© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Der Flaneur
Zu Fuß und allein über Land
Sebastian Hennig

Der Fußreisende bleibt der Flaneur unter den Wanderern. Wer sich eine Woche Zeit nimmt, um hundertfünfzig Kilometer zurückzulegen, der lebt im größten Luxus. Sein Ein- und Auszug in und aus einer Kleinstadt erfolgt nahezu total. So wie er anlangt, macht er sich auf den Weg. Dieser führt ihn weiter weg, als alle Maschinen einen über Straßen je tragen können. Denn wer darin herangebraust kommt und dann bald wieder die Autotür hinter sich zuschlägt, kann ebensogut bereits wenige Stunden später erneut eintreffen. Der fremde Fußgänger dagegen verschwindet am Horizont oder hinter der nächsten Mauer. Das wirkt endgültig. Sollte er einst wiederkehren, dann ist er ein anderer.

Der Wegweiser kündet den Fichtelberg. Auf den Feldern liegt Schnee. Na dann, losgelaufen.

Am siebten Tag meiner Reise ins Gebirge wollte ich mich nun von der dampfgetriebenen Schmalpurbahn in die höchstgelegene Stadt Deutschlands bringen lassen. Auf einem verschneiten Feld unter trübem Himmel wird die Abirrung heillos. Am Holzwerk in Neu-Amerika muß ich mir gestehen, daß die Abfahrtszeit der Eisenbahn in Cranzahl verpaßt ist. Der Wegweiser kündet den Fichtelberg. Auf den Feldern liegt der Schnee. Na dann, losgelaufen. Der Weg geht nun immerhin unmißverständlich geradezu. Dafür regnet es fortlaufend. Schneematsch lenkt den Tritt ab. Freiwillig geht heute niemand raus. Allein den Hunden kommt die Befehlsgewalt über den menschlichen Ausgang zu. Vereinzelt überhole ich genötigte Gassigeher auf dem Firstweg.

An einer überdachten Bank bei einem Parkplatz raste ich kurz. Zwei Damen mit Hündlein kommen herbei. Alle vier tragen sie die Haare verwuschelt. Bald locken sie die winzigen Viecher in ihre Kleinwagen. „Daisy, hubbs nein!“ heißt’s hier, und dort „Miro, hier hier“. Die Frauchen setzen sich dazu und brausen nach knapper Verabschiedung jede in eine andere Richtung davon. Mit Goethe wundere ich mich nicht, daß Menschen die Hunde so lieben.