© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Der Flaneur
„Aber ich hab’s gesehen“
Claus-M. Wolfschlag

Hallo, meine Karre steht nicht im Halteverbot. Und die Parkscheibe ist auch richtig eingestellt“, rufe ich. Ich eile im leichten Regen auf den hageren Hilfspolizisten zu. „Tja, da mögen sie wohl recht haben. Aber da ist ein anderes Problem“, sagt er gewichtig, während er unbeeindruckt ein Foto von dem Fahrzeug schießt. „Klar, die Pleite-Stadt braucht Geld, und du mußt deine Quoten erfüllen“, denke ich.

Ich frage mich, ob es der gleiche Ordnungsamtsmitarbeiter ist, der meinen Wagen eine Woche zuvor nachts abschleppen ließ. Wer findet denn abends noch reguläre Stellplätze in der Stadt? Auf jeder Freifläche werden neue Wohnblöcke hochgezogen, aber kaum neue Parkplätze geschaffen. Parkhausgebühren steigen ins Unbezahlbare. Und die Ordnungsamtsmitarbeiter schwirren wie Stechmücken in der schwülen Sommernacht durch die Straßen auf der Suche nach Beute für den fahrradvernarrten Oberbürgermeister.

„Was? Ich habe doch die grüne Feinstaubplakette an der Windschutz­scheibe!“

„Verstoß gegen das Verbot zur Verminderung schädlicher Luftverunreinigungen. Hier ist eine Umweltzone. Mit 55 Euro dürfen Sie rechnen“, sagt der Hilfspolizist. „Was? Das Auto erfüllt die Norm. Das ist doch kein alter Diesellaster. Und ich hab’ doch die grüne Feinstaubplakette an der Windschutzscheibe“, rufe ich. Ich überlege, ob ich ihm sagen soll, daß nur ein Bruchteil des Feinstaubs von Personenkraftwagen-Abgasen stammt. Ich lasse es. „Aber der Eintrag auf der Plakette ist unkorrekt. Das örtliche Unterscheidungszeichen vor der Erkennungsnummer ist nicht eingetragen“, sagt er.

Ich schaue genau hin: „So hat mir das die Werkstatt an die Scheibe geklebt. Denen vertraue ich, da die das täglich machen. Und auf der Plakette ist ja das Siegel der Stadt abgebildet. Somit erschließt sich die Ortszugehörigkeit doch automatisch.“ „Ist trotzdem nicht korrekt“, meint er. „Weder bei Polizeikontrollen noch beim TÜV hat irgend jemand das gesehen und bemängelt“, rufe ich. Er grinst verschmitzt und hebt den Zeigefinger: „Tja, aber ich hab’s gesehen.“