© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Zur erneuten Kanzlerkandidatur Angela Merkels
Nichts als die Macht
Markus Brandstetter

Angela Merkel hat in wenigen Jahren die CDU politisch so weit nach links geführt, daß diese einst christlich-konservative Volkspartei sich heute von den Grünen kaum mehr unterscheidet. Dieser Kurswechsel läßt sich an vier Großentscheidungen festmachen: dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Energiewende; der Abschaffung der Wehrpflicht; der „Rettung Griechenlands“ und der Durchfinanzierung der Eurokrise sowie der Asyl- und Flüchtlingspolitik.

Keine dieser Entscheidungen wäre mit der CDU Helmut Kohls möglich gewesen, ja nicht einmal mit der SPD Gerhard Schröders, während es den Grünen mit der CDU inzwischen so geht wie dem Hasen mit dem Igel: überall, wo sie hinkommen, ist Merkel schon da. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine große politische Partei ihren Kurs so dermaßen fundamental geändert. Keine der großen Volksparteien hat sich jemals so rasch, so radikal und so weit von ihrer Wählerbasis entfernt, noch hat je eine Partei so viele Entscheidungen getroffen, für die sie vom Wähler nie ein Mandat erhalten hatte. Angela Merkel, so viel ist klar, ist für das Gros dieser Entscheidungen alleine verantwortlich und hat diese im kleinsten Beraterkreis ohne Rückkoppelung mit den Führungsgremien der CDU getroffen – von Sondierungen an der Parteibasis oder Absprachen mit der Schwesterpartei CSU ganz zu schweigen.

Wie ist so etwas möglich? Wie konnte es der Regierungschefin eines der wichtigsten Länder der Welt gelingen, Partei, Staat und Gesellschaft in eine Richtung zu lenken, die die meisten Bürger ablehnen? Und warum hat Merkel diesen Schwenk überhaupt vollzogen?

Fangen wir mit dem Warum an. Die Gründe für den Linksschwenk der CDU liegen in letzter Instanz im Linksruck der Leitmedien, von Universitäten, Gerichten, Verwaltung und ganz allgemein der Meinungsführer, der sich seit 1990 vollzogen hat. In den achtziger und neunziger Jahren sind Menschen, die politisch von der Achtundsechziger-Bewegung geprägt waren, in Medien, Schulen, Universitäten, Justiz, Verwaltung, Politik und sogar in Militär und Polizei in Führungspositionen aufgestiegen. Einmal in Amt und Würden, haben sie den öffentlichen Diskurs weit nach links gedreht und ihre politischen Ansichten in Büchern, Fernseh- und Rundfunkbeiträgen, Lehrplänen, Forschungsvorhaben, Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und Gerichtsurteilen festbetoniert. Der Ausstieg aus der Kernenergie, die Abschaffung von Wehrpflicht und Hauptschule, die faktische Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe zwischen Mann und Frau, die Infragestellung der biologischen Geschlechter durch die Gender-Theorie, die Aufnahme von immer mehr Staaten in die EU und ihre De-facto-Integration in einen Superstaat – alles Positionen, die vor 1990 so nur von den Grünen und der linken SPD vertreten worden waren – rückten nach 1990 in die Mitte der gesellschaftlichen Diskussion, obwohl sie von der Mehrheit der Bürger nie geteilt wurden.

Noch die Angela Merkel von 2005 hätte derartige Aussagen nie öffentlich unterschrieben, auch wenn sie im Innersten, wie ihr erster Biograph Gerd Langguth schreibt, schon seit dem Untergang der DDR links-grün denkt. Dies hat sie ihrem politischen Ziehvater Helmut Kohl natürlich sorgfältig verborgen, was ihr leichtfiel, weil Merkel keine von Werten geleitete Strategin, sondern eine flexible Taktikerin ist, die sich an ihre Umgebung anpaßt wie ein Chamäleon.

Warum unternimmt eine naturwissenschaftlich gebildete Politikerin, die sich gern als kühle Rationalistin präsentiert, dergleichen? Existiert in Merkels Kopf hinter all den bizarren und erratischen Entscheidungen so etwas wie ein Masterplan?

Wie wenig Merkel sich um vermeintlich felsenfest stehende Aussagen ihrer Partei kümmert, zeigte sich im März 2011, als sie nach der Havarie im japanischen Kernkraftwerk Fuku­shima schlagartig den Ausstieg aus der Kernenergie verkündete – obwohl sie noch im Oktober 2010 die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängert hatte. Ebenso handstreichartig kamen im Jahr 2011 die Finanzierung der Griechenland-Kredite und die immer wieder aufgestockte Haftung für Schulden anderer EU-Länder, nachdem die Kanzlerin noch 2010 Finanzhilfen für Griechenland ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Den Höhepunkt der Winkelzüge bildete schließlich der Coup vom 5. September 2015, als Merkel ohne Konsultation des Bundestages beschloß, Flüchtlinge zu Hunderttausenden ohne Registrierung und Prüfung des Asylanspruchs nach Deutschland einreisen zu lassen.

Diese Entscheidungen zeigen, daß Merkel einsam, selbstherrlich und losgelöst von der Parteibasis Politik gegen die eigenen Bürger macht – eine Politik, die im Fall der „Rettung Griechenlands“ und der Öffnung der Grenzen noch nicht einmal demokratisch legitimiert war, da der Bundestag dazu immer erst post festum befragt und uneinsichtige Abgeordnete, die nicht gleich dafür waren, durch Fraktionszwang so lange gegängelt wurden, bis sie schließlich zustimmten. 

Warum unternimmt eine intelligente und naturwissenschaftlich gebildete Politikerin, die sich gern als kühle Rationalistin präsentiert, so etwas? Existiert in Merkels Kopf hinter all diesen bizarren und erratischen Entscheidungen, die die Zukunft Deutschlands und der EU auf Jahrzehnte in Mitleidenschaft ziehen werden, vielleicht so etwas wie ein Masterplan?

Ein solcher läßt sich tatsächlich rekonstruieren: Merkel muß vor Jahren schon den Entschluß gefaßt haben, die CDU weit nach links zu führen, in der Absicht, die SPD und den Realo-Flügel der Grünen um ihre Stammwähler zu bringen. Merkel hatte erkannt, daß eine links-grüne CDU die SPD brachial aus der politischen Mitte heraushebeln und sie immer weiter an den linken Rand drängen würde, wo sie dann gegen die Linke um ihr politisches Überleben kämpfen müßte. Das in der Mitte entstehende Machtvakuum würde dann von einer breit aufgestellten CDU ausgefüllt, die von konservativ-light über sozial­demokratisch bis ökologisch-multikulti alles im Angebot hätte. Das grandiose Endziel war es, die CDU zur einzigen großen Volkspartei zu machen, welche das Land auf Jahre und Jahrzehnte regieren würde. Soweit der Plan. 

Nun muß eine solche massive tektonische Plattenverschiebung in der Politik, weil sie Geschichte, Tradition und Inhalten der CDU vollkommen zuwiderläuft, Partei und Bürgern in Form großer, unumkehrbarer, sprich „alternativloser“ Taten präsentiert werden. Genau aus diesem Grund mußten Aktionen her, die jedem zeigen: die CDU ist ab jetzt links und grün – und das läßt sich nie mehr rückgängig machen. Der Ausstieg aus der Kernenergie, die Energiewende und die Öffnung der Grenzen am 5. September 2015 sind genau solche Aktionen – verheerende Lawinen, die nicht aus Sachgründen losgetreten wurden, sondern allein deshalb, um den neuen Kurs der Partei irreversibel festzulegen. 

In Gang setzen konnte diesen Kurswechsel in der CDU allein Angela Merkel, denn nur sie verfügt über die machiavellistische Prinzipienlosigkeit, die für eine solche Revolution von oben notwendig ist. Im berühmten 18. Kapitel seiner Schrift „Il Principe“ schreibt Machiavelli, daß ein Fürst – lies: Politiker – nicht ehrlich sein, sondern nur ehrlich scheinen müsse, weshalb er gegen Treu und Glauben, Menschlichkeit und Religion verstoßen dürfe, wenn dies erforderlich sei, um Macht und Stellung zu behaupten. Keine andere Aussage charakterisiert Merkels politisches Handeln besser. Merkel, das haben die letzten fünf Jahre gezeigt, steht in Wirklichkeit für gar nichts außer für den Willen zur Macht, weshalb alles mit ihr möglich ist.

Seit jeher gibt es zwei Arten von Politikern: Die, die es ernst meinen und einigermaßen ehrlich sind. Und die, welche für alles offen sind, weil ihnen Überzeugungen fremd, Prinzipien lästig und Parteiprogramme gleichgültig sind. Zu den Ehrlichen gehören Woodrow Wilson, Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy, Charles de Gaulle, Bruno Kreisky, Helmut Schmidt und Margaret Thatcher. Zu den Unehrlichen Richard Nixon, François Mitterand, Giulio Andreotti, Bill Clinton, Tony Blair, Hillary Clinton – und Merkel. Alle Politiker wollen Macht, aber die Ehrlichen wollen sie deshalb, um damit politische Ziele zu erreichen, während die Unehrlichen einzig und allein deshalb Politiker geworden sind, um Ansehen, Status, Macht und Geld zu erlangen.

Merkels wertefreie Machtpolitik hat Deutschland Probleme eingebrockt, die es ohne sie nicht gegeben hätte. Der Linksruck der CDU ist unabänderlich und wird dazu führen, daß es in Parlamenten zukünftig immer seltener stabile Mehrheiten geben wird.

Diese Unterscheidung erklärt, warum Merkel so oft passiv-abwartend erscheint, Entscheidungen oft wochen- und monatelang hinauszögert und sie dann nur mit Schlagworten („alternativlos“) begründet oder nonchalantem Unsinn wie dem hier: „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da.“ Wer so Politik macht, wirkt auf andere unberechenbar, chaotisch und gefährlich.

Heute steht Merkel vor den Trümmern ihrer Politik. Die Energiewende ist gescheitert; nur neun Prozent des deutschen Stroms werden mit erneuerbaren Energien erzeugt, der Löwenanteil kommt nach wie vor aus Kern- und Kohlekraft (statista.de, Nettostromerzeugung nach ausgewählten Energieträgern). Dafür haben sich die Strompreise in den letzten 15 Jahren verdoppelt (statista.de, Index zur Entwicklung des Strompreises für Haushalte), und Land und Meer sind von Windrädern verschandelt. Trotz jahre­langer Nullzinspolitik der EZB und obwohl Deutschland für 533 Milliarden Euro an EU-Rettungsmaßnahmen haftet, ist quer durch die EU die Arbeitslosigkeit so hoch und das Wachstum so niedrig wie noch nie.

Durch den ungebremsten Zustrom von Flüchtlingen sind Millionen Menschen nach Deutschland gekommen, die aufgrund von Religion, Kultur und schlechter Ausbildung weder den Willen noch die Chance haben, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, weshalb die meisten von ihnen auf Jahrzehnte von staatlichen Transferzahlungen abhängig sein werden. Die CDU, die Merkel in eine strahlend grüne Multikulti-Zukunft führen wollte, kassiert bei Landtagswahlen eine Schlappe nach der anderen und kommt in Umfragen auf die schlechtesten Werte seit ihrer Gründung.

Merkel ist, da sie mit Parteibasis und Wählern keinen Kontakt hat, auf den quasi-offiziellen linksgrünen Diskurs der Leitmedien hereingefallen. Dadurch ist ihr entgangen, daß, wie jüngste Analysen des Allensbach-Instituts zeigen, drei Viertel der Deutschen die Durchsetzung einer deutschen Leitkultur wünschen (FAZ, 22. September 2016). Deutsch sein ist für die Mehrheit der Bürger nicht eine Frage des Passes, sondern von Muttersprache, gewachsener Kultur und gemeinsamer Herkunft. Merkel hat die ARD-Nachrichten mit der Wirklichkeit verwechselt und geglaubt, sie könne die Mitte der Gesellschaft weit nach links rücken, ohne zu begreifen, daß die Mitte jeder Gesellschaft konservativ und beharrlich ist und die erdbebenartige Veränderung ihrer Lebensverhältnisse von oben nicht mag.

Merkels große Rechnung ist nicht aufgegangen. Ihre wertefreie Machtpolitik hat Deutschland und der EU auf Jahrzehnte Probleme eingebrockt, die es ohne sie nicht gegeben hätte. Der Linksruck der CDU ist unabänderlich und wird dazu führen, daß es in Landtagen wie im Bundestag zukünftig immer seltener stabile Mehrheiten und immer öfter Koalitionen entweder aus SPD, Linkspartei und Grünen oder CDU und Grünen geben wird. Die konservativ-bürgerliche Mitte, ehemals die Stammklientel der CDU, wird ihre Interessen und Meinungen von diesen Koalitionen immer seltener vertreten sehen, was der AfD – und eingeschränkt auch der FDP – zukünftig robuste Wahlergebnisse bescheren wird. 

Jetzt hat Merkel angekündigt, bei der Bundestagswahl 2017 wieder für die Kanzlerschaft zu kandidieren. Eine vierte Amtsperiode würde mehr Asylanten, mehr Kriminalität und vier weitere Jahre Machtpolitik gegen die eigenen Bürger bedeuten. Die Bürger sollten das verhindern.






Markus Brandstetter, Jahrgang 1961, arbeitet als Coach und Finanzspezialist in der Mittelstandsberatung. Er ist Autor eines Buches über Kreditsicherheiten. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den deutschen Mittelstand („Einzigartig in der Welt“, JF 28/16).

Foto: Chamäleon Merkel: Die einst christlich-konservative CDU hat die Machiavellistin aus der DDR in eine Partei verwandelt, die sich von den Grünen kaum mehr unterscheidet