© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Selbstverschuldete Unmündigkeit
Grenzenlos angepaßt: Der Semperopernball 2017 steht im Zeichen der unbegrenzten Massenzuwanderung
Markus Scheffer

Am 3. Februar 2017 soll der 12. Semperopernball in Dresden stattfinden, moderiert von dem Modedesigner Guido Maria Kretschmer. In einer Presseinformation des Veranstalters heißt es, das Geschehen vorwegnehmend: „Nach der farbenprächtigsten Nacht seiner Geschichte läßt der 12. Ball Dresden erstrahlen.“ Daher wolle man zu diesem Ereignis ein besonderes Signal senden: „Dresden ist ein Ort der Freude, des Feierns, eine weltoffene Stadt.“ Ganz bewußt habe man daher, so der künstlerische Leiter und 1. Vorsitzende des Balls, Hans-Joachim Frey, das Motto gewählt: „Dresden strahlt – grenzenlos in alle Welt.“ Die 2. Vorsitzende des Balls, die frühere Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz, liefert einen passenden Kommentar: Das Motto verbinde das weltweit Einmalige und ganz Besondere des Balls mit dem Ziel, „durch den Opernball Brücken zu bauen und Dresden von seiner sympathischen, offenen Seite zu zeigen“. Die Presse ist begeistert. Wie schon in der Vergangenheit, so die Sächsische Zeitung, kreiere Frey nach allen Regeln der Kunst „ein Kaleidoskop der Kulturen“: Je mehr Nationen unter einem Dach, desto besser.

Ob die Veranstalter bei einem solchen Anspruch wohl ein nennenswertes Kartenkontingent – und zwar nicht nur Flanierkarten (ab ca. 23 Uhr, nach dem Eröffnungsprogramm) oder für Sitzplätze in den Nebensälen und im 4. Rang  – für die zahlreichen Neuankömmlinge aus aller Welt zwecks kultureller Teilhabe vorhalten, selbstverständlich kostenfrei? Sollte dies unbegreiflicherweise versäumt worden sein, hier eine dringende Bitte an alle Karteninhaber: Setzen Sie wenigsten ein ganz „besonderes Signal“ und teilen. Geschenkte Freude ist doppelte Freude und Dresden würde strahlen.

Was treibt gebildete Menschen dazu, sich bei den Mächtigen wie zu Zeiten des Obrigkeitsstaats anzudienen? Schon im vorigen und in diesem Jahr ist Merkels Staatsdoktrin der offenen Grenzen thematisch aufgegriffen worden. 2015: „Dresden jubelt und heißt die Welt willkommen.“ 2016: „Dresden schillert – Der Ball ist bunt.“ Die Folgen unbegrenzter Masseneinwanderung für unsere Sozialsysteme, die innere Sicherheit und Ordnung sowie den Zusammenhalt der Gesellschaft scheinen die Veranstalter nicht zu interessieren. Oder schauen sie nur weg?

Über den Charakter der Deutschen

Was hier zum Vorschein kommt, ist eine antikritische Mentalität, die mit Geschäftsinteressen allein nicht zu erklären ist. Wenn auch rechtsstaatlich gefesselt, so bleibt der Leviathan seinem Wesen nach doch ein Ungeheuer, welches wachsamer Kontrolle und kritischer Einstellung seiner Bürger bedarf. Fehlt es daran, nimmt die Demokratie, zu deren Wesensmerkmal die Kritik gehört, empfindlich Schaden.

Was sind die Ursachen gesellschaftlicher Selbstentmündigung? In dem 1810 entstandenen Buch „De l’Allemagne“ von Madame de Staël finden sich hierzu Sätze von erfrischender Aktualität. So heißt es im Kapitel „Über die Sitten und den Charakter der Deutschen“, daß bei ihnen die Liebe zur Freiheit nicht entwickelt sei. Sie „möchten, daß ihnen in Bezug auf ihr Verhalten jeder einzelne Punkt vorgeschrieben werde (…) Und je weniger man ihnen Gelegenheit gibt, selbständig einen Entschluß zu fassen, um so zufriedener sind sie (…) Daher kommt es denn, daß sie die größte Gedankenkühnheit mit dem untertänigsten Charakter vereinen.“ Und im Kapitel „Über den Einfluß der neuen Philosophie auf den Charakter der Deutschen“ steht wenig schmeichelhaft: „Sie sind als Privatleute, als Familienväter, als Beamte tugendhaft und von unbestechlicher Redlichkeit; ihr gefälliger und zuvorkommender Diensteifer gegen die Macht aber schmerzt, besonders wenn man sie liebt ...“ Nicht ohne Spott bemerkt die Autorin, daß sich die Deutschen „philosophischer Gründe bedienen, um das auseinanderzusetzen, was am wenigsten philosophisch ist: die Achtung vor der Macht und die Weichherzigkeit der Furcht, die diese Achtung in Begeisterung verwandelt.“

Nicht von ungefähr beklagte der Rechtsphilosoph Johann Braun eine im deutschen Volksgemüt bis heute tief verwurzelte Untertanenmentalität. Der typische Deutsche, so heißt es in seinem Werk „Wahn und Wirklichkeit“, zeichne sich dadurch aus, daß er sich bei jedem Wort umsehe, ob er nichts Falsches gesagt habe. Wenn er nicht sicher sei, ob die anderen auch seiner Meinung sind, bringe er Entschuldigungen vor und verwahre sich gegen mögliche Mißverständnisse, bis es geradezu peinlich sei. Brauns Resümee: „Er ist ein Feigling ohne Zivilcourage, der seine Unmündigkeit selbst verschuldet hat.“ Auf dem Weg in die geschlossene Gesellschaft entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, daß der jährlich verliehene „Dresdner St. Georgs Orden des Semperopernballs“ den Wahlspruch „Adverso Flumine“ („Gegen den Strom“) trägt.

Tröstlich ist, daß die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit ein Herz für Dresden hat. Ihr dürfte es zu verdanken sein, daß dieses Gemeinwesen mittlerweile jeden Montag zu Deutschlands Hauptstadt der wahrgenommenen Grundrechte geworden ist. Insoweit strahlt Dresden tatsächlich. 






Dr. Markus Scheffer ist Richter am Verwaltungsgericht Dresden.