© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Freie Märkte sind wirklich alternativlos
Finanzliteratur: Der Fondsmanager Thomas Kirchner verteidigt überzeugend den Kapitalismus / Energische Warnung vor den Folgen staatlicher Überregulierung
Christian Dorn

Kommendes Jahr wird nicht nur das fünfhundertjährige Reformationsjubiläum gefeiert, sondern auch Karl Marx’ Hauptwerk „Das Kapital“, welches vor 150 Jahren erstmals im Hamburger Verlag Otto Meissner erschien. Und seit der Weltfinanzkrise boomen wieder „Kapital“-Kurse im akademischen Milieu. Bonmots wie das Bertolt Brechts, daß die Gründung einer Bank ein ungleich größeres Verbrechen sei als ein Banküberfall, haben ihre Entsprechung im aktuellen Banken-Bashing.

Tatsächlich aber seien es die Banken, die den Wohlstand schaffen, so der einstige Chefvolkswirt der Deutschen Bank Thomas Mayer in seiner jüngsten FAS-Kolumne über die Weltwirtschaft. Gefährdet werde diese Funktion durch die Einflußnahme des Staates, vor allem über dessen eigene Zentralbank und die hierdurch verursachte Gelderzeugung. Eine umfassende libertäre Begründung, weshalb nicht nur marxistische, sondern auch die Konzepte des staatsgläubigen Liberalen Baron Keynes letztlich zumeist das Gegenteil ihres Ziels bewirken, gibt das Buch des New Yorker Investment-Bankers Thomas Kirchner.

Als Finanzmarkt-Pionier – Kirchner gründete 2003 mit den Pennsylvania Avenue Funds den ersten US-Publikumshedgefonds, der Sanierungen, Fusionen oder Übernahmen (Event-Driven-Strategie) zur Gewinnerzielung einsetzte – ist er zudem ein versierter Insider. Sein provokanter Titel „Alternativlos. Warum wir jetzt erst recht ungezügelte Finanzmärkte brauchen“ versammelt in 46 Kapiteln die derzeit gängigsten vermeintlichen Patentrezepte linker Wirtschafts- und Finanzpolitik, etwa zu den Themen Leerverkäufe, Verbriefungen, Rating-Agenturen, Trennbankensystem, Subprime-Hypotheken, Frauenquote in Dax-Konzernen, Währungsspekulation oder die deutschen Forderungen nach einer Vermögenssteuer. In ebenso knappen, gleichwohl verständlichen und betont sachlich gehaltenen Kapiteln hinterfragt Kirchner solche Theoreme, um sie zumeist überzeugend zu widerlegen.

Dabei räumt er als direkt Beteiligter bemerkenswert unaufgeregt mit zahlreichen Mythen, Medien-Enten und Mißverständnissen über die Arbeits- und Wirkungsweise internationaler Finanz­institute und ihrer Produkte auf – und dies in so exemplarischer Deutlichkeit, daß dieses Buch das Prädikat eines „neoliberalen“ Standardwerkes verdient.

Nur überbewertete Firmen fürchten Leerverkäufe

Im Mittelpunkt stehen hier die Ursachen der gegenwärtigen Krise, als deren Hauptschuldige der Autor inkompetente Politiker ausmacht, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden können. Wer die Finanzmärkte regeln will, sollte sinnvollerweise erst ihre Wirkungsweise verstehen. Dies macht Kirchners Darstellung zur Pflichtlektüre für jeden Finanzpolitiker und – nicht zuletzt – alle Wirtschafts- und Finanzjournalisten.

Dabei macht die Fülle der Beispiele eine Auswahl schwer. Zu nennen wäre etwa die von den EU-Eliten attackierte Volcker-Regel, der zufolge amerikanische Banken weniger europäische Staatsanleihen kauften. Tatsächlich sorgt diese Regel für eine Reduzierung der Risiken in US-Investmentbanken, da letzteren hierdurch Investitionen auf eigene Rechnung im Vergleich zu Kundengeschäften schwerer gemacht werden. Dahinter steht dieselbe Idee wie bei Verbriefungen, deren Zweck es ist, Risiken aller Art möglichst aus den Bilanzen der Banken verschwinden zu lassen, indem diese von echten Investoren gehalten werden. Bezeichnenderweise waren ausgerechnet deutsche Landesbanken am aktivsten daran beteiligt, durch Käufe verbriefte Hypothekenanleihen „in das Bankensystem zurückzubringen und dadurch die positiven Aspekte der Verbriefungen zunichte zu machen“.

Eine grundsätzlich positive Wirkung eigne ebenso Leerverkäufen, die im Prinzip nichts anderes seien als – etwa bei Ölfirmen und Stahlproduzenten – langfristige Lieferverträge. Leerverkäufe korrigierten idealerweise den falschen Marktwert der Aktie respektive des Unternehmens. Zudem hätten Leerverkäufe bei der Krise der Subprime-Hyotheken eine noch stärkere Überbewertung und noch höhere Verluste verhindert. Tatsächlich wirkten Leerverkäufe am Finanzmarkt also nicht, wie von Kritikern behauptet, destabilisierend, sondern sorgten für Stabilität, indem sie überbewertete Unternehmen auf vernünftige Kursniveaus zurückführen.

Dementsprechend fungierten Leerverkäufer als Detektive, die Betrügereien aufspüren. Es paßt freilich ins Bild der aktuellen Hysterie, Leerverkäufer mit Terroristen auf eine Stufe zu stellen, wie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, wo jedoch die Untersuchungen „ins Leere“ führten. Bereits im Ersten Weltkrieg, so Kirchner, schürten die USA die Angst vor deutschen Geheimagenten, die angeblich im Auftrag des Kaiser durch Leerverkäufe den Aktienmarkt zum Absturz bringen sollten. Doch statt Aktien zu kaufen, gingen die kaiserlichen Spione ihrem gelernten Handwerk nach, dem Ausspähen und der Sabotage von Häfen und Munitionsfabriken: „In den vier Kriegsjahren gingen über 50 erfolgreiche Sabotageakte auf ihr Konto. Und nicht ein einziger Leerverkauf.“

Darauf hinzuweisen ist nicht nur deshalb verdienstvoll, weil – wie der Chef der US-Wertpapieraufsicht SEC, Christopher Cox, 2008 darlegte – die Kosten eines Verbots von Leerverkäufen größer seien als die hierdurch zu erwartenden Vorteile. Ähnlich verhalte es sich bei der Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer (Tobin-Steuer), die gleichfalls kontraproduktive Wirkungen zeitige. So schätzt der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock die jährlichen Kosten der Transaktionssteuer auf 7,8 Prozent, „also mehr, als die Rendite hergibt“, so Kirchner lakonisch. Zudem schätzt die EU-Kommission, daß Finanztransaktionen durch die Steuer um 70 bis 90 abnehmen würden, da diese dann überwiegend im Raum außerhalb der EU abgewickelt würden. Warnendes Beispiel ist hier Schweden, wo die Volumina um 85 Prozent zurückgingen. Zugleich entgingen dem Staat dadurch „andere Einnahmen wie Steuern auf Gewinne der Makler und Liquiditätspfleger“.

Thomas Kirchner: Alternativlos. Warum wir jetzt erst recht ungezügelte Finanzmärkte brauchen. TvR Medienverlag, Jena 2016, 265 Seiten, Ebook, 9,99 Euro