© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Pankraz,
Ch. Chaplin und das Ende des Fließbands

Audi schafft das Fließband ab.“ Das war eine der frühesten Meldungen, die am vergangenem Sonntag, dem ersten Advent dieses Jahres, durch die Kanäle liefen. Doch es war keineswegs die am meisten beachtete. Sie versank im Laufe des Tages buchstäblich im Gewühl der übrigen, angeblich aktuelleren Nachrichten, Lufthansa-Streik, Fillon contra Juppé und, und, und. Niemandem  schien die wahrhaft historische Dimension des Ereignisses aufzufallen, geschweige denn daß es irgend jemand aufregte. Man ging, wie es so schön heißt, zur Tagesordnung über.

Einen kleinen Augenblick, findet Pankraz, sollte man aber wirklich innehalten, um sich zu erinnern. Fließband? Das war ja ein wahrhaftes Epochenwort und Epochenbild aus dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, nicht nur Bezeichnung eines neuen technischen Geräts, sondern von Anfang an gewaltiges Symbol für die arbeitstechnische Revolution insgesamt, für „Scientific Management“, die „Verwissenschaftlichung“ des Arbeitsprozesses, wie sie der amerikanische Unternehmer Frederick Taylor schon im neunzehnten Jahrhundert unermüdlich gepredigt hatte.

Als Henry Ford 1913 zur Herstellung seines legendären T-Modells in Detroit das erste Fließband einrichten ließ, sprach man vom „Sieg des Taylorismus“ in der industriellen Massenproduktion. Das bedeutete: Das Fließband ersetzte die Menschen nicht durch Roboter, sondern machte sie selber zu Robotern, wenigstens teilweise. Das Fließband führte die einzelnen Maschinenteile kontinuierlich an den Arbeiter heran, dieser verrichtete in einer vorgeschriebenen Zeitspanne gewisse vorgeschriebene Zusammensetz- und andere Arbeiten an dem Produkt, und das Band beförderte es weiter an den nächsten Arbeiter.


Natürlich war das Fließband im Vergleich zu früheren Methoden sehr effizient und bewährte sich vor allem bei der Organisation und Entfaltung von moderner Massenproduktion. Es ließ sich hier und da auch durchaus „humanisieren“, garantierte Betriebssicherheit, war umweltfreundlich und gewährte, wenn man es konstruktionsmäßig darauf anlegte, auch Atempausen und gelassenes Arbeitsklima. An seinem grundsätzlichen Roboterhabitus jedoch änderte das nichts, es entmündigte den Arbeiter letzten Endes und ersetzte ihn über weite Strecken. Es blieb ein Monstrum – und bekam es zu spüren.

Literatur und Kunst haben es von Anfang an gehaßt und ihm so manche bittere Erzählung gewidmet. Das furioseste Stück war zweifellos Charlie Chaplins Film „Modern Times“ von 1936, an den man noch heute sofort denkt, wenn das Wort „Fließband“ fällt. Zu sehen ist der typische „Tramp“ Charlie mit dem Wackelgang, wie er als Arbeiter am Band steht und schon erste Mühen zeigt, mit der Automatik und Gleichförmigkeit, die sein neues Beschäftigungsfeld erfordert, zurechtzukommen. 

Bei einer Essenspause kommt ein Ingenieurteam, um eine Erfindung auszuprobieren, welche die Arbeiter automatisiert füttern soll, um so Pausenzeit einzusparen. Charlie wird als Testperson auserkoren. Anfangs läuft die Apparatur noch wie vorgesehen, gerät aber außer Kontrolle, und der Test wird abgebrochen. Charlie setzt seine bisherige Arbeit am Fließband fort, doch plötzlich beginnt der Fütterungs-Klapperatismus wieder zu funktionieren, mit dramatischen und brüllend komischen Folgen. 

Die Arbeit, die am Band zu verrichten ist, besteht zwar nur darin, an zwei Schrauben gleichzeitig zu drehen, doch offenbar durch das hohe Fertigungstempo angeregt, beginnt Charlie auch wieder zu kauen und zu schlucken, und er gerät vor Schreck darüber ins Getriebe des Fließbands selbst. Dort macht er sich ebenfalls an den dortigen Schrauben zu schaffen und dreht schließlich völlig durch. Er hüpft wieder aus dem Gestell des Bands heraus und rennt – immer noch mit den beiden Schraubenziehern in den Händen – wie berückt hinter der Chefsekretärin des Unternehmens her, die gerade nach Hause gehen will.


Sie trägt nämlich große Knöpfe à la mode hinten auf ihrer Jacke, und die will der verrückt gewordene Charlie mit seinen Schraubenziehern nun fester anziehen. Wild schraubend auf der Straße angelangt, lenken ihn allerdings die dicken Schrauben eines Straßenhydranten von der Frau ab. Jetzt geht’s also an den Hydranten. Aber dann kommt ein Mädchen vorbei, das ebenfalls die großen modischen Knöpfe auf der Jacke trägt. Doch bevor sich Charlie auf sie stürzen kann, taucht die Polizei auf, und der Tramp flüchtet sich eilig zurück in die Fabrik an sein Fließband. Dort liegt seine Bestimmung. Dort ist er zu Hause.

Charlie Chaplin hat nach der Premiere von „Modern Times“, als die Filmkritiker und die Ideologen kamen und ihn für ihre Zwecke vereinnahmen wollten, scharf ablehnend reagiert. Sein Film sei kein Manifest für irgendwen, sondern allenfalls ein Zeitgemälde, vor allem aber ein Akrobatenstück und der Beweis, wie herrlich unterhaltsam und gleichzeitig Nachdenken stiftend solche Stücke sein können. Er hatte damit nur allzu recht. Die Szenen mit dem Schrauben ziehenden Charlie im Fließbandgetriebe sind ungeheuer gelungen und übertreffen bei weitem alles, was damit gemeint sein könnte.

Übrigens, was will denn Audi an die Stelle seiner abgeschalteten Fließbänder setzen? Die Rede ist von stationären „Produktionsinseln“, auf denen die Arbeiter und Ingenieure völlig selbständig über die Organisation ihrer Arbeit entscheiden werden. Nur Roboter sollen künftig noch auf Bändern fahren, welche den Inselbewohnern die Arbeitsmaterialien überbringen.  Daß die Roboter eines Tages auch die Inseln besetzen könnten, sei völlig ausgeschlossen.

Es sei auch nicht so, daß die Fließbänder alten Stils abgestellt worden seien, „um die Würde der menschlichen Arbeiter zu schützen“. Autofabriken seien keine Klöster. Sie brauchten gerade heute Einfallsreichtum Erfindungskraft, hellsten Sinn für alles Neue. Roboter hätten  dergleichen nicht, nur gut ausgebildete Menschen.