworden. „Und das liegt hauptsächlich an Ihnen, Frau Merkel“, kritisiert er die Vorsitzende, die er für einen „überhasteten Atomausstieg“, eine „verfehlte Euro-Rettungspolitik“ und die „katastrophale Immigrationspolitik“ verantwortlich macht. „Sie ruinieren damit unsere ehemals große Partei, die Partei Adenauers und Kohls.“ Auch für den Aufstieg der AfD sieht der Christdemokrat die Schuld bei der Kanzlerin. „Sie haben die AfD regelrecht gezüchtet. Ohne ihre Politik wären die jetzt nicht dermaßen hoch.“ Merkel habe den „Niedergang“ der CDU herbeigeführt. „Sie sind die Nemesis unserer ehemals großen Christlich Demokratischen Union Deutschlands.“

Zuletzt fordert er das, was auch einige andere im Saal denken, aber nicht auszusprechen wagen. „Geben Sie der CDU eine Chance zur konservativen Regeneration und treten Sie zurück als Kanzlerin und CDU-Chefin, verlassen Sie unsere Partei.“ Die Buh-Rufe der Mehrheit im Saal lassen nicht lange auf sich warten. Doch der Mann ist nicht der einzige, der scharfe Kritik an der Kanzlerin übt. 

„Auch wenn Sie es nicht gern hören: Ich bezeichne mich als Deutscher“, beginnt ein Parteimitglied aus dem Kreisverband Jena seinen Wortbeitrag. Leichter, zaghafter Applaus brandet in einigen Ecken des Jenaer Volkshauses auf, der wiederum mit empörten und strafenden Blicken anderer „Parteifreunde“ quittiert wird. 

Jeden Verdacht einer        Inszenierung vermeiden 

„Ich lehne strikt ab, daß Sie dekretieren wollen, was zu Deutschland gehört. Das bestimmen nach meiner Auffassung die Bürger dieses Landes.“ Erneut brandet Beifall auf, nun schon etwas stärker. Merkels Zuwanderungspolitik habe auch einen „fatalen Einfluß auf die Brexit-Entscheidung“ gehabt, „weil viele Briten ein Überschwappen der Flüchtlingswelle nach Großbritannien befürchteten.“ Kurz zuvor hatte die Kanzlerin in ihrer Rede betont: „Jeder einzelne Mensch bei uns ist das Volk.“

Für das Parteimitglied aus Jena zuviel des Guten. Parallel zu Merkels Nominierung werde er der CDU den Rücken kehren. „Ich wäre dann wegen Helmut Kohls Politik in die CDU eingetreten und wegen ihrer Politik aus der CDU ausgetreten.“ Der Beifall wird noch stärker.  Ein anderes Mitglied appelliert an die Kanzlerin: „Bitte werfen Sie nicht alle konservativen Werte auf den Misthaufen der Grünen.“ Merkel habe 2015 das Dublin-Abkommen verletzt, bemängelt ein anderer, der für die umgehende Einrichtung von Transitzonen an den Außengrenzen plädiert. „Die Balkan-Staaten haben uns gerettet und nicht die Bundesregierung.“

Mit dem Vorsitzenden des Thüringer Wirtschaftsrats Mihajlo Kolakovic übt auch ein Funktionär Kritik an der CDU-Chefin. „Ich bin nicht in die CDU eingetreten, um die Soziale Marktwirtschaft zurückzudrehen. Ich bin nicht eingetreten, um Kontrollverlust an den Grenzen zu moderieren.“ Es werde ihm schwerfallen, auf Marktplätzen Merkels Positionen zu vertreten. 

Merkel erträgt die Kritik, bleibt mit stoischer Ruhe auf dem Podium sitzen. Nur selten schaut sie auf und blickt ins Plenum. Ganze 45 Minuten dauert es, bis sich erste Funktionäre erheben, um die Kanzlerin zu verteidigen. Allen voran der thüringische CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring. „Was ist denn die Alternative? Dann gibt es Rot-Rot-Grün. Und wir haben keinen Bock auf Rot-Rot-Grün“, ruft er unter dem Beifall der Zuhörer, unter denen sich auch zahlreiche Zuwanderer befinden. Ein Punkt, den einige monieren. Schließlich sei die Regionalkonferenz doch für die Mitglieder, die Basis der Partei gedacht. 

Ein Funktionär meldet sich zu Wort, verteidigt die Anwesenheit der Migranten. „Die wurden hierher eingeladen.“ Von wem, sagt der Politiker nicht. Etwa von der Parteiführung? Gesten der Kanzlerin in Richtung des Redners, es mit seinem Beitrag jetzt bewenden zu lassen. Die Kanzlerin möchte jeden leisen Verdacht einer möglichen Inszenierung durch die Parteiführung vermeiden. Was nicht ganz funktioniert, als sich ein syrischer Zuwanderer zu Wort meldet, um ein Pro-Merkel-Plädoyer zu halten. Auf seinem blau-weiß karierten Hemd ist deutlich der Schriftzug „Ordner“ zu lesen. Schützenhilfe aus dem Organisationsteam der Partei? 

Und auch die im Plenum mit sitzenden und der Kanzlerin stark applaudierenden Zuwanderer sorgen für ein etwas schiefes Stimmungsbild der CDU-Basis.