© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Prämienerhöhungen gibt es bei den Versicherern nicht mehr
Wohlwollende Behutsamkeit
Georg Bernhard

Millionen Deutsche erhalten in diesen Tagen wieder Post von ihren Versicherungen. Wir sind ja ein eher ängstliches Volk, also sorgen wir mit 450 Millionen Policen rundum vor. Die saloppen Spanier leben versicherungskarg, kriegen dafür aber auch nicht Massenmailings der Assekuranz. Egal, wir sind doch allemal besser dran, mit unseren Brillen-, Handy-, Hochzeits- oder Sterbegeldversicherungen. In den Briefen liest der Kunde jetzt, daß gerade sein betagtes Auto gerne gestohlen werde, obgleich er es nur alle drei Monate wäscht. Auch eine Reisegepäckversicherung wird empfohlen, obwohl die selten zahlen muß.

Aber ganz gelassen bleiben, denn vor einer Preiserhöhung braucht sich kein Kunde mehr fürchten. Derlei Ungemach wurde von den deutschen Versicherungen großherzig abgeschafft. Stattdessen wird man nunmehr in der Regel mit Prämienanpassungen beglückt. Das klingt nach wohlwollender Behutsamkeit – selbst wenn es im Schnitt elf Prozent nach oben geht, wie bei sechs Millionen privat Krankenversicherten.

Die Psychologen kennen den Begriff der Anpassung. Er beschreibt einen Zustand, welcher die Bedürfnisse des Menschen einerseits mit den Aufgaben und Anforderungen der Umwelt, andererseits in harmonischen Einklang bringt. Dazu muß das Individuum indes eine Anpassungsleistung vollbringen, was ihm nicht immer leichtfällt. Daß einige gefühlskalte Versicherer inzwischen dazu neigen, uns den wärmenden Begriff Anpassung vorzuenthalten und nur mehr den neuen Betrag mitzuteilen – im Vertrauen darauf, daß wir vergessen haben, was die Haftpflicht- und Kaskoversicherung vergangenes Jahr kostete –, sollten wir ihnen natürlich nicht durchgehen lassen.

Dieser Tage fand ich zufällig eine alte vergilbte Versicherungsrechnung, in der von 0,50 Prozent Prämiensteigerung gesprochen wurde – wie rücksichtslos! Aber damals hießen Asylbewerber auch noch nicht Geflüchtete oder gar „neu zu uns Gekommene“.