© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/16 / 02. Dezember 2016

Placebo aus der Panzerschmiede
Innere Sicherheit: Weil Terroristen den Krieg nach Europa brachten, muß die Polizei immer stärker militarisiert werden / Kritik an Bundespolizei
Peter Möller / Christian vollradt

Die generalstabsmäßig geplanten islamistischen Anschläge vom 13. November 2015 in Paris haben tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur bei den Angehörigen der 130 Opfer und den Hunderten von Verletzten, sondern auch bei den Sicherheitsbehörden. Denn die mit Kalaschnikows bewaffneten Attentäter haben den Krieg im wahrsten Sinne des Wortes in die Stadt getragen. Für die Projektile der von ihnen verwendeten Sturmgewehre wären auch die Schutzwesten der deutschen Polizei, die nicht für den Schutz vor Kriegswaffen ausgelegt sind, kein Hindernis. Daher haben die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder die Pariser Anschläge sehr genau ausgewertet. 

Verbände müssen              sofort einsatzbereit sein 

Die Antwort der Hamburger Polizei, die Mitte November präsentiert wurde, wiegt zehn Tonnen, verfügt über schußsichere Reifen, Schießscharten und Tränengaswerfer und fährt hundert Kilometer in der Stunde: „Survivor“ heißt der von der Panzerschmiede Rheinmetall und der österreichischen Spezialfirma Achleitner hergestellte 238 PS starke Polizeitransporter, der zehn schwerbewaffneten Polizisten Platz bietet. Das 500.000 Euro teure Panzerfahrzeug ist Teil eines 4,5 Millionen Euro schweren Rüstungspakets, mit dem die Polizei der Hansestadt terrorfest gemacht werden soll. Dazu gehören neue Sturmgewehre, Helme und durchschlagssichere Schutzwesten nicht nur für das Mobile Einsatzkommando (MEK), sondern auch für rund 70 reguläre Streifenwagenbesatzungen. 

Hamburg, das im kommenden Jahr den G20-Gipfel der wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt ausrichtet, ist mit der Vorstellung des Survivors vorangeprescht. Doch auch andere Bundesländer wollen ihre Polizei entsprechend aufrüsten.

„Wenn Sie einen terroristischen Angriff wirkungsvoll bekämpfen wollen, müssen Sie gleichwertig bewaffnet sein“, begründete Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) die Investitionen.  „Unser Anspruch ist, daß wir alles Notwendige tun, damit wir bei einem solchen Anschlagsszenario zu einer wirksamen Bekämpfung durch die Polizei in der Lage sind.“ Grote läßt durchblicken, daß es sich bei der neuen Ausrüstung der Polizei quasi um einen Schritt hin zur Militarisierung der Polizei handelt: „Wir halten nichts davon, bei solchen Szenarien mit einem Einsatz der Bundeswehr zu planen.“ Die Polizei könne das selbst, „und wir rüsten sie dafür aus“. Bereits im Sommer hatte die Deutsche Polizeigewerkschaft vorgeschlagen, der  Polizei bei sogenannten Terrorlagen Material der Bundeswehr, insbesondere gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. „Wenn die Bundeswehr über Technik verfügt, die der Polizei fehlt, dann sollten wir diese natürlich einsetzen“, hatte Gewerkschaftschef Rainer Wendt der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt.

An der Notwendigkeit, die Sicherheitsbehörden angesichts der Terrorgefahr aufzurüsten, führt nach Ansicht von Experten kein Weg vorbei.  „Was wir vor dem Hintergrund solcher Terroranschläge wie in Paris oder Brüssel, wo sich die Täter mit ihren Kalaschnikows in Gebäuden verschanzt haben, dringend brauchen, sind Maschinengewehre, Scharfschützengewehre, deckungsbrechende Waffen und geschützte Fahrzeuge. Entsprechend muß auch die Ausbildung erweitert werden. Dazu gehört zum Beispiel das Training im Orts- und Häuserkampf“, verdeutlicht etwa der ehemalige Abteilungspräsident im Bundesgrenzschutz, wie die Bundespolizei bis 2005 hieß, Bernd Kahnert gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die Bundespolizei entsprechend aufzustocken, auszurüsten und wieder vergleichbar einer Gendarmerie auszubilden ist seiner Meinung nach der bessere Weg als ein Einsatz der Bundeswehr im Innern. „Notwendig wäre es auch, daß die Polizeiführer ihre Verbände geschlossen in bewaffnete  Einsätze führen können. Diese Fähigkeiten waren einmal beim BGS, speziell bei seinen Offizieren, vorhanden.“

Ganz in diesem Sinne hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bereits im vergangenen Dezember, wenige Wochen nach den Anschlägen in Paris, die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Plus (BFE+) aus der Taufe gehoben. Die Einheit, die aus speziell ausgebildeten und ausgerüsteten Beamten aus regulären Einheiten der Bundespolizei besteht, soll im Terrorfall mobilisiert werden. So lautet jedenfalls der Plan. 

Doch die Realität sieht offenbar anders aus. Kritiker bemängeln, daß die BFE+ bislang nur bedingt einsatzfähig ist. So sei die achtwöchige Ausbildung der ausgewählten Polizisten unzureichend, zudem mangele es an geeigneter Ausrüstung, wie etwa gepanzerten Fahrzeugen (Stichwort: Survivor). Laut Medienberichten ist die bislang bereitgestellte Ausrüstung zudem mangelhaft. Unter anderem auch aus diesem Grund sei die Einheit im Sommer nicht beim Amoklauf in München zum Einsatz gekommen, berichtete das ZDF-Magazin „Frontal 21“. 

Auch Polizeiexperte Kahnert ist skeptisch: „Grundsätzlich halte ich den Aufbau der BFE+ für einen guten Gedanken. Allerdings müßten Verbände geschaffen werden, die sofort einsatzbereit sind. Es kann nicht sein, daß – wie derzeit bei der BFE+ – die Beamten bei Demonstrations- oder Fußballveranstaltungen eingesetzt sind und dann erst zeitraubend herausgezogen werden müssen.“ Terroristische Lagen entstünden überraschend und seien zeitlich nicht vorhersehbar. „Deshalb müssen diese speziellen Einsatzkräfte ohne Zeitverzug  an den Ereignisort transportiert werden können. Sie müssen ständig präsent und sofort verfügbar sein“, mahnt Kahnert. 

Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die derzeitige Sicherheitsoffensive der Behörden somit als überstürzt und unausgereift. Das gilt auch für den Survivor der Hamburger Polizei. Kritiker sehen in den medienwirksam präsentierten Panzerwagen vor allem eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit. Denn bei einer Terrorlage ähnlich der in Paris, bei der die Attentäter zeitgleich an fünf Orten zuschlugen, wäre ein einziges gepanzertes Polizeifahrzeug nicht mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.