© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Pankraz,
E. Jünger und die Globalisierung

Wieder einmal gibt es Anlaß, vor dem Prognostiker und Zeitgeist-Analytiker Ernst Jünger respektvoll den Hut zu ziehen. Sechzig Jahre ist es jetzt her, daß sein Essay „Der Weltstaat. Organismus und Organisation“ erschien, mitten im sogenannten  Kalten Krieg der fünfziger Jahre. Das Wort „Globalisierung“ kam darin nicht vor, aber die in dem Wort enthaltenen Erwartungen beziehungsweise Schrecknisse und Drohungen waren schon vollständig aufgezählt und ins Visier genommen. 

Nach dem Schwinden der Gegensätze zwischen Ost und West, schrieb Jünger, werde „eine globale demographische Zusammenballung eintreten“, die jedem Begriff von gediegener Staatlichkeit, von Polis, Demokratie und wirklich freiem Handel und Umgang miteinander   glattweg Hohn spräche. Der damals noch junge, ganz von schönen liberalen Wunschträumen erfüllte Ralf Dahrendorf wurde durch die Lektüre des „Weltstaats“ derart aufgerüttelt, daß er fortan zum regelrechten Globalisierungsskeptiker wurde und seitdem immer dringlicher vor ihr warnte. 

Fast im Stil von Oswald Spengler sprach er nun vom Anbruch eines extrem autoritären, „cäsaristischen“ Zeitalters, vom Aufkommen diktatorischer Kräfte, die nicht einmal mehr genau zu personifizieren sein würden, die aus dem „Off“ heraus, mit einigen finanzkapitalistischen Tricks, ganze Völker in Bewegung setzten, neue Völkerwanderungen provozierten, in riesigem Ausmaß Einkommen neu verteilten, ohne daß man etwas dagegen machen könne. Die Politik der Freiheit verwandle sich im Zeichen der Globalisierung in eine Quadratur des Kreises.


Als einzig noch erkennbares Instrument gegen derlei Cäsarismus sah Dahrendorf den guten alten Nationalstaat, den unsere heutigen Euro-Bürokraten gerade abschaffen wollen. „Der Nationalstaat“, so Dahrendorf, „ist das einzige Domizil der repräsentativen Demokratie, das bisher funktioniert hat.“ Nur er sei in der Lage, „Strukturen der Kontrolle, der Rechenschaft und der effizienten Bürgerbeteiligung“ anzubieten und zu sichern. Ein gobalisierter Weltstaat hingegen sei, „eine anarchistische Utopie“, wo bei Abstimmungen immer die Chinesen die Mehrheit hätten und die kleinen Völker gnadenlos und ein für allemal untergebuttert würden.

Goldene Worte, die beim Publikum freilich einen überwiegend resignativen Effekt auslösten, den weder Jünger noch Dahrendorf gewollt hatten. Man sehe zwar das Unheil, hieß und heißt es heute noch in vielen Quartieren, doch man könne nichts dagegen machen. Wieso eigentlich? Wieso (sofern er nicht von vornherein schlau gespielt ist) dieser bleiche Quietismus, der die Waffen streckt, bevor der erste Speer geworfen ist? Fällt man hier nicht auf selbstgeschaffene Popanze herein, auf Ideologeme, die nur deshalb eherne Fakten zu schaffen scheinen, weil man einfach allzu lange an sie geglaubt hat?

Schon das Wort „Globalisierung“ ist ja ein solcher Popanz, solch ein sich selbst erfüllendes Ideologem. Was liegt zugrunde? Daß die Chinesen die europäische Hosen- und Hemdenproduktion kaputtgemacht haben, daß die Inder und Malaysier zur Zeit dabei sind, Elektrochips herzustellen, und zwar zu einem Zehntel des in Europa fälligen Preises, weiß man doch längst. Wieso muß man da wie  das Kaninchen vor der Schlange erstarren? Man kann doch, wenn man die eigene Chipproduktion schützen will, den Einfuhrzoll für die malaysischen Chips erhöhen!

Pankraz sagt nicht unbedingt: „Man soll erhöhen“, er sagt nur: „Man kann erhöhen.“ Nichts hindert den frei gewählten amerikanischen oder europäischen Gesetzgeber daran, es zu tun, es sei denn eben ein Ideologem, das man sklavisch anbetet und dem man sich wie einem Götzen ausliefert. Und exakt so steht es auch mit allen anderen Aspekten der Globalisierung, mit der angeblich notwendigen radikalen Privatisierung öffentlicher und sozialer Dienste beispielsweise, mit der flächendeckenden Digitalisierung von allem und jedem, selbst wenn damit feinste und bewährteste nationale Traditionen zerstört werden.


Die Globalisierung ist nichts weniger als ein unabwendbares Schicksal, das über uns verhängt ist. Der zur Zeit herrschende politisch-mediale Komplex tut nur so, als sei das der Fall. Als Letztbegründung schickt man die „Natur des Menschen“ vor; der „Mensch“, sagt man, wolle nun mal all diesen billigen Techno-Massen-Schund, er sei schlecht in seinen Antrieben und in seinem Geschmack, und deshalb also Globalisierung als „Schicksal“. Mit dem gleichen Recht könnte man sagen, daß nicht der „Mensch“, sondern lediglich gewisse aktuelle Netzwerker, die sich allen Ernstes für eine neue Elite halten, schlecht seien.

Doch (siehe oben!) es gibt inzwischen Ausbruchsversuche, die man fördern sollte. Wenn etwa Dahrendorf den Nationalstaat als Domizil der Demokratie, der Machtkontrolle und der echten Bürgerbeteiligung ausgemacht hat und trotz allen Suchens keine Alternative dazu findet, so kann für einen guten Demokraten die Schlußfolgerung doch nicht lauten, daß man diesen Nationalstaat verabschieden muß, sondern nur, daß man ihn absichern und klug weiterentwickeln muß. Das sind bestechend einfache Regeln der Logik, die (wieder) zu erlernen und der ideologischen Geistverschleimung entgegenzuhalten wären.

Man darf gespannt sein, ob sich unter der neuen amerikanischen Präsidentschaft etwas in dieser Richtung ändern wird. Im Wahlkampf war es bekanntlich ein großes Thema: Internationaler Freihandel ja, jedoch nur unter „fairen“ Bedingungen, welche der einheimischen Volkswirtschaft nicht schaden oder sie gar zum Erliegen bringen. Das betrifft natürlich beide Seiten, Produzenten wie Kunden. Verhandlungen sind nötig, aber gegebenenfalls auch Vertagungen, Zollschranken, Zeit für die Erfindung neuer Produktionsmethoden und neuartiger Handelsstrecken.

Freihandel ist kein Dogma, er ist ein Instrument zur Erlangung eines guten Lebens, eines unter vielen. Mit dem Unwort Globalisierung hat er nichts zu tun.